A. F. Morland

Sammelband 7 Schicksalsromane: Von ihren Tränen wusste niemand und andere Romane


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Flugverhalten und die besonderen Fähigkeiten der einzelnen Greifvögel erklären.

      „Beeindruckt?“, fragte Walter Schmidt, als die Greifvogelschau zu Ende war.

      „Mächtig“, nickte Yvonne.

      Die rasanten Jagdflüge der Falken und der mächtige Flügelschlag des Steinadlers direkt über ihrem Kopf würden für sie ein unvergessliches Erlebnis bleiben.

      „Hat die Fahrt ins Blaue sich gelohnt?“

      „Absolut“, antwortete Yvonne und sah Walter dabei glücklich an.

      Hinter ihm befand sich die Kasselburg, eine der schönsten Stauffenburgen des Landes, deren markanter Doppelturm urige Felsschluchten und weite Laubwälder eindrucksvoll überragt.

      Hand in Hand verließen sie den großen Park und kehrten zu ihrem Wagen zurück. Die Heimfahrt war weit. Sie kamen spät nach Hause, aber das reute Yvonne Wismath nicht.

      „Danke für dieses wunderschöne Wochenende, Liebster“, sagte sie, als sie sich von Walter verabschiedete.

      „Ich lass mir bald wieder so etwas Nettes einfallen.“

      „Dagegen hätte ich absolut nichts einzuwenden“, erwiderte Yvonne, beugte sich vor und gab ihm einen letzten Kuss. Er wollte sie sogleich in seine Arme ziehen, doch sie ließ es nicht zu. „Nein, Liebster, für heute muss es genug sein. Ich bin sehr müde, sehr glücklich, aber auch sehr müde. Ich muss ins Bett. Mich erwartet morgen ein anstrengender Tag in der Seeberg-Klinik. Den überstehe ich nur, wenn ich wenigstens einigermaßen ausgeruht bin.“

      „Versprich, dass du von mir träumen wirst.“

      „Das werde ich – ganz bestimmt.“

      Daheim trachtete Yvonne dann, so rasch wie möglich ins Bett zu kommen. Sie hatte das unbeschreiblich schöne Gefühl, auf Wolken zu schweben, und für diesen himmlischen Zustand war Walter Schmidt verantwortlich.

      Oh, ich liebe dich, Walter Schmidt, dachte Yvonne überschwänglich während sie unter die Bettdecke kroch, liebe dich so sehr, ganz irrsinnig liebe ich dich. Wenn das nur gutgeht!

      18

      Petra Praetorius war nicht so glücklich. Sie weinte. Es war nun schon die dritte Nacht, die sie allein – und ihr Ehemann im Gästezimmer – verbrachte.

      Ihrem Vater konnte das nur recht sein, denn wenn sie nicht mit ihrem Mann zusammen war, konnten sie kein Kind zeugen. Aber dieser Zustand war verrückt und ließ sich bestimmt nicht lange halten.

      Und was dann? Sollte sie klein beigeben, kapitulieren, sich mit ihrem Schicksal abfinden?

      Niemals, dachte sie trotzig. Ich will endlich ein Baby haben, und wenn Claus nicht Manns genug ist, mir diesen langersehnten Wunsch zu erfüllen, muss es eben jemand anders tun!

      Sie erschrak über diesen verwerflichen Gedanken. Sie war eine anständige Frau, verliebt in ihren Mann. Andere Männer interessierten sie nicht.

      Aber wenn sie um jeden Preis ein Kind haben wollte, brauchte sie einen. Mann! Die Biologie hatte ihre ehernen Gesetze.

      Sie war eine junge, attraktive Frau. Es würde ihr nicht schwerfallen, einen Mann zu finden, der bereit war, mit ihr zu schlafen.

      Sie schauderte.

      Wie abgebrüht du bist, ging es ihr durch den Sinn. Mich ekelt vor dir. Wie kannst du so etwas Indiskutables auch nur im entferntesten in Erwägung ziehen?

      Aber der unsaubere Gedanke hatte sich bereits in ihr festgefressen und ließ sie nicht mehr los. Sie wollte sich von ihrem Vater nicht unterkriegen lassen. Er durfte ihr Leben nicht verpfuschen, hatte nie und nimmer das Recht, ihr zu verwehren, dass sie Mutter wurde. Wenn Claus sich nicht gegen den Schwiegervater, der sich nachweislich im Unrecht befand, aufzulehnen wagte, musste er eben die Konsequenzen tragen.

      Und die Konsequenzen sahen so aus, dass ein anderer Mann der Vater ihres Kindes sein würde. Einer aus ihrem Freundes- und Bekanntenkreis? Ein Fremder? Egal. Irgendeiner. Und sie würde auch nur dieses eine Mal mit ihm schlafen und dann nie wieder. Sie war schließlich an keiner Affäre interessiert, wollte sich keinen Liebhaber halten. Der ganze Akt würde nichts mit Liebe zu tun haben, sondern nur dem Zweck der Befruchtung dienen, das würde Petra dem Mann, den sie sich ausgesucht hatte, von vornherein klarmachen.

      Sie hörte auf zu weinen. Ihr Entschluss stand fest, die Würfel waren gefallen. Sollten ihr Vater und ihr Ehemann getrost weiterhin auf derselben Seite stehen, es war ihr nicht mehr wichtig.

      Sie hatte eine Lösung für ihr Problem gefunden, und sie war fest entschlossen, diesen Weg zu gehen. Nichts und niemand konnte sie davon abhalten.

      Gleich morgen würde sie die Sache in Angriff nehmen. Morgen, ja, das war ein guter Tag dafür. Der Beste. Zufrieden schlief sie ein.

      Tags darauf war sie wieder „normal“. Sie frühstückte mit Claus und mit ihrem Vater, sprach mit ihnen, als ob alles in bester Ordnung gewesen wäre, und fing einen Blick ihres Vaters auf, den dieser zu Claus hinüberschickte, und mit dem er sagen wollte: Siehst du, ich wusste, dass sie früher oder später zur Besinnung kommen würde. Ich kenne meine Tochter.

      Aber er kannte sie nicht. Er wusste nicht, wozu seine Tochter imstande war, wenn man sie dazu zwang. Keinen blassen Schimmer hatte er davon.

      Claus war froh, dass sie wieder mit ihm sprach. Er hatte unter ihrem trotzigen Schweigen gelitten. Als er das Haus verließ, gab sie ihm einen Kuss auf den Mund, und ihren Vater küsste sie auf die Wange.

      Sie wünschte beiden einen schönen Tag, und nachdem sie weg waren, führte sie einige Telefonate, aber es kam nichts dabei heraus.

      Die Männer, die sie als erste ins Auge gefasst hatte, waren alle nicht verfügbar. Der eine lag nach einer Gallenoperation im Krankenhaus, der andere war geschäftlich verreist, der dritte absolvierte gerade in einem renommierten Sanatorium eine Schlafkur, um sich das Trinken abzugewöhnen. Nummer vier hatte Gäste aus Übersee in seinem Haus und war unabkömmlich, Nummer fünf hatte – in seinem Alter – Ziegenpeter; und Nummer sechs – es war wie verhext – musste seine rheumakranke Mutter zur Kur nach Abano bringen.

      Wenn es nicht so geht, dann geht es eben anders, sagte sich Petra Praetorius und richtete sich darauf ein, in den Straßencafés der Innenstadt einen geeigneten Mann für ihr gewagtes Vorhaben kennenzulernen.

      Sie wurde zwar etliche Male von Männern angesprochen – es waren sogar einige höchst attraktive dabei –, aber sie konnte sich keinen von ihnen als Vater ihres Kindes vorstellen, und so setzte sie die Suche nach dem geeigneten Mann fort. Am Abend hoffte sie, in Schwabing fündig zu werden.

      Dass sie ausgerechnet in einer unscheinbaren Pizzeria einen geeigneten Mann kennenlernen würde, hätte sie eigentlich nicht gedacht. Sie war hungrig, und der intensive Pizzaduft hatte sie ins Lokal gelockt.

      Felix Lehmann, der lange blonde Pizzabäcker mit den X-Beinen, bemerkte sie gleich beim Eintreten, und er machte seinen Wohngemeinschaftskumpel Walter Schmidt auf sie aufmerksam.

      „Steiler Zahn“, murmelte Lehmann. „Ganz große Klasse. Wenn du mich fragst, die sucht Anschluss. Für so was hab’ ich ’nen Blick.“

      Petra Praetorius nahm an einem freien Tisch