Gabriela Bock

Der Schuh


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was für mich eine Umstellung darstellte. Vegetarisch kochen, bedeutet ja mehr, als nur einfach das Fleisch wegzulassen.

      Plötzlich stand er neben mir, Hans, ein alter Freund meines Vaters. Eine imposante Erscheinung, hundertvierzig Kilogramm echte Lebensfreude, Junggeselle und absolut kein Kostverächter.

      »Süße!« Ich bekam einen dicken Knutscher auf meine Wange. »Lass dich umarmen, Mädchen, du schönes Geschöpf. Die Kinder stehen dir gut.« Er sah wohlwollend an mir herunter, bevor er mir fast die Luft abdrückte.

      »Ach, das weißt du schon?«, fragte ich provokant.

      »Willst du mich jetzt daran erinnern, dass ich meinen alten Freund Konstantin in letzter Zeit total vernachlässigt habe? Und nicht nur ihn, euch auch. Komm her Süße, ich mach es wieder gut. Ich koch uns was Schönes.«

      Eine von Hans’ großen Leidenschaften war das Kochen. Eigentlich hatte ich keine Zeit, aber Hans hatte mich untergehakt, und auf dem Weg zur Kasse behauptete er, er hätte da was Oberleckeres, extra schnell, für ganz besonders eilige Gäste. Im Feinkostladen kauften wir noch zwei Flaschen besten Weißwein.

      Das Haus in dem Hans wohnte, hatte er vor Jahren von meinem Vater gekauft, der hatte es wiederum von seiner Lieblingstante Maria geerbt. Das Haus war ein Schmuckstück in bester Wohnlage, direkt neben dem Kurpark von Bad Pyrmont. Konstantin hatte damals mit sich gerungen, es selbst als Wohnhaus zu nutzen, aber sie hatten gerade das Reihenhaus gebaut, als die Tante starb. Einen besseren Käufer als Hans hätte Konstantin nicht finden können. Hans hatte das Haus nach dem Kauf mit viel Liebe und großem Gespür für kleine Details renovieren lassen.

      Hans wohnte oben, unten befand sich seine Anwaltskanzlei. Die Zimmer, in denen er sich am meisten aufhielt, waren zu der breiten Allee vor dem Haus hin ausgerichtet, der Flaniermeile Bad Pyrmonts, damit Hans immer genau sehen konnte, was in dem Kurort so vor sich ging.

      Er schnippelte und brutzelte nach einem Rezept, das er aus dem Süden der Vereinigten Staaten mitgebracht hatte. Dazu hörten wir reinsten ›New Orleans Blues‹. Wir unterhielten uns über vergangene Zeiten und er erkundigte sich, wie es mir so gehen würde mit Ehe und Kindern. Hans hatte mich schon immer verstanden, auch in Zeiten meiner wildesten Eskapaden.

      Dann wurde plötzlich ernst. »Eigentlich wollte ich dich erst besuchen, wenn ich meine Recherchen völlig abgeschlossen habe, aber jetzt, wo mir das Glück vergönnt ist, dich mal hier zu haben ... Deinen Vater will ich auch nicht mit diesen Geschichten belasten. Übrigens, hast du eigentlich immer noch diese fantastische, übersinnliche Gabe, die Dinge vorauszuahnen? Und deine Träume, Emilia. Diese unglaublichen Vorwegträume. Hast du das noch? Sag!«

      »Ich kann in meinen Träumen nicht mehr umherfliegen. Und sie werden immer düsterer und beängstigender«, sagte ich.

      »Siehst du ein Unheil heraufziehen?«, fragte Hans.

      »Im Augenblick sehe ich am Tag und in der Nacht Windeln und Rotznasen. Aber wenn ich träume, sehe ich etwas, was mit Eva zu tun hat und mir Angst macht«, bemerkte ich.

      »Eine Gefahr ist mit Sicherheit diese Frau von Grosche«, meinte Hans, »dir und Eva ist doch sicher schon zu Ohren gekommen, dass sie überall herumerzählt, ihr hättet Eva rauschgiftabhängig gemacht und sie überredet, nach Berlin zu ziehen, damit sie dort einen Dealer-Standort einrichtet. Du wärst ja immer schon so eine Halbseidene gewesen und der Job von deinem Mann wäre auch nur Tarnung.«

      Ich musste laut lachen. Hans nahm meine Hand und sah mir tief in die Augen.

      »Wie du weißt, war ich ein glühender Verehrer von deiner Tante Doro. Aber leider lebte sie nach der Trennung von deinem brutalen Onkel nicht mehr lange genug. Aber ich habe sie so geliebt, dass ich sie auf der Stelle weggeheiratet hätte. Sie war älter als ich, von Tabletten abhängig. Das wäre mir völlig egal gewesen. Sie war so schön, so einmalig. Ihre verletzte Seele. Was meinst du, was sich in diesem Gruselhaus alles abgespielt hat? Und nur dieser Mann hat sie auf dem Gewissen. Kurz vor ihrem Tod bat sie mich, ich solle mich um Eva kümmern, wenn sie nicht mehr da wäre. Jetzt mache ich mir Sorgen um Eva.«

      Ich nahm noch etwas von dem Fisch, der in einer wohlschmeckenden Soße aus Zwiebeln und Fruchtstücken schwamm.

      »Zu meinen Eltern hat Onkel Ernst-Walter völlig den Kontakt abgebrochen«, sagte ich kauend und lobte noch einmal das köstliche Essen.

      »Ich habe jetzt so ein bisschen was über diese Frau von Grosche herausbekommen«, meinte Hans und zog einen Schreibblock aus der Schublade des Esstisches. Das Thema schien ihn sehr zu beschäftigen. »Sybille von Grosche, geborene Sybille Schulze, hatte damals in Königsberg eine Vorliebe für sehr viel ältere Männer. Auf jeden Fall heiratete sie zu Beginn des Krieges den Doktorvater deines Onkels.«

      »Herrn von Grosche«, fiel ich ihm ins Wort.

      »Der Mann hieß Leiner und starb kurz darauf an Altersschwäche. Mit ihm hatte sie keine Kinder. Dann lernte sie Herrn von Grosche kennen, einen Richterkollegen von deinem Onkel. Sie heirateten. Nach dem Krieg machte Herr von Grosche Karriere in der Justiz. Auch mit ihm hatte sie keine Kinder. Sie hat eine Schwester, Irmgard heißt die und ist mit einem Herrenschneider aus Oldenburg verheiratet, dort wohnt sie auch. Sie hat mit ihrem Mann eine Tochter, die kinderlos geblieben ist. Sybilles erster Mann und Herr von Grosche waren kurioserweise auch ohne Geschwister aufgewachsen. Mit einer großen Familie konnte diese Frau nie aufwarten. Herr von Grosche starb vor acht Jahren. Sie fand ihn tot vor der Toilette. Kurz darauf entdeckte die Gute ihre Vorliebe für sehr viel ältere Männer wieder neu. Da ihr Mann ein Spieler gewesen war und ihr mehr Schulden als Bares vermacht hatte, besorgte sie sich das Geld auf anderen Wegen. Alle Männer starben, kurz nachdem sie ein Testament zu ihren Gunsten gemacht hatten, laut Totenschein eines natürlichen Todes. Weil nie Angehörige vorhanden waren, erbte sie immer die gesamte Barschaft, versteht sich.«

      »Und wo kommt dieser Neffe her?«, fragte ich. Es war ja schon unglaublich, was Hans so erzählte.

      »Das ist genau das, was ich dir eigentlich damit sagen möchte, Emilia. Der heißt wirklich Frank Holtziegel, der Name tauchte noch nirgends in Zusammenhang mit einem Verbrechen auf und er ist auch nicht vorbestraft. Jedenfalls ist er noch nie erwischt worden. Seine Frau hat mal das Finanzamt beschissen mit unterschlagenen Einnahmen aus ihrem Kosmetikinstitut, was sie auch nicht mehr besitzt. Dafür gab es aber nur eine saftige Geldstrafe. Auffallend ist doch, dass sie beide dicke Autos fahren und die Töchter auf einem teuren Internat sind. Die Herkunft des Frank Holtziegel, so wie die seiner Frau, einer geborenen Dörne, lässt nicht gerade eine große Erbschaft vermuten. Beide stammen aus sehr ärmlichen Verhältnissen und waren schon kurz nach der Heirat hoch verschuldet.« Hans schlug die dritte Seite seines Schreibblocks auf. »Ich gönne jedem Arbeitslosen, dass er gut gekleidet ist, aber hast du mal ihre Klamotten gesehen? Nur vom Feinsten. Ich frage mich einfach: Wo haben die das Geld her, um so einen auf dicke Hose zu machen? Wenn du sie fragen würdest, würden sie ›von Tantchen‹ sagen. Und so wird es auch sein. Die Frage ist doch nur, was die dafür für Tantchen machen. Und das, wo er doch nachweislich gar nicht ihr Neffe ist.«

      »Was glaubst du?«, fragte ich, total erstaunt, was Hans alles wusste.

      »Ich tippe mal so auf Finanzberater bei Erbschaften, Bodyguard, der Mann fürs Grobe«, meinte Hans.

      »Weißt du, dass Eva von Anfang an schon misstrauisch gewesen ist und unglaubliche Dinge über ihren Vater herausbekommen hat?«, fragte ich, froh darüber, endlich jemanden gefunden zu haben, den das interessierte.

      Hans wurde so weiß wie die Wand, vor der er saß.

      »Um Himmels willen, Emilia. Bitte erzähl Eva nichts von unserem Gespräch heute Abend. Wenn du die Möglichkeit hast, halte sie davon ab, ihrem Vater gegenüber in die Offensive zu gehen. Wenn der Alte anfängt, um sich zu schlagen, und das mit solchen Leuten an seiner Seite, dann wird es für Eva gefährlich. Später erzähle ich dir mehr. Emilia, ich bin gerade an der Sache dran, aber es ist nicht ganz einfach.«

      Ich kam gegen Mitternacht nach Hause. Außer den Hunden schliefen schon alle. Als ich zu Henry unter die Decke kroch, brummte der nur: »Wo kommst du denn jetzt erst her, konntest du nicht durchrufen?«