Gabriela Bock

Der Schuh


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Er grinste belustigt. »Das hier ist so ‘ne Art Sportschule. So was will ich mal selber haben. Und zwar bald. Dafür brauche ich Geld.«

      »Ich habe ein sehr kleines Kind und arbeite als Krankenschwester«, sagte ich. »Was ich verdiene, genügt mir. Wirst du mich hier wieder rauslassen?«

      »Was glaubst du denn, ich werde dich zu nichts zwingen. Du solltest aber besser nicht um diese Zeit im Dunkeln auf der Straße rumlaufen.«

      Er stand auf, zog sich an und verließ das Zimmer. Ich wurde eingeschlossen. Schnell zog ich meine Sachen über und ging zum Vorhang. Nach draußen führte eine Terrassentür. Sie war verschlossen. Auch jetzt vermisste ich die Sterne am Himmel, die mich wenigstens etwas hätten trösten können.

      Ich legte mich zurück aufs Bett. Es konnte alles nicht wahr sein. Was für ein kaltes Monster musste ich sein, dass ich das alles so einfach über mich ergehen ließ?

      War ich die geborene Prostituierte? Gewisse Männer animierte ich wahrscheinlich mit meinem weichen, leidensfähigen Gesicht. Es wirkte wie ein Signal. Dabei war ich doch eine starke Person. Oder?

      Ich lag wach, bis es draußen dämmerte. Hoffentlich entließ mich dieser Mann bald. Ich saß im Bett, als er die Tür aufschloss.

      »Los, komm her!«, sagte er, als wäre ich seine Komplizin.

      Er ließ mich auf das einzige normale Klo in einem Raum voller Pissoirs, weil ich nötig musste. Es brannte beim Pinkeln.

      »Sei leise!«, befahl er mir, als wir den Flur mit den vielen Türen entlanggingen. Er schloss die große Tür auf und schob mich raus.

      »Alles Gute für dich und dein Kind«, sagte er.

      »Danke«, antwortete ich.

      Vorne stand ein großes Tor auf. Ich ging schnell. Möglichst unauffällig sah ich auf die Hausnummer. Nirgends war ein Schild, auf dem Sportschule oder so stand, zu sehen. Sogar der gehäkelte Beutel mit meinem Geld hing noch an dem Gürtel meines Rockes. Zur Not befand sich auch noch etwas Geld in dem kaputten Futter meiner Stiefel. Hatte ich das wirklich erlebt? Mein Kopf schmerzte vom Alkohol und den Schlägen gegen die Kabinenwand. Ich hatte nichts weiter in mir als den Wunsch, nach Hause und zu Niclas zu kommen. Ich ging auf den nächsten Taxistand zu. Die Stadt war inzwischen wach.

      Der Bulli stand noch da, wo er am Abend zuvor gestanden hatte. Entschlossen riss ich die Schiebetür auf. Robert hatte wohl nicht geschlafen, er sah völlig übermüdet aus. Er lag mit dem Mädchen aus der Diskothek zugedeckt auf dem Fell des Bettes. Augenblicklich machte er sich hoch und zog sich seine Hose über.

      »Wo warst du? Ich habe mir Sorgen um dich gemacht.«

      Ich umarmte Robert. Der schob mich von sich weg und sah mich genau an.

      »Du siehst furchtbar aus, Emi. Was ist mit dir passiert?«

      »Ich bin mit so einem Typ mitgefahren und dann in einer Sportschule aufgewacht.«

      »Ach ja, das soll ich dir glauben? Bekommt man davon blaue Flecken und ein Hörnchen an der Stirn?«

      Ein Blick in den Spiegel. Tatsächlich hatte ich über der rechten Augenbraue einen stark angeschwollenen Bluterguss sitzen. Bauchschmerzen ohne Ende. Ich zog mich um. Robert taxierte meinen Körper.

      Ich wusste, dass ich für alle Frauen, die noch nach mir auf diese Männer stoßen würden, zur Polizei gehen musste. Aber lief ich da nicht Gefahr, mein Baby zu verlieren?

      »Was ist mit ihr?«, fragte ich, »hast du mit ihr? Geht mich ja eigentlich nichts an.«

      Robert schwieg, schob dann einen Ärmel des weißen Rollkragenpullovers hoch, den das Mädchen trug. Ihre Arme waren total zerstochen.

      »Wir müssen sie mitnehmen. Ich habe versprochen sie nicht alleine zu lassen«, meinte Robert. Also fuhren wir mit dem Mädchen, das hinten im VW Bus auf dem Bett schlief, zurück.

      »Ich will nach Hause, nur noch nach Hause«, sagte ich.

      »Hat das Schwein einen Namen? Weißt du, wer er ist?«, fragte Robert. »Ich bringe den auf der Stelle um.«

      »Robert, eine Frage«, ich zögerte, »hältst du mich für gefühlskalt? Bin ich eine kalte Person?«

      »Du? Du bist die wärmste Person, die ich kenne. Die zärtlichste, mit den schmalsten Schultern, die ich jemals an einer Frau gesehen habe.«

      »Ich bin kein Opfer!«, fuhr ich ihn an. Ich hasste es, wenn man mich als zarte, schwache Frau ansah. Ich, das behütete Einzelkind, wollte schon immer verwegener und robuster als die anderen sein. Dafür hatte ich viel im Leben in Kauf genommen und war vor keinem aberwitzigen Abenteuer zurückgeschreckt.

      »Du bist zu schade für die Welt und eigentlich viel zu schön, um frei rumzulaufen. Du brauchst wen mit besonders breiten Schultern, der auf dich aufpasst. Aber, wo wir schon mal beim Thema sind: Bitte, lass mich ein Opfer aus dem Schwein machen und erzähle mir endlich, was mit dir passiert ist.«

      »Schon gut«, log ich, » lässt mich völlig kalt.«

      Wir schwiegen.

      »Wenn jemand Niclas was antun würde, den könnte ich töten«, sagte ich nach einer gewissen Zeit, »oder Eva.« Tatsächlich hätte ich jeden umgebracht, der meiner jüngeren Cousine Eva so was angetan hätte. So was, was mir gerade passiert war. Ich liebte Eva. Sie war vier Jahre jünger als ich und ich hatte sie immer als Schwester betrachtet.

      »Du könntest niemanden töten. Du laberst doch auch nur rum. Wir wissen beide nicht, wovon wir sprechen«, fauchte ich Robert an. Seine Züge verfinsterten sich.

      »Du weißt zum Glück gar nichts von mir. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist. Glaub mir, ich könnte es, ich könnte töten. Ich habe schon ernsthaft überlegt, ob die RAF für mich Verwendung hat.« Sein Blick wurde arrogant. »Aber du weißt ja noch nicht mal, wer das ist, oder?«

      »Natürlich weiß ich das. Für wie blöd hältst du mich eigentlich?«

      »Politisch für äußerst blöd.«

      Ich hatte keine Lust zu streiten.

      »Ich weiß, was Hass ist. Vor Jahren wollte ich mal meinen Vater töten«, sagte Robert.

      »Warum?«

      Es war das Letzte, was ich nachempfinden konnte.

      Roberts Augen funkelten, als er mich ansah.

      »Ich empfinde nur Hass für ihn. Er hat dieses sackartige, formlose Etwas aus meiner Mutter gemacht, dabei war sie so eine schöne, lebenslustige Frau. Aber er fühlt sich nur groß, wenn er andere kleinmachen kann. Er lässt auch Größe zu bei anderen, aber nur, wenn er sein Werk darin sieht. Wenn er sie manipulieren kann, verbiegen nach seinen kranken Vorstellungen. Er hat es mit uns allen versucht. Bei meiner Mutter hat er es geschafft. Sie besitzt kein Selbstwertgefühl mehr, geht kaum noch aus dem Haus. Seine Mutter ist die Größte, die wird von ihm vergöttert, und es ist selbstverständlich, dass sie alles benutzt und besitzt, was ihr Leben erleichtert. Sie steht nämlich auf dem Sockel, der auf diesem Fundament steht. Und weißt du, wie dieses Fundament heißt? Hagedorn! Eine große, selbstherrliche Sippe. Sie bestimmen, wer auf diesem Sockel steht, oder wer, wie meine Mutter, davor liegenbleibt. Du bekommst das Kotzen, wenn du dich da reindenkst. Er hält meine Mutter kurz, obwohl er als Bäderarzt und Privatdozent gutes Geld verdient. Arbeiten darf sie auch nicht, Frauen gehören ja ins Haus oder haben einen akademischen Beruf, dann aber bitte keine Kinder. Sie putzt und schrubbt und duckt sich. Äußerlichkeiten sind ja nicht alles, aber sie, sie besitzt seit Jahren nur einen Mantel, den sie im Sommer wie im Winter trägt. Er betrügt und quält sie.«

      »Hast du noch Geschwister?«

      Ich wunderte mich, dass ich noch nie mit Robert darüber gesprochen hatte.

      »Ja, zwei