des Repräsentantenhauses als auch den Senat, jedoch legte der Gouverneur des Bundesstaates Massachusetts, Edward King sofort sein Veto ein (King war damals Demokrat und wurde später Republikaner).
Vielleicht spürte King die wachsende Unterstützung für die Flaschenverordnung, als er dabei half, eine von der Getränkeindustrie geförderte Alternative zu dem Gesetz mit Hilfe einer Lobbygruppe durchzusetzen, die sich selbst »Corporation for a Cleaner Commonwealth« (Körperschaft für ein sauberes Gemeinwesen«) nannte. Dazu gehörte das Anwerben von Kindern zum Aufsammeln von Flaschen- und Dosenabfällen. Wie Sie sehen, sieht diese Lösung keine Reglementierung der Industrie vor, sondern konzentriert sich auf individuelles Handeln. Diese Art von Ablenkungskampagnen werde ich später noch deutlicher beschreiben.
Die Flaschenverordnung wurde 1981 erneut sowohl vom Repräsentantenhaus als auch vom Senat verabschiedet, woraufhin King sein Veto ein zweites Mal ausübte und den Gesetzentwurf als Verkörperung »all dessen, was an einer mächtigen Regierungspolitik falsch ist« bezeichnete. Er behauptete, dass er eine unangemessene finanzielle Belastung für den Einzelnen darstelle und negative Auswirkungen auf die Wirtschaft des Staates haben würde. Diese Art von Argumenten – dass ordnungspolitische Lösungen für Umweltprobleme angeblich schlecht für die Wirtschaft sind – wird Ihnen allzu vertraut sein, wenn unsere Geschichte zu Ende erzählt ist.
Unter dem Einfluss einer intensiven Lobbykampagne von MassPIRG und anderen stimmte die staatliche Legislative – sowohl das Repräsentantenhaus als auch der Senat – dafür, Kings Veto aufzuheben. Das Gesetz trat am 16. November 1981 offiziell in Kraft. Aber die Getränkeindustrie wollte nicht einfach aufgeben. Sie finanzierte eine Kampagne zur Aufhebung der Flaschenverordnung, um eine Abstimmung zu erreichen. Das Referendum scheiterte, aber 40 Prozent der Wähler sprachen sich für die Aufhebung aus. Die Flaschenverordnung wurde am 17. Januar 1983 mit geteilter öffentlicher Zustimmung umgesetzt, nach einem zermürbenden Kampf mit Millionen Dollar für negativ konnotierte Werbung. Etwas mehr als ein Jahr später, im Sommer 1984, als ich für MassPIRG Klinken putzte, wurde mir davon abgeraten über die Flaschenverordnung zu sprechen, außer in den fortschrittlicheren Vierteln.
Ähnliche Dramen spielten sich auch in anderen Staaten ab. Oregon war der erste US-Bundesstaat, der eine Flaschenverordnung verabschiedete. Das war 1971. Als nächstes kam 1973 der sehr grüne Staat Vermont hinzu. Die relativ fortschrittlichen Bundesstaaten Connecticut, Delaware, Iowa, Massachusetts, Maine, Michigan und New York folgten dem Beispiel Anfang der 1980er Jahre. In zahlreichen anderen Staaten scheiterten Flaschenverordnungen jedoch erneut an der intensiven Lobby- und Kampagnenarbeit der Getränkeindustrie. Eine Werbung zeigte gar eine Gruppe trauriger Kinder in Pfadfinderuniformen, die vergeblich nach Flaschen und Dosen suchten. Die zwei Organisationen, die Boy Scouts und die Campfire Girls of America, beschwerten sich anschließend darüber, dass sie aus zweifelhaften politischen Motiven ohne ihre Zustimmung für eine solche Kampagne vereinnahmt wurden. Die Flaschenverordnung würde ihren gewinnbringenden Recycling-Anstrengungen einen Dämpfer versetzen. Auch hier sehen wir wieder die übliche Methode der Ablenkung.
Mit anderen Worten, die Getränkeindustrie wandte sich mit einer gewieften, mehrgleisigen Strategie gegen die Verabschiedung von Flaschenverordnungen. Sie bekämpfte sie durch Lobbyarbeit bei der Gesetzgebung und durch Werbekampagnen, die sich an die Wähler richteten und solche Gesetze als kostspielig für die Verbraucher und schlecht für die Geschäftswelt darstellten.
Durch die Werbekampagnen tat die Industrie ihr Bestes, um sicherzustellen, dass die Flaschenverordnungen in den Bundesstaaten, in denen sie durchgesetzt wurden, zerschlagen wurden oder auf marginale Beliebtheit, wenn nicht gar Ablehnung, stießen. Das alles genügte, um jeden Versuch einer nationalen Flaschenverordnung im Sande verlaufen zu lassen, wie sie der Politiker der Demokratischen Partei, Edward Markey aus Massachusetts, 2007 und 2009 im US-Repräsentantenhaus) vorgeschlagen hatte. Aber es gab noch eine weitere kritische Aufgabe – die Industrie musste den Enthusiasmus der »Basis« dämpfen, d.h. der Umweltschützer, die handeln wollten. In der Woche des allerersten internationalen Tags der Erde, im April 1970, kippten Umweltaktivisten einen riesigen Haufen Einwegflaschen vor den Coca-Cola-Hauptsitz in Atlanta, Georgia, um das Unternehmen unter Druck zu setzen, eine Flaschenverordnung zu unterstützen.15 Die Getränkeindustrie wusste, dass es schwierig sein würde, diese Leute und ihre wachsende Zahl von Anhängern davon zu überzeugen, dass eine Flaschenverordnung keine gute Sache für die Umwelt wäre. Aber sie wollten sie davon überzeugen, dass ein Gesetz nicht notwendig oder nicht wirksam wäre. Da kam auch wieder der weinende Indianer ins Spiel.
Lassen wir die Bilder der US-amerikanischen Ureinwohner vorerst beiseite und betrachten wir die grundlegendere Botschaft der Kampagne mit dem weinenden Indianer: Diese Flaschen und Dosen, die unsere Landschaft verunreinigt haben – sie waren das Ergebnis unseres schlechten persönlichen Verhaltens. Das ist eine bequeme Botschaft, wenn sie eine Branche sind, deren Praktiken massive Metall- und Plastikverschmutzung verursachen, und die versucht, gegen Vorschriften anzukämpfen, die darauf abzielen, dass Sie diesen Abfall verpacken und verarbeiten müssen.
Geben Sie mal in eine Suchmaschine »Coke« und »Madison Avenue« ein. Dann werden Sie sehen, dass zu dem Konsortium US-amerikanischer Unternehmen hinter der Kampagne »Haltet Amerika schön« die Unternehmen Coca-Cola, Pepsi, Anheuser-Busch und der Tabakgigant Philip Morris gehören. Diese Kampagne arbeitete mit dem Ad Council zusammen, einer gemeinnützigen Organisation, die im Auftrag verschiedener Sponsoren, darunter auch Umweltgruppen, public service announcements (Werbespots zur Information der Öffentlichkeit) produziert und fördert. 1971 engagierten sie den New Yorker Werberiesen Marsteller, um die »Weinender-Indianer«-Werbekampagne zu erschaffen. Ihre PR-Abteilung ist Burson-Marsteller, an die Sie sich aufgrund meiner Ausführungen über Flammschutzmittel bei Tabakprodukten erinnern werden.
Umweltgruppen wie der Sierra Club und die Audubon Society waren anfangs Partner der Kampagne, da sie glaubten, dass sie ein wirksames Mittel zur Sensibilisierung für das Abfallthema sei. Aber schließlich distanzierten sie sich davon, als ihnen bewusst wurde, dass sie hereingelegt worden waren. Das wurde ihnen klar, nachdem sie durchschaut hatten, dass der »weinende Indianer« in Wirklichkeit ein PR-Täuschungsmanöver war, das von den Lobbygruppen der Getränkeindustrie ausgeheckt worden war.
Diese Kampagne – Teil mehrgleisiger Bemühungen, die Flaschenverordnung zu stoppen – hatte ihr Hauptziel erreicht. Wie wir wissen, hat nur eine begrenzte Anzahl von Staaten, in denen die Demokraten regieren, solche Verordnungen verabschiedet. Eine bundesweite Flaschenverordnung ist auch Jahrzehnte später nicht in Sicht. In der Zwischenzeit hat die wachsende Menge an weggeworfenen Plastikflaschen zu einer weiteren großen Umweltkrise unserer Zeit geführt – der globalen Plastikverschmutzung. Es geht nicht mehr alleine um die Vermüllung der Landschaft: Heute ist die Plastikverschmutzung so massiv, dass sie im Marianengraben, einem Tiefseegraben im Pazifischen Ozean, in einer Tiefe von elftausend Metern unter Wasser festgestellt wurde. Und es findet sich auch schon etwas in der Luft: Die Computerzeitschrift Wired veröffentlichte im Juni 2020 einen Artikel, in dem verkündet wurde: »Plastic Rain Is the New Acid Rain.« (Plastikregen ist der neue saure Regen) Wired zitierte Forschungsergebnisse, wonach jedes Jahr viele Tonnen Mikroplastik in Wildnisgebiete fallen.16
Ironischerweise sollte der Ad Council im Jahr 2006 eine weitere Werbekampagne durchführen, über die Verschmutzung der Ozeane mit Plastik. Mit der Titelfigur aus Disney‘s Die kleine Meerjungfrau wurde die Botschaft vermittelt, wie der Einzelne handeln kann, indem er den Müll richtig entsorgt. Die Rolle der Getränkeindustrie bei der Umweltverschmutzung durch Kunststoffe wurde nicht erwähnt. Umweltorganisationen – wie der Environmental Defense Fund – waren Co-Sponsoren und ließen sich erneut täuschen.
Wenn ich über die wahre Geschichte hinter dem weinenden Indianer nachdenke, fällt es mir schwer, mich nicht persönlich verraten zu fühlen, als ob die Unschuld unserer Jugend eine Illusion war, als ob ich – und jeder andere meiner Generation – von einem falschen Propheten in die Irre geführt wurde, aus dem Motiv des Unternehmensgewinns.
Was das weitere Vermächtnis des weinenden Indianers anbelangt, so bot Finis Dunaway diese Einschätzung an:
»Die Antwort auf die Umweltverschmutzung, wie Keep America Beautiful sie formulieren würde, hatte nichts mit Macht, Politik oder