Fridtjof Nansen

In Nacht und Eis


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für eine Tischlerwerkstätte; die Mechanikerwerkstelle hatten wir im Maschinenraum, die Schmiede war anfänglich auf Deck und später auf dem Eis; die Klempnerarbeiten wurden meist im Kartenzimmer, die Schuhmacher- und Segelarbeiten im Salon vorgenommen.

      Von den empfindlichsten Instrumenten bis zu den groben Holzschuhen und Axtstielen – alles wurde an Bord der »Fram« gemacht. Als wir eine neue Lotleine brauchten, wurde auf dem Eis eine großartige Reepschlägerei eingerichtet.

      Jetzt stellten wir auch die Windmühle auf. Sie sollte die Dynamomaschine treiben und uns elektrisches Licht liefern. Solange das Schiff in Fahrt war, wurde die Dynamomaschine von der Schiffsmaschine getrieben, allein schon seit langer Zeit hatten wir uns in unseren dunklen Kabinen mit Petroleumlampen begnügen müssen. Die Windmühle wurde an der Backbordseite auf dem Vorderdeck zwischen der großen Luke und der Reling errichtet, doch dauerte es mehrere Wochen, ehe sie betriebsfähig war.

      Montag, 9. Oktober. Nachmittags – wir saßen gerade müßig und plauderten – entstand ganz plötzlich ein betäubendes Getöse und das ganze Schiff erzitterte: Es war die erste Eispressung. Alle Mann stürzten an Deck, um zuzusehen.

      Die »Fram« verhielt sich wundervoll, wie ich es von ihr erwartet hatte. Mit stetigem Druck schob sich das Eis heran, musste jedoch unter uns durchgehen und wir wurden langsam in die Höhe gehoben. Diese Pressungen wiederholten sich den ganzen Nachmittag und waren manchmal so stark, dass die »Fram« mehrere Fuß gehoben wurde; aber dann konnte das Eis sie nicht länger tragen und brach unter ihr entzwei. Es scheint hier ziemlich viel Bewegung im Eise zu sein. Peder erzählt uns soeben, dass er das dumpfe Knallen starker Pressungen nicht weit entfernt gehört habe.

      Dienstag, 10. Oktober. Der Aufruhr im Eis dauert fort.

      Mittwoch, 11. Oktober. Heute Nachmittag wurde »Hiob« von den anderen Hunden zerrissen. Wir fanden ihn eine gute Strecke vom Schiff entfernt. »Suggen« bewachte seine Leiche, sodass kein anderer Hund herankommen konnte.

      Es sind Schufte, diese Hunde. Kein Tag vergeht ohne Kampf. Bei Tag ist gewöhnlich einer von uns zur Hand, um einer Rauferei ein Ende zu machen, aber keine Nacht vergeht, ohne dass sie über einen ihrer Kameraden herfallen und ihn beißen. Der arme »Barrabas« hat vor Furcht fast den Verstand verloren; er bleibt jetzt an Bord und wagt sich nicht mehr auf das Eis. Nicht eine Spur von Ritterlichkeit steckt in diesen Kötern; wo ein Kampf stattfindet, stürzt sich die ganze Bande wie wilde Tiere auf den Unterliegenden.

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      Das Eis ist ruhelos und es gab heute wieder eine ziemlich starke Pressung. Sie beginnt mit einem leisen Krachen und Ächzen längs der Schiffsseite, das allmählich in allen Tonarten lauter wird. Jetzt ist es ein hoher, klagender Ton, dann ein Grollen, dann ein Knurren. Das Geräusch nimmt zu, bis es wie sämtliche Pfeifen einer Orgel ertönt; das Schiff erzittert, schüttelt sich und hebt sich in Sprüngen und Sätzen.

      Es ist ein behagliches Gefühl für uns, wenn wir auf diesen Aufruhr horchen und uns dabei der Stärke unseres Schiffes bewusst sind. Manches Schiff wäre schon längst zerdrückt worden. Aber bei uns wird das Eis an der Schiffsseite zermalmt, die zertrümmerten Schollen werden haufenweise unter den schweren, unverwundbaren Rumpf gedrängt und wir liegen wie in einem Bett. Bald erstirbt das Geräusch, das Schiff sinkt in seine alte Lage zurück und dann ist alles wieder so still wie früher.

      Rund um uns herum hat sich das Eis aufgetürmt, an einer Stelle zu beträchtlicher Höhe. Gegen Abend trat eine Lockerung ein und wir lagen in einem offenen Teich.

      Donnerstag, 12. Oktober. Am Morgen trieben wir samt unserer Scholle auf blauem Wasser mitten in einer großen, offenen Rinne, die sich weit nach Norden hin erstreckte, wo die Luft über dem Horizont dunkel und blau war. So weit wir von der Tonne aus mit einem Feldstecher sehen konnten, hatte das offene Wasser kein Ende und es trieben nur hier und dort einzelne Stücke Eis darin. Dies waren außerordentliche Veränderungen.

      Ich war ungewiss, ob wir uns darauf vorbereiten sollten, unter Dampf vorwärtszugehen. Leider hatten wir schon die Maschine für den Winter auseinandergenommen, sodass wir längere Zeit gebraucht hätten, sie wieder betriebsfähig zu machen.

      Klares Wetter mit Sonnenschein. Ein schöner Wintertag. Aber immer nördlicher Wind. Wir loten und finden 90 Meter Wasser. Wir treiben langsam südwärts. Gegen Abend schob sich das Eis erneut mit großer Gewalt zusammen. Nachmittags fischte ich in einer Tiefe von ungefähr 50 Metern mit dem Murrayschen Seidennetz1 und fing kleine Krustentiere (Copepoden, Muschelkrebse, Flohkrebse usw.) und einen arktischen Wurm (Spadella), der im Meer umherschwimmt.

      Das Fischen ist hier schwierig. Kaum hat man im Eis eine Öffnung gefunden und die Leine hinabgleiten lassen, schließt sich das Eis wieder, und man muss so rasch wie möglich aufholen, damit die Leine nicht eingeklemmt wird und alles verloren geht. In der kleinsten Eisöffnung sieht man das Wasser phosphoreszieren2; es ist hier mehr tierisches Leben, als man erwarten sollte.

      Freitag, 13. Oktober. Jetzt stecken wir gerade mitten in der Gefahr, vor der uns die Propheten so sehr bange machen wollten. Das Eis presst und schiebt sich mit donnerndem Getöse rund um uns her. Es türmt sich zu langen Mauern und zu Haufen auf, die weit an der Takelung der »Fram« hinaufreichen. Es versucht in der Tat sein Äußerstes, um die »Fram« zu Staub zu zermalmen. Wir sitzen aber ganz ruhig und gehen nicht einmal hinauf auf Deck, uns den Wirrwarr anzusehen, sondern plaudern und lachen, wie wenn nichts wäre. Man fühlt, dass das Schiff es aushalten kann, und solange dies der Fall ist, kann nichts Schaden leiden als das Eis selbst.

      Am Morgen ließ der Druck nach, aber gegen Abend fing die Pressung wieder im Ernst an. Offenbar steht die Eispressung hier mit Ebbe und Flut in Verbindung oder wird vielleicht davon verursacht. Sie tritt mit größter Regelmäßigkeit ein; zweimal in 24 Stunden lockert sich das Eis und zweimal schiebt es sich in dieser Zeit zusammen. Die Pressung erfolgt ungefähr um 4, 5 und 6 Uhr morgens und fast genau um dieselbe Stunde nachmittags, in der Pause liegen wir stets eine Zeit lang auf offenem Wasser.

      Die sehr starke Pressung in diesem Augenblick ist wahrscheinlich die Folge der Springflut; am 9., dem ersten Tag der Eispressungen, hatten wir Neumond.

      Die Ansicht, dass die Eispressungen durch die Gezeiten hervorgebracht werden, haben arktische Forscher schon wiederholt ausgesprochen. Wir hatten während der Drift der »Fram« bessere Gelegenheit als die meisten von ihnen, diese Erscheinung zu studieren, und unsere Erfahrungen bestätigen, dass die Flut in einem weiten Gebiet die Bewegung und den Druck des Eises veranlasst. Das ist namentlich zur Zeit der Springfluten der Fall und bei Neumond mehr als bei Vollmond.

      In den Zwischenzeiten war in der Regel wenig oder gar nichts von Eispressungen zu bemerken. Allein diese durch die Flut verursachten Pressungen ereigneten sich nicht während der ganzen Zeit unserer Drift, sondern hauptsächlich im Herbst, als wir uns in der Nachbarschaft des offenen Meeres nördlich von Sibirien befanden, und im letzten Jahr der Expedition, als die »Fram« sich dem Atlantischen Ozean näherte. Weniger bemerkbar waren sie im Polarbecken selbst. Hier traten Pressungen unregelmäßig ein und wurden hauptsächlich durch den Wind verursacht.

      Wenn man sich vorstellt, dass die in einer gewissen Richtung treibenden, ungeheuren Massen plötzlich auf Hindernisse stoßen, zum Beispiel auf Eis, das aus anderen Gegenden kommt und in entgegengesetzter Richtung treibt, so wird man leicht den Druck begreifen, der entstehen muss.

      Der Kampf zwischen den Eismassen ist unleugbar ein großartiges Schauspiel. Man fühlt, dass man sich in Gegenwart titanischer Gewalten befindet, und es ist leicht zu verstehen, dass sich ängstliche Gemüter fürchten. Denn wenn das Zusammenschieben ernstlich beginnt, bleibt kein Fleck der Oberfläche unerschüttert.

      Zuerst vernimmt man in der großen Wüste ein Geräusch wie das Donnergebrüll eines entfernten Erdbebens, dann hört man es, näher und näher kommend, an mehreren Stellen. Die Eiswelt widerhallt vom Donner, die Riesen der Natur erwachen zur Schlacht. Das Eis birst ringsumher und türmt sich auf, und ganz plötzlich steckt man mitten im Kampf.

      Auf allen Seiten hört man Heulen und Donnern, man spürt das Eis erzittern und hört es unter den Füßen brüllen; nirgends ist Friede.