denn hier stand er wie auf dem Präsentierteller.
Der Amerikaner bewegte das Bajonett hin und her. Das zweite Brett löste sich langsam. Zwischendurch sah er sich immer wieder um. Noch befand er sich außerhalb der Gefahrenzone, da er glücklicherweise auf der Rückseite der Baracke war.
In einiger Entfernung hasteten Menschen durcheinander, und der Strahl von Taschenlampen huschte durch die Gegend. Manchmal klangen laute Rufe oder Kommandos unangenehm nah.
Steve machte einen Augenblick Pause und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Plötzlich hörte sein geschultes Ohr, das sich das Atemgeräusch in dem Raum veränderte. Wer auch immer sich darin befand – er war aufgewacht.
Steve zog sich wieder an den Gitterstäben hoch, die schon bedenklich wackelten. „Wer sind Sie?“, flüsterte er leise.
Er hörte, wie jemand scharf die Luft einsog. Dann quietschte eine Matratze und Schritte näherten sich.
Der Agent erkannte den hellen Schimmer eines Gesichtes und schwarzes Haar, das in langen Wellen über die Schultern floss.
Es war das Mädchen. Steve McCoy sah die erschrockenen Augen und den leicht geöffneten Mund. Dann die Hand, die das leichte Gewand über der Brust zusammenzog.
Für eine Sekunde genoss er den Anblick, dann wiederholte er seine Frage drängender: „Wer sind Sie?“
Die Antwort kam in fast akzentfreiem Englisch. „Ich heiße Leila Khalef, aber wer sind Sie?“
„Das ist im Moment unwichtig. Ich will Sie hier herausholen. Ziehen Sie Ihre Sachen an! Ich habe das Gitter gleich beseitigt.“
Steve sprang wieder auf den Boden und setzte das Bajonett an einer anderen Stelle an. Die Hebelwirkung der schweren Klinge reichte auch hier. Die teilweise morschen Bretter, die nur mit wenigen Nägeln zusammengehalten waren, gaben sofort nach.
Eine Minute später wäre ihm das Gitter fast entgegengefallen. Es kippte ein Stück nach vorn. Mit einer raschen Bewegung packte er es und riss es mit einem heftigen Ruck ganz heraus.
Ein Scharren und Schieben in der Gefängniszelle verriet ihm, dass Leila inzwischen ihre Liege unter das Fenster schob. Sie schien schnell zu begreifen. Da erschien auch schon ihr Kopf in der ausgezackten Fensteröffnung.
„Passen Sie auf, da sind ein paar Holzsplitter“, flüsterte Steve McCoy.
Sie antwortete nicht, sondern zwängte sich durch die Öffnung. Irgendwo riss etwas an ihrer Kleidung. Steve sah ihr gebannt zu. Niemand hatte ihm gesagt, dass sie attraktiv war.
Als sie halb aus der Fensteröffnung war, streckte er ihr die Arme entgegen. Sie ließ sich ihm entgegenfallen, und er federte in den Knien um ihr Gewicht auszugleichen.
Für einen Moment spürte Steve das Bedürfnis, Leila fester in die Arme zu nehmen und zu küssen. Aber für solche Dinge war er zur falschen Zeit am falschen Ort. Mit einem leichten Seufzer ließ er sie vorsichtig auf den Boden gleiten, bis sie aufrecht vor ihm stand.
Sie trat sofort einen Schritt zurück, denn sie spürte, welche Gedanken ihm durch den Kopf schossen.
„Und was nun, Fremder?“, fragte sie leise.
Er machte eine unbestimmte Handbewegung. „Wir gehen jetzt einfach. Mein Wagen steht leider ein Stück entfernt. Die Parkplätze in der Nähe waren schon alle besetzt.“ Er grinste.
Sie versteifte sich und funkelte ihn wütend an. „Also gehen wir!“
Schlagartig wurde Steve wieder ernst. Er packte das locker in seiner Hand hängende Bajonett fester und machte sich auf den Rückweg. Ohne sich umzudrehen, sagte er: „Folgen Sie mir, ohne ein Wort zu sagen! Und bleiben Sie ganz dicht bei mir! Wenn ich die Hand hebe, bleiben Sie stehen!“
Vorsichtig spähte er um die Ecke der Baracke. Die Situation hatte sich noch nicht geändert. Das Lager machte den Eindruck eines aufgescheuchten Bienenschwarms. Doch das konnte ihm nur recht sein.
Er nahm Leila an der Hand und rannte über den offenen Platz. Zweimal musste er Soldaten ausweichen, die ihm entgegenkamen, aber niemand kümmerte sich um ihn. Er hatte fast die andere Seite erreicht, wo sich die Reihe der Vorratsbaracken befand, als das Licht wieder aufflammte.
Ein Ruf der Erleichterung ging durch das ganze Lager. Steve hetzte zur nächsten Barackenecke, als ein Soldat unmittelbar vor ihm auftauchte, der die Hand in einer unwillkürlichen Abwehrreaktion erhob und den Mund zu einem Schrei öffnete.
Aus dem Laufen heraus schwang Steve McCoy die Faust und mit dumpfem Gurgeln ging der am Adamsapfel getroffene Soldat zu Boden.
Wenige Minuten später waren sie an der Stelle, an der Steve eingedrungen war. Er bog den Drahtzaun auf und ließ das Mädchen zuerst durch. Rasch folgte er und zog den Draht hinter sich wieder zusammen. Er gab ihr mit einer Handbewegung die Richtung an. „Jetzt laufen Sie, so schnell sie können!“
Der Rest war ein Kinderspiel …
10.
Major Assad tobte.
Die Scheinwerfer mehrerer Jeeps beleuchteten die gespenstische Szene. Dutzende von Offizieren und Soldaten standen in einem Kreis um den Major. Vor ihm waren zwei weitere Soldaten, die die Köpfe gesenkt hatten. Ein Mann in Zivil, der offenbar kein Syrer war, stand etwas abseits.
„Das ist unglaublich“, schrie Assad mit Kasernenhofstimme. „Wir haben Wachttürme mit Maschinengewehren und Scheinwerfern, wir haben Doppelstreifen und mehr als zweihundert Mann in diesem Lager. Trotzdem ist es möglich, dass irgendjemand hier hereinspaziert und eine Gefangene befreit. Männer werden entwaffnet und außer Gefecht gesetzt. Das ist ein Skandal!“
Er machte eine unheilvolle Pause, blickte wütend in die Runde und sprach mit leiserer Stimme weiter. „Und jetzt höre ich, dass es nur ein einziger Mann gewesen ist. Wie ist das möglich?“
Die Leute scharrten unruhig mit den Füßen im Sand. Niemand sagte ein Wort.
„Leutnant Jussef!“ Der Major wippte auf den Zehenspitzen. „Sie hatten das Kommando über die Wachmannschaft. Können Sie mir den Vorfall erklären?“
Ein junger Leutnant trat angstvoll vor und senkte den Blick. „Ich weiß nicht … es muss am Stromausfall gelegen haben. In der Dunkelheit lief alles durcheinander.“
„So?“, höhnte Assad. „Meine Soldaten brauchen zur Erfüllung ihrer Aufgaben also elektrisches Licht! Das ist sehr interessant. Leutnant Juseff bekommt zwei Tage Arrest in der Dunkelzelle.“
„Zu Befehl, Major Assad!“ Der Leutnant machte eine Ehrenbezeigung und ließ sich von zwei Soldaten abführen.
Assad drehte sich um und marschierte zu seiner Baracke. „Ab sofort werden die Posten verdoppelt. Es wird eine Patrouille zusammengestellt, die versucht, das Mädchen und ihren Befreier wieder einzufangen. Aber ich möchte die beiden lebend.“
Er verschwand in seiner Baracke, gefolgt von dem Ausländer, der heftig in russischer Sprache auf ihn einredete und dabei wild gestikulierte.
Assad machte eine unwillige Handbewegung. „Hier entscheide ich, was geschieht!“
Aber der Mann gab nicht so leicht auf. „Hören Sie, Major, Sie wissen, was auf dem Spiel steht! In zwei Tagen kommen unsere Techniker, um die Anlage in Betrieb zu nehmen. Wir werden es nicht dulden, dass sich ausländische Spione auf diesem Gelände herumtreiben und womöglich entdecken, was wir vorhaben.“
Assad fuhr herum. „Wer sagt Ihnen, dass der Fremde ein ausländischer Spion war?“
„Seien Sie nicht so naiv! Die Amerikaner haben inzwischen sicher gemerkt, dass das Mädchen aus dem Verkehr gezogen wurde. Da sie offenbar bemerkt haben, dass hier etwas vor sich geht, sind sie natürlich daran interessiert, herauszubekommen, was das Mädchen erfahren hat. Also schicken sie einen Profi, der sie befreit. Sehen Sie sich doch die Handschrift