sich nicht an unserem Gespräch beteiligen, Fräulein? Ich kenne ja noch nicht mal Ihren Namen.«
»Frau«, verbesserte ich sie, »Frau Emilia Weber. Wenn Sie wollen, können Sie auch Emi zu mir sagen. Leider spreche ich kein Französisch.«
Wieder wurde Französisch gesprochen und diesmal übersetzte Robert.
»Meine Großmutter fragt, ob du keine Schulbildung besitzt und was du so beruflich machst?«
»Sag ihr doch die Wahrheit, dass du mich stockbesoffen in einer Eckkneipe aufgegabelt hast und ich fünf Kinder von fünf verschiedenen Männern habe«, sagte ich auf Englisch zu Robert. Vielleicht hatte ich ja Glück und die Alte sprach kein Englisch. Und wenn doch! Was hatte ich bei der schon zu verlieren?
»So will ich dich hören«, erwiderte Robert auch auf Englisch, »ich wusste, du würdest so reagieren.«
Die alte Frau wirkte irritiert, damit hatte sie nicht gerechnet.
»Emi beginnt demnächst eine Ausbildung zur Krankenschwester, und sie hat einen süßen kleinen Sohn. Unehelich natürlich, wie sich das gehört.« Robert schien amüsiert zu sein.
Wieder wurde Französisch gesprochen. Robert übersetzte.
»Sie fragt, was ich mit so einer dahergelaufenen Zigeunerin will. Ob ich nicht aus den Fehlern meines Vaters schlau geworden bin, der hat auch nur so eine Lazaretthelferin ohne Bildung geheiratet.«
»Was hat deine Großmutter denn für einen Beruf?«, fragte ich provokativ auf Englisch.
Robert übersetzte. Die alte Frau stand auf. Sie wirkte so viel kleiner. Wäre das Ganze nicht so traurig gewesen, hätte ich laut losgelacht, aber so war ich nicht erzogen. Ich hatte Respekt vor dem Alter. Eigentlich.
»Hat Robert Ihnen nicht erzählt, wer ich bin? Ich bin die Witwe von Oberst Hagedorn, falls Ihnen das ein Begriff ist. Ich habe sieben Kinder zu dem gemacht, was sie heute sind: einflussreiche und wertvolle Menschen. Und jetzt gehen Sie bitte, bevor ich Sie aus meinem Haus entfernen lasse.«
»Du hast dich daneben benommen, Großmutter. Ich bin enttäuscht und werde jetzt auch gehen«, stieß Robert triumphierend hervor.
»Bitte, dann geh!«, sagte die alte Frau und machte Anstalten den Raum zu verlassen. Ich war schneller als sie, warf Robert einen wütenden Blick zu und stürmte nach draußen. Die Eingangstür hatte ich mit voller Wucht zugeschlagen.
Im falschen Film! Ich war im falschen Film gelandet. In einem miserablen Streifen mit zum Teil lächerlicher Besetzung! Trotzdem wartete ich auf ihn. Robert wirkte zufrieden, als er die Villa verließ. Ich ging auf ihn zu und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Sollte er meine aufgestaute Wut ruhig ordentlich spüren. Ein kräftiger Schlag! Er sollte merken, dass ich keine zarte, schwächliche Person bin.
»Du wirst mich nicht noch mal vorführen!«, schrie ich ihn an, »eigentlich müsste dir dein Vater leidtun!«
»Tut dir jemand leid, der dieses Spiel mitspielt und nichts daraus gelernt hat, als den Druck weiterzugeben?«
Ich ging schnell die Treppen runter, Robert folgte mir. Unten vor der Treppe angekommen, drehte er sich um und breitete die Arme aus, seine Fäuste zeigten auf die Löwen, die Zeigefinger nach vorn gestreckt und die Daumen nach oben.
»Päpäpäpäpäh, päpäpäpäpäh, päpäpäpäpäh!!!«
Er feuerte mehrere Salven auf die Löwen ab und lachte dabei wie irre.
»Mach so was nie wieder«, sagte ich während der Fahrt.
»Du warst klasse«, schwärmte Robert.
»Wenn sie dich jetzt enterben und dir den Geldhahn zudrehen? Wo würdest du dann das Geld für dein Studium und die teuren Klamotten herbekommen?«, fragte ich.
In gewissen Dingen bin ich nun mal praktisch veranlagt.
»Ich arbeite an meiner Unabhängigkeit. Dafür trainiere ich schon und mache mir meine Gedanken«, meinte Robert und blickte mich mit seinem Brandstifterblick an.
Niclas schlief schon fest in seinem Bettchen, in dem hellblau-weißen Kinderzimmer bei meinen Eltern. Die Hitze stand noch in meiner Wohnung, deshalb ließen wir die Fenster weit geöffnet und die Vorhänge im Wind wehen. Die Nacht hatte eine Abkühlung nötig. Ich brauchte nur zwei Teile ausziehen. Natürlich war das Licht an und dicke Nachtfalter kreisten um die Lampe. Vor ihnen habe ich Angst und verabscheute es, wie sie um meinen Kopf flogen. In dieser Nacht war alles anders als sonst. Wir stürzten uns aufeinander, wie zwei, die lange getrennt waren.
»Wir dürfen nicht mehr miteinander schlafen. Wir verletzen uns zu sehr damit«, sagte Robert, »wir verlieben uns immer mehr und … Emi, du brauchst was anderes. Etwas, was ich dir nicht geben kann. Ich würde dich unglücklich machen.«
Vor Traurigkeit schmerzte mein gesamter Körper.
»Lass uns Freunde bleiben«, sagte ich und drehte den Kopf zur Seite, damit er nicht mitbekam, wie meine Augen feucht wurden.
»Für immer die besten«, sagte Robert.
Ich fand sein Verhalten großartig. Unheimlich fair Niclas und mir gegenüber.
Kapitel 8
Nach den ersten Monaten meiner Ausbildung zur Krankenschwester wunderte ich mich, dass es mir nicht schon viel früher in den Sinn gekommen war, diesen Beruf zu erlernen. Das frühe Aufstehen, ich musste um sechs Uhr auf Station sein, fand ich wirklich ätzend. Aber es gab Blockunterricht und Spätschicht, was die Sache etwas auflockerte und erträglich werden ließ. Allerdings musste ich den fürchterlichsten Drachen des Krankenhauses zurzeit beinah jeden Tag ertragen. Schwester Veronika, die Stationsschwester der chirurgischen Frauenstation. Die Bedauernswerten, die ständig auf dieser Station arbeiten mussten. Als Schülerin durchlief man zum Glück alle Stationen und bald würde ich es hinter mir haben. Überhaupt war die Chirurgie nicht unbedingt mein Ding. Die Entbindungsstation mit den Babys und den Wöchnerinnen war da schon eher was für mich, und ich überlegte, ob ich nicht Säuglingsschwester oder Hebamme werden sollte.
Manchmal kam Paul auf Station vorbei, um mich zu besuchen. Dadurch war ich schlagartig in der Gunst der anderen Schwestern und Schülerinnen gestiegen. Paul, der ohnehin ein Charmeur war, machte dann seine für ihn typischen Späßchen und Bemerkungen. Weil ich das schwarze Haar unter meinem Häubchen zum Knoten gesteckt trug, nannte Paul mich immer ›Schwester Dolores‹.
»Was macht denn meine geliebte Schwester Dolores heute hier noch so außer Flamenco tanzen?«, fragte er. »Oh, ich sehe schon, ein Tänzchen mit dem Herrn Schieber, dem glücklichen Stinker!«
Oder er schnappte mich und zog mit mir im Tangoschritt über den Flur. Die anderen vom Krankenhauspersonal und die Patientinnen, die aufstehen durften und in ihren Bademänteln auf dem Flur entlangflanierten, amüsierten sich köstlich. Nur der Drache meckerte: »Vergessen Sie Ihre Arbeit nicht, Emilia!«
»Die wird mir eine schlechte Bewertung schreiben«, sagte ich.
»Nicht für diesen Tango«, frotzelte Paul.
Was so locker rüberkam, täuschte vielleicht etwas darüber hinweg, dass ich meist nicht abschalten konnte, wenn ich etwas Bedrückendes erlebt hatte. Das Schicksal der Patienten rührte mich sehr und ich nahm die Bilder mit nach Hause. Die älteren Schwestern versuchten mich zu beruhigen: Das wird besser, wenn man lange genug dabei ist, dann stumpft man irgendwie ab. Das war das Allerschlimmste, was ich mir vorstellen wollte, und es wäre ein Grund für mich gewesen, sofort mit der Ausbildung aufzuhören. »Abstumpfen«, wie sich das schon anhörte. Überhaupt wollte ich in keinem Bereich des Lebens mit den Jahren abstumpfen.
Endlich verdiente ich mal wieder eigenes Geld, wenn es auch sehr wenig war. Aber ich war wenigstens nicht mehr auf das Taschengeld von meinen Eltern angewiesen. Als Mutter Taschengeld zu bekommen, das passte in meinen Augen überhaupt nicht zusammen.