Michael E. Mann

Propagandaschlacht ums Klima (Telepolis)


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von Müllschluckern war geboren. Bis zum heutigen Tag habe ich Schwierigkeiten, ein Stück Abfall am Straßenrand liegen zu lassen. Instinktiv suche ich nach einem Behälter in der Nähe, wo ich ihn entsorgen kann. Dieser Werbespot hat mich – und so viele Menschen meiner Generation – zum Besseren verändert, so könnte man meinen.

      Der Werbespot machte sich die Kraft einer beginnenden Umweltbewegung zunutze. Als Teil der größeren Kampagne mit dem Spruch »Keep America Beautiful« (Haltet Amerika schön).13 Das große Feuer am Fluss Cuyahoga in Ohio ist eine weitere Erinnerung, die tief im amerikanischen Kollektivbewusstsein verwurzelt ist. Dieses Ereignis bedeutete wohl einen Wendepunkt im öffentlichen Bewusstsein. Es löste eine neue Ära des Umweltbewusstseins und eine Flut neuer umweltpolitischer Maßnahmen aus, wie etwa die Schaffung der Umweltschutzbehörde (EPA) und von Bundesgesetzen zum Gewässerschutz (Clean Water Act) und zur Luftreinhaltung (Clean Air Act). Dies war der »Anbruch des Zeitalters des Wassermanns« (siehe »the dawning of the Age of Aquarius« aus dem Musical Hair), – eines neuen Zeitalters des Umweltbewusstseins.

      Der »weinende Indianer« war die richtige Botschaft zur richtigen Zeit, einfach und kraftvoll: Sie und ich können dieses Problem lösen. Wir müssen nur nachdenken, gemeinsam handeln und die Ärmel hochkrempeln. Sie gilt als eine der effektivsten Werbeanzeigen in der Geschichte. Naturschutzorganisationen wie Sierra Club und Audubon Society haben die Anzeige begrüßt und gehörten sogar dem Beirat für die Kampagne an. Cody fand schnell seinen Weg auf Autobahn-Reklametafeln. Er wurde zu einer Ikone der modernen Umweltbewegung.

      Aber wenn Sie hier Ausschau nach einer Gute-Laune-Geschichte halten, sollten Sie sich lieber auf eine Enttäuschung gefasst machen. Manche Dinge sind nicht ganz so, wie sie scheinen. Denn sollten sie, wie es der Historiker Finis Dunaway in einem 2017 erschienenen Kommentar in der Chicago Tribune tat, an der Oberfläche des weinenden Indianers kratzen, beginnt sich ein anderes Bild abzuzeichnen – ein drastisch anderes Bild.14

      Falsus in Uno, Falsus in Omnibus: In einer Sache falsch, in allen falsch

      Dunaway unterstrich dabei die Rolle, die die Ureinwohner Amerikas in der Gegenkultur der frühen 1970er Jahre spielten. Der weinende Indianer griff dieses Ethos auf, indem er sich an der Friedensbewegung orientierte, ähnlich wie der Jingle »Buy the World a Coke« (Kaufen Sie der Welt eine Cola), der etwa zur gleichen Zeit ausgestrahlt wurde. Wir werden später sehen, dass die Verbindung mit Coca-Cola nicht nur zufällig ist. Zwei der denkwürdigsten Filme aus meiner Kindheit, die beide 1971 erschienen, bezogen sich auf dieselben Themen. Billy Jack erzählt die Geschichte eines Mannes, der ein halber amerikanischer Navajo war. Seine pazifistischen Bestrebungen stehen dabei im Widerspruch zu seinem Temperament und seinem Hang zur Selbstjustiz. In dem Film verteidigt er eine Gruppe von Friedensaktivisten und Hippies, von denen viele aus indigenen Stämmen stammen, gegen feindselige, heuchlerische Stadtbewohner. Der andere, Bless the Beasts and Children (Denkt bloß nicht, dass wir heulen), erzählt die Geschichte einer Gruppe jugendlicher Außenseiter, die Sinn, Bestätigung und Macht erlangen, indem sie eine Büffelherde befreien, die von skrupellosen Männern zum Sport gejagt wird. Es sind nicht nur die Büffel, die vernichtet werden; es ist der Geist der US-amerikanischen Ureinwohner, für die der Büffel ein dauerhaftes Symbol ist. Die zugrundeliegenden Themen in beiden Filmen waren unverkennbar: der Kampf zwischen Frieden und Befreiung, und die zentrale symbolische Rolle, die in diesem Kampf indigene Völker und ihre Notlage spielten. Indem er mit genau derselben Symbolik spielte, hat der weinende nordamerikanische Ureinwohner den Zeitgeist der frühen 1970er Jahre eingefangen. Er hat sich all diese Kraft zu eigen gemacht.

      Und es ist die indianische Symbolik der Werbekampagne mit dem weinenden nordamerikanischen Ureinwohner, in der wir unserem ersten Betrug begegnen, wenn auch einem scheinbar geringfügigen und oberflächlichen. Denn, wie sich herausstellte, gehörte Iron Eyes Cody keinem Indianerstamm an. Er war nicht einmal amerikanischer Ureinwohner. Er wurde als Espera Oscar de Corti geboren und war ein italienisch-stämmiger US-Amerikaner, der oft nordamerikanische Ureinwohner in Hollywood-Filmen porträtierte, darunter der »Häuptling mit eisernen Augen« im Film Das Bleichgesicht (The Palface) mit Bob Hope. Dies war nicht der bedeutendste, aber auch nicht der einzige Trick in der Werbekampagne mit dem »weinenden Indianer«.

      Diese Werbeanzeige muss auch vor dem Hintergrund des wachsenden Problems des Abfalls entlang von Autobahnen betrachtet werden, insbesondere in Form von Flaschen und Dosen, das nach dem Bau des Fernstraßennetzes in den USA in den 1950er Jahren aufkam. Ende der 1960er Jahre hatte das Problem krisenhafte Ausmaße angenommen. Es war auffällig und beunruhigend geworden. Wer würde schließlich nicht »Haltet Amerika schön« befürworten? Es war somit klar, dass wir ein Problem hatten. Doch wie ist es am besten zu beheben? Und wer zahlt die Kosten?

      Der Verbraucherschützer Ralph Nader gründete in den Vereinigten Staaten das Netzwerk Public Interest Research Groups (PIRGs), das sich Verbraucher- und Umweltfragen widmete. Das war 1971, im selben Jahr, in dem der weinende nordamerikanische Ureinwohner zum ersten Mal auftauchte, Die PIRGs würden eine entscheidende Rolle spielen, wenn es darum ginge, eine bestimmte Idee voranzubringen, die zeigen würde, wie das Problem gelöst werden kann und wer dafür zahlen sollte. Mit der Flaschenverordnung wurde ein Gesetzesentwurf vorgestellt, der ein Pfand auf Flaschen und Dosen von fünf oder zehn Cent vorsah, das den Verbrauchern bei der Rückgabe erstattet werden sollte. Dadurch sollten Mehrwegflaschen und nachfüllbare Flaschen gefördert und die Verbraucher dazu ermutigt werden, diese zu recyceln, anstatt sie wegzuwerfen. Diese Gesetzgebung stellte eine zusätzliche Belastung für Supermärkte, Lebensmittelgeschäfte und Paketshops dar. Aber die Getränkeindustrie, also Coca-Cola, Anheuser-Busch, PepsiCo und so weiter, sollten die Hauptlast der Verantwortung und der Kosten tragen, da sie die zurückgegebenen Flaschen und Dosen hätten verarbeiten müssen. Das hätte ihre Ausgaben erhöht und ihre Gewinne geschmälert.

      Springen wir nun nach vorne in den Sommer 1984, dreizehn Jahre nach der Gründung von PIRG und der erstmaligen Ausstrahlung des weinenden Indianers. Ich hatte gerade die Highschool abgeschlossen und brauchte einen Sommerjob. Da schien MassPIRG – die PIRG-Mitgliedsorganisation in Massachusetts – mit einem Stützpunkt in meiner Heimatstadt Amherst, eine perfekte Gelegenheit zu sein, etwas Geld zu verdienen. Ich könnte etwas über die moderne Umwelt- und Konsumgeschichte lernen und gleichzeitig der Umwelt helfen.

      MassPIRG war für seine Bemühungen bekannt, die Verabschiedung einer Flaschenverordnung im Bundesstaat Massachusetts zu unterstützen. Während meiner Ausbildung begleitete mich ein altgedienter Werber, als ich von Tür zu Tür ging, um die Bewohner einer kleinen Stadt im Westen von Massachusetts um Beiträge zu bitten. Unter anderem arbeitete mein Ausbilder mit mir zusammen, während ich meinen »Rap« verfeinerte – die kurze Erklärung, die ein Werber in diesem unangenehmen, aber entscheidenden Moment schnell rezitiert, zwischen dem Augenblick, in dem jemand die Tür geöffnet hat, und dem Moment, in dem er die Chance hatte, etwas anderes als »Hallo« zu sagen. Mein Ausbilder riet mir ausdrücklich davon ab, in meinem Rap die Flaschenverordnung zu erwähnen – MassPIRGs großartige Leistung. Zumindest nicht bei der Befragung von Arbeitern oder in konservativen Gegenden. Stattdessen wurde ich dazu ermutigt, über das Lemon Law (Zitronengesetz) genannte Verbraucherschutzgesetz zu sprechen: ein weniger bekanntes Gesetz, das MassPIRG unterstützt hatte. Es sollte Autokäufer vor dem Kauf eines defekten Autos schützen, eines sogenannten Montagsautos oder auf Englisch Lemon. Wie seltsam, dachte ich damals, dass MassPIRG nicht jede Gelegenheit nutzte, seine krönende Leistung herauszustellen.

      Die Geschichte der Flaschenverordnung in Massachusetts geht auf das Jahr 1973 zurück, als ich acht Jahre alt war. Zusammen mit der Massachusetts Audubon Society und anderen Umweltorganisationen half MassPIRG bei der Lobbyarbeit für das Gesetzesvorhaben des Bundesstaates, ein Fünf-Cent-Pfand auf Flaschen und Dosen zu erheben. Nach mehreren gescheiterten Versuchen, den Gesetzentwurf zu verabschieden, gelang es ihnen aber schließlich, ihn zur Abstimmung auf den Stimmzettel zu bringen. Ihnen stand jedoch eine zwei Millionen Dollar schwere, von der Getränkeindustrie finanzierte Werbekampagne entgegen, die von zwei Lobbygruppen betrieben wurde: Committee to Protect Jobs (Ausschuss für den Schutz von Arbeitsplätzen) und Use of Convenient Containers (Verwendung handlicher Behälter). Der Getränkeindustrie gelang es, das Gesetz zu verhindern, wenn auch nur mit einem Vorsprung von weniger als einem Prozent.