Wie schön sie ist. Nackt sitzt sie im Bett und zittert.
»Hat er dich geschlagen?«
»Es geht dich überhaupt nichts an, du kleines armseliges Muttersöhnchen, du Sohn einer Abtrünnigen.«
Der Schlag trifft ihn hart. Auch sein Vater ist nackt. Er ist groß, kräftig. Der Junge versucht gar nicht, sich zu wehren, während sein Kopf an den Haaren nach hinten gezogen wird. Er hat das Messer an der Kehle.
»Manchmal denke ich schon daran, meine Brut samt der Mutter auszumerzen. Aber dann fällt mir ein, gerade mit dir, mein Sohn, habe ich noch viel vor. Vielleicht wird aus dir ja doch noch mal ein Mensch.«
»Bitte verschone den Jungen.«
»Ich sagte schon, halt dich da raus. Du hast hier gar nichts zu melden!«
Ein weiterer Schlag trifft ihn kaum noch. Es ist nicht so schlimm wie die psychischen Misshandlungen und die Schläge mit Worten.
»Hier, nimm das Messer mit, du kleiner Feigling. Das traust du dich ja doch nicht.«
Wenn er groß ist, wird er ihn töten. Er wird viele Waffen besitzen. Nur die bloße Vorstellung daran gibt ihm inneren Frieden.
Kapitel 1
Fasziniert von Musik und Stimmung durchquerte ich schwankend den Raum und ließ mich schließlich auf das breite, weiche Sofa fallen. Alles war gut … Mucke, Leute und Helgas Rotweinbowle, von der ich eindeutig zu viel getrunken hatte. Vielleicht hätte ich nicht auch noch an dem Joint ziehen sollen, der draußen auf dem zugigen Balkon rumgegangen war.
Aber egal, worüber machte ich mir eigentlich Gedanken? Auch wenn dies Pauls Geburtstagsparty war, gab es für mich allen Grund zu feiern. Erst vor einer Woche hatte ich mein Baby abgestillt und dabei eine – bis dahin unbekannte Schwermut – empfunden, die bis zu diesem Abend angehalten hatte.
Aber, jetzt war es vorbei. Alles gut überstanden. Den Nervenkrieg mit Niclas’ Erzeuger, dem Arsch, der sich dann auch kurz vor der Geburt aus dem Staub gemacht hatte. Die Geburt … die erste Zeit mit dem Kleinen … die Schwangerschaft war toll gewesen. Ich war mir noch nie so schön vorgekommen wie während dieser Zeit. Meine langen schwarzen Kringellocken hatten geglänzt wie nie zuvor und mein sehr schmaler Körper hatte ein paar Rundungen bekommen. Eines Abends hatte Paul mich angesehen und gesagt: » Emi, ich sehe es genau, du leuchtest ja richtig von innen.« Paul, der Mann meiner besten Freundin Helga, süß und etwas verrückt. Er musste es wissen, er arbeitete im Weser-Krankenhaus als Assistenzarzt auf der Gynäkologie. Er hatte mich auch dazu überredet, demnächst eine Ausbildung zur Krankenschwester zu beginnen. Ich musste mein Leben ändern, schon wegen der Verantwortung, die ich für Niclas trug. An diesem Abend hatte ich ihn bei meinen Eltern geparkt. Sie sind großartige Menschen und die besten Großeltern, die es für Kinder geben kann. Obwohl ich mit ihm nur eine Etage über ihnen wohnte, hatte Niclas bei ihnen alles, sogar ein eigenes Zimmer mit Babybett, Wickelkommode und Ersatzklamotten. Überhaupt, meine armen Eltern. Was hatte ich ihnen in der Vergangenheit bloß alles zugemutet?
Es lag mir fern, plötzlich enthaltsam zu werden, aber ich musste an Niclas denken, der brauchte eine beständige Mutter und keine, die ewig von einer Beziehung in eine nächste, meist noch chaotischere, schlitterte.
Seit langem war mir kein Mann mehr zu nahe gekommen, auch nicht Niclas’ Erzeuger. Männer waren Feiglinge und bekamen anscheinend einen verstärkten Fluchtreflex bei dem Anblick von dicken Babybäuchen, Kinderwagen oder stillenden Frauen. Ich wiegte mich zu der Musik hin und her und summte dabei. Alles drehte sich, als ich die Augen schloss. Hat eine geile Stimme, diese Sängerin Melanie, dachte ich.
Als ich die Augen wieder öffnete, erblickte ich Robert Hagedorn, der auf dem flauschigen Teppich vor meinem Sofa saß. Ausgerechnet Robert, der auf dem Gymnasium mal zwei Klassen über mir gewesen war und ein schrecklich arroganter Schönling! Robert, der ein unglaublicher Kotzbrocken sein konnte, mit seiner besserwisserischen Art, mit der er sich damals erfolgreich die Mitschüler vom Hals gehalten hatte. Eigentlich mochte ich Sonderlinge wie ihn. Aber er! Er war einer von der Sorte gewesen, an dessen verschlossener Art man sich die Zähne ausbiss. Außer Paul natürlich, der jeden und alles verstand, hartnäckig war, und der ihn als so was wie einen Freund bezeichnete. Wie verdammt gut Robert aussah, ich konnte kaum wegsehen. Würde ich inzwischen lallen? Ich dürfte mich in kein Gespräch verwickeln lassen, schon gar nicht mit Robert, der mich wahrscheinlich gleich fragen würde, warum ich damals, nach drei Jahren, das Gymnasium abgebrochen hatte und heute noch ohne Beruf dasaß. Ich, Emilia Weber, die Rakete im Sturzflug.
Was hatte ich schon alles versemmelt? Erst hatte ich meinen Realschulabschluss mit Ach und Krach auf der Handelslehranstalt nachgeholt, und später, nach knapp einem halben Jahr Lehre als Bürokauffrau, einer schrecklichen Zeit, im wahrsten Sinne des Wortes das Weite gesucht. Der Versuch, eine Ausbildung als medizinische Bademeisterin durchzustehen, schlug bereits nach zwei Monaten fehl. Ich konnte mich absolut nicht mit dem Gedanken anfreunden, ein Leben lang mit einem Beruf auskommen zu müssen, den ich nicht voll und ganz liebte. Zwischendurch hatte ich mich mit meist mies bezahlten Jobs über Wasser gehalten. Aber damit war jetzt Schluss, ich freute sich schon darauf, demnächst diese Ausbildung beginnen zu können.
Robert kniete inzwischen neben dem Sofa und sah mich ständig an. Seine langen, blonden Haare fielen auf mein Gesicht, als er mich küsste.
»Ich fand dich schon immer anders als die anderen Mädchen. Du warst netter zu mir und nicht so puppenhaft und schrill. So was kann ich an weiblichen Wesen überhaupt nicht leiden«, sagte er zu mir.
»Ich fand dich früher saublöd«, rutschte es mir raus. Dabei wunderte ich mich, noch einigermaßen klar sprechen zu können.
»Und jetzt?«, fragte er.
Ich schlang die Arme um Roberts Hals und zog ihn neben mich aufs Sofa. Dann strich ich ihm die Haare aus dem Gesicht und streichelte ihn sanft. Dabei berührte ich sein Antlitz mit meinen Lippen.
»Weiß ich noch nicht, bis jetzt gut.«
»Dann finde es raus, heute noch.«
»Hey ihr!«
Paul stand neben uns.
»Helga und ich, wir stellen euch unser Schlafzimmer zur Verfügung. Wollt ihr?«
»Wollen wir?«, fragte Robert und ich nickte ihm zu.
Er zog mich vom Sofa hoch. Paul grinste und drückte Robert zwei Stecklaken in die Hand, die die Aufschrift des Krankenhauses trugen, in dem er arbeitete.
Im Schlafzimmer beobachtete ich Robert dabei, wie er fein säuberlich die Laken auf die Matratzen des Ehebettes zog. Er bestand darauf, das Licht im Zimmer an zu lassen, weil er genau sehen wollte, was er mit seinen großen, schmalen Händen anfasste. Obwohl ich das den Raum kannte, fand ich ihn in der Nacht besonders karg ausgestattet, nicht nur der Aufdruck auf den Stecklaken erinnerte mich an ein Krankenhauszimmer. Ich registrierte die weißen Wände, die weiße Bettwäsche und genoss den intensiven, kühlen Blick aus Roberts graublauen Augen. Wie er über meinen Körper glitt. Immer und immer wieder. Er bekam nicht genug davon.
»Meine Oberschenkel sind zu dick.«
»Oh nein.«
Robert drehte mich zum x-ten Mal in dieser Nacht auf den Bauch. Er fuhr mit der Hand über das große Muttermal zwischen meinen Schulterblättern.
»Es hat mich vorhin zuerst erschreckt und etwas gestört, aber jetzt habe ich mich daran gewöhnt.«
»Gehörst du zu den Exorzisten, dass dich mein Hexenmal stört?«
Robert lachte. Es war so ein erotisches Lachen, mit einem kleinen Gluckser am Ende.
»Wer außer dem Leibhaftigen persönlich würde es lebend überstehen, die Nacht mit einer Hexe zu verbringen?«
»Oh Exzellenz.«
Auf