es ähnlich zu gehen.
Drei Stunden haben sie miteinander verbracht, ohne zu merken, wie die Zeit vergeht. Kathrin fällt es nicht leicht, mit jemandem über persönliche Dinge zu sprechen. Aber sie vertraut Tina und hat ihr erzählt, was sich in den letzten Tagen Schlimmes im Haus ereignet hat. Es hat ihr gutgetan, von dem Drohbrief, dem anonymen Telefonat und dem blutigen Beil zu erzählen.
»Hallo«, reißt sie eine Stimme aus ihren Gedanken. Es ist der Nachbar, der die Gartentür zum Kutscherhaus zuschließt und einen cremefarbenen Hund mit schwarzen Ohren und schwarzer Schnauze, von der Größe eines Kalbs an einer soliden Leine führt.
»Hallo. Welch schöne Überraschung! Freut mich, Sie endlich kennenzulernen«, sagt er herzlich und hält den Hund, der an der Leine zerrt, mit aller Kraft fest. »Ich bin Manfred Altenhoff. Kurz bevor Ihr Onkel ins Pflegeheim musste, bin ich im Kutscherhaus eingezogen.«
Er nähert sich mit ausgestreckter Hand. Der riesige Hund kommt ebenfalls auf sie zu, hebt schnüffelnd die Schnauze und wedelte mit dem Schwanz. Kathrin weicht einen Schritt zurück.
»Nein, Sie müssen keine Angst vor Ali haben. Auch, wenn er ziemlich groß geraten ist. Er ist ein Kangal, ein türkischer Hütehund, lammfromm, selbst die Katzen dürfen ihn ärgern. Nur wenn jemand angegriffen wird, mischt er sich ein. Er braucht immer etwas, das er behüten und beschützen kann, und schlägt sich stets auf die Seite der Bedrängten und Verfolgten.« Er lacht und streicht dem Hund über den Kopf.
Kathrin mustert ihn. Manfred Altenhof könnte um die sechzig sein, ein attraktiver Mann mit gepflegtem Schnauzer und vollem Grauhaar. Er trägt eine teuer aussehende beigefarbene Leinenhose, dazu einen olivfarbenen, unförmigen Pullover und italienische braune Markenschuhe. Der Pullover muss ein Lieblingskleidungsstück von ihm sein. Mit so einem abgenutzten Teil lässt man sich sonst nicht in der Öffentlichkeit sehen. Das macht ihn noch sympathischer.
»Freut mich. Vielen Dank auch, dass sie sich um die Heizung gekümmert haben. Und dafür gesorgt haben, dass der Garten nicht total zuwuchert.« Kathrin wendet sich ab und will das Tor aufschließen.
»Einen Moment noch.« Er berührt leicht ihren Arm. »Ich bin ja jetzt ihr Mieter. Sie müssen mir sagen, auf welches Konto ich die Miete überweisen soll. Und falls sie was brauchen, klingeln Sie einfach.« Er zögert.
Kathrin gewinnt den Eindruck, dass er noch etwas loswerden will, aber nicht weiß, wie er es sagen soll.
Schließlich verabschiedet er sich mit einem »Geben Sie gut auf sich acht.«
Was meint er damit? War das eine wohlgemeinte Warnung oder nur so eine Floskel? Sie winkt ihm hinterher und schiebt ihr Fahrrad in den Hof. Was für ein netter Mensch!
Sie stellt fest, dass Franks BMW nicht im Hof parkt. Er muss also immer noch in Berlin sein. Ob er sich je an das Landleben gewöhnen kann oder will? Sie beginnt daran zu zweifeln und schiebt diesen Gedanken weit von sich.
Ihr Blick wandert über die Fassade des Hauses. Im Wilden Wein raschelt es und das Blattwerk bebt. Vermutlich nisten und lärmen dort mehrere Vogelfamilien. Ihr kommt der Gedanke, das Haus hätte nur auf ihre Ankunft gewartet, um zu neuem Leben zu erwachen. Genau wie die beiden Steinlöwen am Eingang, von denen sie sich beobachtet fühlt.
Den ganzen Nachmittag arbeitet sie im Garten wie eine Besessene. Zumindest eine oberflächliche Ordnung will sie herstellen. Wenn ihre Exkollegin Simone sie am Wochenende besucht, soll sie nicht ein völlig verwildertes Grundstück vorfinden. In der Gärtnerei hat sie Blumen und Tomatenpflanzen besorgt, die sie einpflanzen will. Sie richtet sich auf, um das Unkraut auf die Schubkarre zu häufen und hält für einen Moment inne. Nur zwei Meter von ihr entfernt sitzt eine getigerte Katze und sieht sie großäugig an. Kathrin redet beruhigend auf sie ein. Die Katze blinzelt, nähert sich vorsichtig und reibt sich an ihrem Bein.
»Na so was, du wirst ja Mutter! Lauf nicht weg, ich bringe dir was zum Futtern.«
Als sie zurückkommt, wartet die Katze noch immer auf dem gleichen Fleck. Kathrin stellt den Teller mit Thunfisch ins Gras. Sie hat auch eine Decke aus dem Haus mitgebracht. Nachdem der Teller leergefressen ist, leckt sich das Tier das Schnäuzchen.
»Komm mit, meine Schöne, ich werde dir ein Lager einrichten.« sagt Kathrin.
Die Katze folgt ihr in den Schuppen. In einer freien Ecke legt Kathrin die Decke gefaltet auf den Boden. Da hört sie es an der Vordertür läuten.
Am Tor steht ihr Chantal mit rosigen Wangen und wehendem Blondhaar gegenüber. Sie stützt sich mit der rechten Hand auf den Lenker ihres Fahrrades und hält Kathrin mit der anderen Hand ein verschnürtes Päckchen entgegen.
»Einen schönen Gruß von meiner Mutter. Das hat der Onkel ihr kurz vor seinem Tod anvertraut. Sie sollte es an den Erben weitergeben.« Chantal grinst sie an. »Ich schätze, meine Mutter wollte erst prüfen, ob Sie so ein Besserwessi sind. Aber sie findet Sie schwer in Ordnung.«
Das beruht auf Gegenseitigkeit, denkt Kathrin.
»Ach, da bin ich aber froh. Als eingebildete Westtussi, hätte ich wohl keine Chance gehabt, das Päckchen zu bekommen?«, antwortet Kathrin lächelnd.
Chantal bläst sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und hebt gleichmütig die Schultern. Kathrin bedankt sich.
Nachdem Chantal davon geradelt ist, eilt sie in die Küche und zerschneidet die Schnur um die Verpackung. Ein geschnitztes Holzkästchen kommt zum Vorschein. Als sie es öffnet, fallen vier Schlüssel heraus: zwei große schmiedeeiserne mit kunstvollen Schnörkeln am Bart und zwei silberne in unterschiedlicher Größe.
Kathrin probiert die beiden größeren Schlüssel umgehend an der Flügeltür des Eichenschranks in dem ehemaligen Wohnzimmer aus. Im Schloss rumort und knackt es, bis auf dem einen Teil der Flügeltür unter der Verzierung ein weiteres Schlüsselloch sichtbar wird. Mit dem zweiten großen Schlüssel lässt sich auch dieses Schloss öffnen. Kathrin stößt beide Schranktüren auf und der Duft von Lavendel schlägt ihr entgegen. Das gesamte Schrankinnere erstrahlt in Weiß. In den Fächern liegen, ordentlich gestapelt, weiße Damastdecken mit eingewebten Blumenranken, Leinendecken mit handgenähtem Hohlsaum in unterschiedlichen Größen. Passend dazu entdeckt sie Servietten in die Monogramme gestickt sind, sowie Mitteldecken und Tischläufer. Kathrin entfaltet eine Damastdecke, die mit einer cremefarbenen Seidenblende eingefasst ist. Sie fährt mit der Hand über das glatte Gewebe. Nie zuvor hat sie so ein edles Material berührt. Die wenigen Tischdecken, die sie besitzt, sind Sonderangebote aus einem Kaufhaus.
Im untersten Regal blitzen ihr geschliffene Gläser aller Art entgegen: Trinkgläser, Weingläser, Sektgläser. All das sieht sie als einen Gruß der verstorbenen Vorfahren, die hier im Haus gelebt hatten.
Kathrin betrachtet die verbliebenen beiden silbernen Schlüssel in ihrer Hand. Jetzt muss sie noch herausfinden, wo die hingehören. Es ist wie eine Schatzsuche.
Von Freude erfüllt über ihre Entdeckung schließt sie den Schrank sorgfältig ab.
Da kracht es aus heiterem Himmel hinter ihr. Ein Fenster explodiert, gefolgt von einer Kaskade von Glassplittern. Kathrin schreit auf, springt zur Seite. Die beiden silbernen Schlüssel fallen ihr aus der Hand. Schützend hält sie die Hände vors Gesicht. Ein Pflasterstein schlägt dicht neben ihr auf dem Parkett auf.
Mit klopfendem Herzen schleicht sie sich gebückt zum Fenster und schaut in den Hof. Dort ist niemand zu sehen. Das hat sie auch nicht erwartet. Das Eingangstor ist verschlossen, wie es sich gehört. Jemand muss auf einem anderen Weg in den Hof gelangt sein.
Sie atmet schwer. Wollte sie jemand bewusst durch einen Steinwurf verletzen? Oder nur einschüchtern? Aber wer? Wer will sie vertreiben? Das ist eine absolute Steigerung zu den Drohbriefen und den anonymen Telefonaten.
Eine Minute später nimmt sie das Geräusch eines Motorrads wahr, das sich rasch entfernt.
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