Das kennt sie von früher: Hierzulande gehören ein, oder auch mehrere Gläschen Korn zum Kaffeetrinken dazu. Jetzt bleibt ihr noch Zeit, die Küche zu reinigen.
Kurz darauf spürt sie eine Hand auf ihrem Arm und zuckt überrascht zusammen.
»Wollen Sie mal gucken?«, fragt Tina Schreiner und strahlt sie an. Kathrin folgt ihr. Tina führt sie von einem Zimmer zum nächsten mit den Frauen im Schlepptau. Nirgendwo ist mehr ein Stäubchen zu sehen. Nach der Besichtigungstour schauen sie alle erwartungsvoll an.
»Das haben Sie toll gemacht – und in solch einer Geschwindigkeit. Vielen Dank. Man könnte vom Boden essen. Aber das wollen wir natürlich nicht. Ich habe in der Küche gedeckt.«
Die Frauen lachen erfreut, stoßen sich gegenseitig an und folgen ihr in die Küche. Da läutet es.
»Das muss meine Schwägerin sein«, sagt Tina. Das Lächeln erlischt schlagartig auf ihrem Gesicht. »Sie will die Frauen zu ihrem nächsten Einsatz abholen. Hoffentlich macht sie keinen Stress wegen des Kaffeetrinkens. Und meine Tochter wollte auch kommen.«
An der Tür steht eine leicht rundliche, stark geschminkte Frau, in den Dreißigern, mit hochgesteckten blonden Haaren, neben ihr ein etwa siebzehnjähriges, schmales Mädchen mit langen blonden Haaren.
»Manuela Schreiner«, stellt sie sich vor. »Und das ist Chantal, meine Nichte. Sind die Frauen fertig mit Putzen?«
»Kommen Sie doch bitte herein, ich habe alle zum Kaffeetrinken eingeladen.«
In der Halle schaut sich Chantal nach allen Seiten um und ruft aus: »Hammer, das ist ja fast ein Palast!« Dann stürmt sie in die Küche, umarmt ihre Mutter und grüßt die polnischen Frauen.
Eine beklemmende Stille breitet sich aus, als Manuela die Küche betritt, missbilligend in die Runde sieht und sich ohne Gruß auf den bereitgestellten Stuhl setzt. Die Temperatur im Raum scheint zu sinken.
»Alles fertig?«, fragt sie und blickt die polnischen Frauen nacheinander prüfend an. Die nicken stumm.
»Sie haben gute Arbeit geleistet und sich eine kleine Stärkung verdient«, sagt Kathrin bestimmt. Nein, sie will sich nicht die Laune verderben lassen. Sie reicht Manuela Schreiner ein volles Schnapsglas, das diese sofort ergreift und hinunterkippt.
»Aber nur einen. Wir müssen schließlich noch arbeiten.«
Die Spannung löst sich. Jetzt reden alle durcheinander. Die Frauen laden sich nach Aufforderung ein Stück nach dem anderen auf den Teller und verputzten die Torte in einer enormen Geschwindigkeit.
»Eine Supertorte«, meint Chantal und schaufelt Sahne auf den Teller.
»Sie müssen mir unbedingt das Rezept geben. Ich backe auch nicht schlecht.« Tina sieht Kathrin an. »Wir haben auch einen Tortenservice. Zum Beispiel für Geburtstage. Eigentlich besteht der Tortenservice nur aus mir.« Sie kichert und lässt den Blick über den Tisch wandern. »Wissen Sie, dass es hier im Haus richtig tolles Geschirr, gegeben hat? Meißen und KPM. Das haben Sie offensichtlich noch nicht gefunden.«
»Meißen und KPM?«, hakt Manuela nach.
»Ja, das habe ich hier selbst gesehen«, bestätigt Tina. »Meine Mutter hat es immer bewundert und mir erzählt, wie kostbar und edel es ist.«
»Haben Sie auch Silber gefunden?«, fragt Manuela. Tina wirft ihr einen erstaunten Blick zu. »Weshalb fragst du?«
Manuela zuckt mit den Achseln. »Ach, nur so.«
»Was haben Sie denn mit dem Haus vor?«, mischt sich Chantal mit vollem Mund ein. »Wollen Sie es verkaufen?«
»Ehrlich gesagt weiß ich es noch nicht.«
»Bedenken Sie, dass Sie Ihre Wurzeln hier haben«, sagt Chantal.
Das hat sie garantiert in der Schule gehört, dieser Satz passt nicht zum üblichen Sprachschatz eines Teenagers, denkt Kathrin.
»Da ist was dran«, wirft Tina ein, »Dieses Haus ist nicht irgendein Haus. Die Familie Weingartner hat hier schon seit Generationen gelebt. Zu DDR-Zeiten sind sie ausquartiert worden und das Haus wurde als Ferienheim genutzt. Aber trotzdem sind sie im Ort geblieben. Ihren Vater habe ich nicht gekannt, aber Ihr Onkel war ein feiner Mensch, das hat meine Mutter immer gesagt. Die Familie soll sogar im Krieg Juden versteckt haben.«
Einen Moment lang hängen alle ihren Gedanken nach.
»Nicht, dass am Ende noch so ein geldgieriger Wessi auf die Idee kommt, das Ganze zu einem Luxushotel mit Seeblick umzubauen und dazu noch das eigene Personal mitbringt. Davon hätten die Leute hier überhaupt nichts!« ruft Tina plötzlich empört aus.
»Sie könnten das Haus aber auch an einen Einheimischen verkaufen«, murmelt Manuela. Alle schauen sie erstaunt an. Manuela wirft hastig einen Blick auf die Armbanduhr und sagt: »Jetzt sollten wir aber los, ihr Schnapsdrosseln. Der nächste Kunde wartet.«
»In Ordnung«, antwortet Tina. »Ich fahre mit Chantal in meinem Auto nach Potsdam. Wir wollen noch in eine Buchhandlung.«
»Eine Buchhandlung. Was für eine Streberin.« Manuela schüttelt verständnislos den Kopf.
Die Frauen stehen auf und geben Kathrin die Hand.
»Hat mich gefreut, Sie kennen zu lernen«, meint Tina.
»Ganz meinerseits.« Kathrin lächelt und begleitet die Frauen bis vor die Tür.
»Wenn Sie uns brauchen, rufen Sie einfach an, das ist meine Nummer.« Tina überreicht ihr eine Visitenkarte.
»Vielen Dank«, ruft Kathrin ihnen hinterher.
Bevor Manuela mit den polnischen Frauen in einem Kleinbus davonfährt, raucht sie noch hastig eine Zigarette im Hof und tritt dann die Kippe aus. Tina und Chantal besteigen einen alten Fiat, der kurze Zeit später zum Tor hinaus röhrt.
Erstaunlich, wie ein nostalgischer Kuchen und eine Flasche Korn die Stimmung heben können, denkt Kathrin. Es hat gutgetan, Leute im Haus zu haben. In dieses große Haus gehören Menschen. Jetzt herrscht wieder Stille, eine beklemmende Stille.
Ihr fällt ein, dass sie sich schon gestern vorgenommen hat, den Briefkasten zu leeren. Wahrscheinlich ist er vollgestopft mit Werbeflyern und Katalogen. Sie sieht in den Himmel, der sich zugezogen hat. Feiner Regen setzt ein, der sich auf dem Weg zum Briefkasten verstärkt. Sie klemmt schnell die Post unter ihre Jacke und läuft ins Haus. In der Küche legt sie alles auf den Tisch. Die Werbung sortiert sie sofort aus und wirft sie in den Papierkorb. Übrig bleiben Briefe von Immobilienmaklern die sich für das Haus interessieren. Da entdeckt sie zwischen den Kuverts ein gefaltetes Blatt. Als sie den Text liest, lässt sie es fast vor Schreck fallen.
„Keiner braucht dich hier! Hau ab, du Schlampe sonst wird es dir leidtun“, leuchtet ihr in roten Druckbuchstaben entgegen. Hinter dem letzten Buchstaben ist dilettantisch ein roter Fleck gemalt, der wohl eine Blutlache darstellen soll. Lächerlicher geht es nicht mehr. Die Nachricht erinnert sie an Detektivromane, die sie als Jugendliche gelesen hat. Ärgerlich zerreißt sie das Blatt und wirft es zu den Kaufangeboten von Maklern in den Papierkorb. Aber wer könnte dahinterstecken? Sie weiß keine Antwort.
Dämmerung setzt ein. Der Regen prasselt gegen die Fensterscheiben. Wenigstens muss sie heute nicht den Garten gießen.
Sie will sich nicht eingestehen, dass der Drohbrief sie doch in Unruhe versetzt hat. Sie läuft hinaus und schließt das schmiedeeiserne Portal zur Straße ab, danach die Haustür und die Tür zum Garten. Auch die Fensterläden verschließt sie sorgfältig. Jetzt fühlt sie sich sicherer.
Dann macht sie es sich in der Küche gemütlich. Sie zündet eine Kerze an, kocht einen Tee und blättert in einer Zeitschrift.
Sie blickt auf, als die Standuhr in der Halle zehnmal schlägt. Wo bleibt Frank? Ob er heute Abend zurückkommt? Auf ihrem Handy sind keine Nachrichten eingegangen und auf seinem meldet sich nur die Mailbox. Aber weshalb sollte sie beunruhigt sein?, redet sie sich ein. Vergeblich versucht sie, sich auf den Inhalt der Zeitschriften zu konzentrieren. Ihre Gedanken kreisen