Gabriela Bock

Der Schuh


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doch auf die gemeinsame Zeit mit mir freuen«, zeterte ich und kam mir kein bisschen blöd dabei vor.

      »Ich rufe ihn jetzt an!« Robert fragte den Wirt, ob er mal telefonieren könnte.

      Wir gingen nach draußen, in die ungemütliche Kühle.

      »Du wirst mir immer fehlen«, sagte ich und küsste die Innenflächen seiner Hände.

      Er strich immer wieder sanft über meinen Körper und mein Gesicht.

      »Irgendwie werde ich immer bei dir sein«, sagte er, »irgendwie.«

      »Du kommst doch aber noch zu uns?«

      »Natürlich werde ich das.«

      Henry kam mit Konstantin, um mich abzuholen. Sie hatten das Auto in einer anderen Straße geparkt und ich sah die beiden auf dem Bürgersteig entlangkommen. Mein Vater, groß, schlaksig, mit wehenden Locken und seinem typischen, schwungvollen Gang. Daneben Henry, kleiner, kräftig mit seinen engen Jeans und dem Kapuzenpullover, der ewige Jugendliche. Es war eine Übergabe. Ein kurzes »Hallo«, dann wurde die Ware mitgenommen. Ich konnte kaum noch gerade gehen. Im Bus wollte ich mir noch ein Bier aufziehen, aber Henry nahm es mir weg. Er sprach nicht mit mir und fragte auch nichts, während der gesamten Fahrt nicht und bis zum nächsten Abend. Auch nicht, als wir unter der Decke verschwanden. Hellstahlgrau fiel mir dazu ein.

      Am nächsten Tag war mir schlecht und Franziska erbarmte sich, indem sie sich um die Kinder kümmerte.

      Kurz darauf war der Schwangerschaftstest positiv. Ich machte mir Sorgen, weil ich das Kind im Alkoholrausch und aus einer so bedrückenden Stimmung heraus empfangen hatte.

      Robert kam Heiligabend vorbei und zelebrierte zu Mittag eine Spaghettisoße, die die Zwillinge beim Essen auf dem Küchentisch verteilten und die Jungs mit Genuss, zusammen mit den überlangen Spaghetti, durch die Luft schnippten. Er brachte Konstantin und Franziska auch noch jeweils eine Portion runter in den Laden, der ziemlich voll war. Viele Leute kauften Heiligabend noch schnell Geschenke ein. Nach dem Essen tranken wir zusammen Kaffee, danach drehten Robert und ich mit den Kindern eine Runde durch das weihnachtlich geschmückte Hameln. So hatte Henry genug Zeit und Ruhe, den Weihnachtsbaum zu schmücken, und die Kinder sahen ihn nicht vor der Bescherung. Daniel glaubte ja inzwischen nicht mehr an den Weihnachtsmann, aber er sollte das auf keinen Fall vor Niclas erwähnen, noch nicht in diesem Jahr. Kim und Linda saßen warm eingemummelt in ihrer Karre.

      Als wir an dem Tabakwarenladen in der Bäckerstraße vorbeikamen, stand der Besitzer, Herr Santotzky, vor seinem Geschäft, wie immer wie aus dem Ei gepellt. Die Haare pomadig nach hinten gekämmt, im teuren Zweireiher. Er hielt eine Holzkiste in der Hand. Seine Frau, im Kittel, putzte mit so heißem Wasser den Tritt, dass es um sie herum nur so dampfte. Sie kniete und wedelte mit dem heißen Feudel hin und her. Ab und zu machte sie sich hoch, hielt ihren Rücken, stöhnte und feudelte weiter. Ihr Blick sprach Bände. Robert und ich sahen uns nur an. Herr Santotzky kam auf uns zu.

      »Na die Herrschaften, noch einen Spaziergang mit den lieben Kleinen machen, bevor der Weihnachtsmann kommt?« Er zeigte Robert die Zigarrenkiste. »Wie wäre es mit einer edlen Zigarre für den Herrn Papa?«

      Er kannte mich und wusste genau, wer mein Mann war. Herr Santotzky sah Robert aufreizend an. »Bitte, möchten Sie?«

      Robert war eigentlich Nichtraucher, aber er nahm sich eine. Herr Santotzky präparierte die Zigarre und gab ihm Feuer. Hoffentlich fängt er nicht auch noch an zu reden, dachte ich. Er kam öfter bei meinem Vater im Laden vorbei und quatschte sich fest. Besonders berüchtigt war er für seine frauenfeindlichen Witze. Wenn Konstantin ihn vorm Laden auftauchen sah, sagte er immer: »Jetzt ist es vorbei mit der Ruhe, jetzt kommt der hinterfotzige, schleimige Santotzky.«

      Robert hielt die Zigarre in der rechten Hand, die linke Faust war auf Herrn Santotzky gerichtet, mit dem Zeigefinger nach vorn gestreckt und dem Daumen nach oben. Er sagte: »Gar nicht schlecht, diese Zigarre. Davon nehme ich mal welche mit.« Er nahm eine aus der Kiste und steckte sie sich in die Manteltasche. »Genau das Richtige für meinen Vater.« Robert griff richtig zu und stopfte sich die Taschen voll. »Auch noch welche für Großmutter und Großvater, meine Schwestern und ihre Männer«, sagte er belustigt. Er hatte inzwischen die Taschen bis oben gefüllt, die Zigarren fielen schon auf den Boden. Ich fragte mich, was das Ganze sollte.

      »Vielen Dank, dass Sie hier außerhalb der Geschäftszeiten so großzügig Zigarren verteilen. Das ist ein feiner Zug von Ihnen«, meinte Robert zu dem verdutzt dreinblickenden Herrn Santotzky.

      »Eigentlich war es… äh… ja nicht kostenlos gedacht, aber… nun ja, weil heute Weihnachten ist, mache ich Ihnen einen Freundschaftspreis«, stotterte der.

      »Und weil heute Weihnachten ist, bezahle ich natürlich den regulären Preis für diese Zigarren«, sagte Robert.

      Er holte seine Brieftasche aus der Innentasche des Mantels und reichte dem Mann, der wie angewurzelt dastand, einen Hundert-Mark-Schein.

      »Das reicht aber nicht ganz«, stammelte Herr Santotzky.

      »Ach, was mache ich denn?«, sagte Robert und tat so, als hätte er das nicht mit Absicht gemacht.

      Er griff erneut in seine Brieftasche. Und diesmal hielt er ein ganzes Bündel Hundert-Mark-Scheine in der Hand und legte es in die fast leere Zigarrenkiste.

      »Das ist dafür, dass Sie Ihrer Frau mal was Anständiges zum Anziehen kaufen.«

      Robert verzog gekünstelt mitleidig das Gesicht und holte noch ein Bündel Scheine aus der Brieftasche. Herr Santotzky fragte sich wohl, was als Nächstes kommen würde, und machte eine abwehrende Handbewegung. Robert schoss auf den Mann zu und stopfte ihm ein paar Scheine in den Mund.

      »Das ist dafür, dass sie ihren Tritt in Zukunft selber wischen.«

      Herr Santotzky spuckte die Scheine im hohen Bogen aus, dabei verzog er angewidert das Gesicht. Robert sammelte alle Scheine wieder ein, auch die aus der Zigarrenkiste nahm er heraus.

      »Ich nehme das Geld jetzt wieder an mich, weil Sie es ja sowieso nicht Ihrer Frau geben werden.«

      Ich bemerkte Roberts Brandstifterblick, als er die Scheine in der Hand bündelte und sie der ängstlich wirkenden Frau Santotzky in die Tasche ihres Kittels stecken wollte. Sie lehnte energisch ab und verschwand mit Eimer und Schrubber im Laden.

      »Da ist Ihnen ja was ganz Tolles eingefallen!«

      Herr Santotzky hatte sich etwas gefangen und versuchte nun, die Sache ins Lächerliche zu ziehen. Er hatte die Kiste auf den Boden gestellt und klatschte in die Hände.

      »Bravo!«, rief er, »bravo!«

      Robert öffnete die Kiste und leerte seine Taschen dort hinein aus. Die meisten Zigarren waren kaputt und nicht mehr zu gebrauchen. Herr Santotzky schnappte sich die Zigarrenkiste und stolzierte wie ein Gockel in seinen Tabakwarenladen.

      »Was soll der großkotzige Quatsch?«, fragte ich, obwohl ich im Stillen fand, dass es auch was hatte.

      »Dann nimm du das Geld, bitte.«

      Er blickte zur Seite. Niclas und Daniel spielten auf den Treppen am Pferdemarkt. Auf dem Platz davor räumte gerade ein Straßenmusikant seine Sachen zusammen.

      »Ich will dir keine Almosen geben«, sagte er.

      »Dann lass es doch gefälligst auch«, meinte ich entrüstet.

      Er fasste in die Brusttasche seines Mantels und holte erneut einen dicken Stapel Geldscheine heraus, die er mir in die Hand gab.

      »Es sind zehntausend Mark. Ich weiß, was Henry verdient, und ihr habt Kinder. Du bist finanziell auf ihn angewiesen. Es ist nicht gerade viel Geld, aber so fürs Erste, als kleine stille Reserve für dich.«

      »Wo hast du so viel Geld her?«, fragte ich. Für mich war es viel Geld, so viel hatte