beobachtet wurde. Er wusste, dass es dieser Deutsche war, und es irritierte ihn, dass es hier eine unbekannte Größe gab, die er nicht beurteilen konnte. Er musste wissen, wer dieser Mann war!
In diesem Moment stand Petrow auf. Auch einer der KGB-Leute erhob sich sofort. Steve McCoy verstand kaum russisch und bekam von der schnell geführten Diskussion nur wenig mit.
Offenbar behauptete Petrow, auf seinem Zimmer etwas vergessen zu haben und wollte es holen. Der KGB-Mann war jedoch der Ansicht, dass er es für den Wissenschaftler holen könnte, wenn ihm Petrow die Stelle beschrieb, an der es lag.
Petrow gab schließlich nach, reichte dem Mann seinen Zimmerschlüssel und sagte lauter als notwendig: „Zimmer 209.“
Der Mann reagierte mürrisch, nahm den Schlüssel in Empfang und verschwand. Steve nickte insgeheim anerkennend. Die Zimmernummer hatte er verstanden, jetzt wusste er immerhin, wo Petrow wohnte. Das war schon viel wert. Die kleine Komödie war sicher niemand aufgefallen.
Dann kam das Essen, und da an den meisten Tischen gleichzeitig serviert wurde, setzte reges Geschirrklappern ein.
Steve aß hastig, denn er wollte vor den anderen fertig sein. Auf den Nachtisch verzichtete. Er verließ den Speisesaal, ohne den Kopf in Petrows Richtung zu drehen.
Er ging schnell in die Etage, in der Petrows Zimmer lag und suchte Nummer 209. Der KGB-Mann war schon längst zurückgekommen, und wenn alle im Speisesaal waren, wurden die leeren Zimmer bestimmt nicht bewacht …
Steve dachte kurz an Kamarow und seine Truppe, aber die waren entweder schon wieder weg oder wohnten in einem anderen Stock. Er vermutete, dass sie sich nur kurz mit der Delegation in Verbindung gesetzt hatten und inzwischen schon anderen Beschäftigungen nachgingen. Sicher keinen guten, was ihn betraf!
Er blickte auf die goldene Zahl, die auf der Tür prangte. Er lauschte kurz, aber aus dem Zimmer war kein Geräusch zu hören. Zum Öffnen brauchte er keine dreißig Sekunden.
Das Zimmer sah genauso aus wie sein eigenes. Deshalb brauchte er nicht lange zu suchen. Er hatte sich schon vorher für ein Versteck entschieden. Der hohe Kleiderschrank war gerade das richtige, wenn auch nicht unbedingt eine originelle Idee.
Dann wartete er.
Es dauerte knapp eine Viertelstunde, bis er Geräusche auf dem Gang hörte. Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, das Licht ging an.
Steve hielt den Atem an. Durch einen winzigen Spalt beobachtete er einen Ausschnitt des Zimmers. Petrow hatte den Raum betreten und schloss die Tür hinter sich. Er war allein. So misstrauisch war die Gruppe um den Wissenschaftler offensichtlich nicht, dass sie jedes Zimmer durchsuchten, bevor eines ihrer Mitglieder hineinging.
Steve öffnete die Schranktür und kam heraus.
Petrow sah ihn ohne Überraschung an, dann drehte er sich wortlos um und verriegelte die Zimmertür.
„Atlantik“, sagte er schließlich leise in englischer Sprache.
„Okay.“ Steve McCoy nickte. Das war das richtige Kennwort. „Sprechen Sie englisch?“
„Ja. Einigermaßen. Aber reden Sie nicht so schnell.“
„Okay. Wie viel Zeit haben wir?“
„Nicht viel. Wir fahren noch heute Nacht ab.“
Steve schaltete das Radio ein. Von dem arabischen Gesang verstand er zwar kein Wort, aber für seine Zwecke war die Musik richtig. Sie würde ihr Gespräch leise übertönten. „Wohin fahren Sie?“
„Nach Latakia. Wie es geplant war. Wir werden dort die letzten Arbeiten an einer geheimen Anlage vornehmen und sie anschließend in Betrieb nehmen.“
„Hat man schon jetzt etwas von Ihrer Absicht gemerkt?“
Petrow zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Die Geheimdienstler verhalten sich nicht anders als sonst, und die Vorsichtsmaßregeln sind wie auch sonst üblich.“
„Okay. Nehmen wir an, dass Sie bis jetzt noch sicher sind. Aber inzwischen sind Umstände eingetreten, die sofortiges Handeln erfordern.“
Petrow war zum Schrank gegangen und warf seine Sachen aufs Bett. „Reden Sie weiter, ich höre zu. Ich muss nur meine Sachen packen, denn unser Bus fährt bald ab.“
„Weshalb fahren Sie denn nachts?“
„Vermutlich aus Tarnungsgründen. Aber auch das ist nicht ungewöhnlich. Ich war schon öfter im Ausland und habe in dieser Beziehung einiges erlebt.“
„Mister Petrow, an Ihren Absichten hat sich nichts geändert?“
Der Wissenschaftler schüttelte nur den Kopf.
„Okay. Mein Auftrag lautet, Sie aus dem Land zu bringen und sicher den amerikanischen Behörden zu übergeben.“
Petrow unterbrach seine Tätigkeit kurz. „Ich will einen anderen Pass, eine neue Identität und ausreichenden Schutz. Der Arm des KGB ist lang.“
„Das können Sie alles mit den zuständigen Leuten regeln. Ich bin sicher, dass Sie zufrieden sein werden. So etwas hat schon früher funktioniert. Aber unser Problem ist zunächst mal, Sie aus dem Land zu schaffen. Dazu ist es notwendig, dass Sie sich strikt nach meinen Anweisungen richten. Sie wissen so gut wie ich, dass wir verdammt aufpassen müssen. Und deshalb muss klar sein, wer hier das Kommando hat.“
Petrow runzelte die Stirn. So ganz passte ihm das wohl nicht. Aber Steve hatte keine Lust, große Auseinandersetzungen über das Wie und Was zu führen. Er wollte von Anfang an die Spielregeln bestimmen.
Nach einer kurzen Pause nickte Petrow. „Na schön. Was soll ich also tun?“
„Ich muss meinen Plan ändern, denn ich konnte nicht ahnen, dass Sie schon heute Nacht Damaskus verlassen. Sie werden also ganz normal in Ihren Bus steigen und zu Ihrer geheimen Anlage fahren. Ich kenne das Ziel und werde Ihnen folgen. Es hat keinen Sinn, jetzt schon die Flucht zu ergreifen, denn wir kommen aus Damaskus nur schwer heraus. Entweder werden wir unterwegs improvisieren, oder ich unternehme erst etwas, wenn Sie an der Küste sind.“
Petrow sah ihn starr an. „Ich habe schon einfallsreichere Pläne gehört. Aber Sie sind ja der Fachmann. Ich hoffe nur, Sie wissen, was Sie tun.“
„Ich denke schon, Mister Petrow. Es ist besser, wenn Sie nicht zu viel wissen. Sie werden schon merken, wenn es soweit ist.“
Petrow holte einen Koffer aus dem Schrank und packte seine Sachen unordentlich hinein. „Ich lasse mich also überraschen. Aber ich werde bereit sein, wenn Sie mir das Zeichen geben.“
Steve McCoy lächelte. „Sie können sich auf mich verlassen.“ Er trat auf ihn zu und drückte ihm die Hand. „Und jetzt gehen Sie auf den Gang und lenken Sie den Posten ab, falls dort einer steht.“
„Normalerweise sitzt einer vorn an der Treppe. Von dort aus kann er die Zimmertür nicht sehen.“
Petrow schloss die Tür wieder und ging nach draußen. Er winkte, Steve drückte ihm wortlos die Hand und glitt schattengleich auf den Gang. Die trübe Beleuchtung erleichterte sein Vorhaben.
Lautlos bewegte er sich zur Treppe. Bevor er den Posten sah, roch er den schweren, süßlichen Geruch der russischen Papirossa. Unerkannt kam er an dem Posten vorbei, der ihm den Rücken zuwandte. Steve verschwand um die Biegung des Ganges und war damit außer Sicht. Hier gab es eine zweite Treppe, über die er zu seinem Zimmer gelangte.
Aber vorher musste er noch telefonieren. Er hatte keine Zeit mehr, sich eine komplizierte Geschichte auszudenken, sondern musste sofort mit Mike Andrews in der Botschaft sprechen. Das Risiko des Abhörens musste er in Kauf nehmen.
Im Erdgeschoss des Hotels gab es Telefonzellen. Sie waren alle unbesetzt. Man konnte Stadtgespräche selbst wählen. Die Nummer der Botschaft hatte er im Kopf.
Nach dreimaligem Klingeln meldete sich eine leicht