Michael E. Mann

Propagandaschlacht ums Klima (Telepolis)


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Verderben schicken. Meine Absicht mit diesem Buch ist es, alles in meiner Macht Stehende zu tun, um sicherzustellen, dass wir das nicht zulassen.

      Kapitel 1

       Die Architekten der Fehlinformation und Irreführung

      Zweifel ist unser Produkt, denn er ist das beste Mittel, um den Stand der Erkenntnisse anzufechten, der im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit existiert. Er ist auch ein gutes Mittel, um eine Kontroverse zu erzeugen.

      — Unbenannte Führungskraft beim Tabakunternehmen Brown und Williamson (1969)

      Die Ursprünge der fortwährenden Wortge­fechte um die Deutungshoheit in der Klimadebatte liegen in jahrzehntealten Desinformationskampagnen. Sie stammen aus einer Zeit, als wissenschaftliche Erkenntnisse mit den Agenden mächtiger Interessengruppen zu kollidieren begannen. Diese Kampagnen zielten darauf ab, das öffentliche Verständnis der zugrundeliegenden Wissenschaft zu vernebeln und die wissenschaftliche Botschaft zu diskreditieren. Das geschah oft durch Angriffe auf die Überbringer der Nachricht selbst. Die Wissenschaftler, deren Arbeit Probleme aufzuzeigen begann, wurden in den Fokus gerückt. Im Laufe der Jahre entwickelten und verfeinerten PR-Agenturen Taktiken zur Untergrabung von Fakten und wissenschaftlich fundierten Warnungen.

      Den Boten aus dem Weg räumen

      Unsere Zeitreise führt uns zurück ins späte neunzehnte Jahrhundert, zu Thomas Stockmann, dem angesehenen Badearzt eines florierenden norwegischen Kurorts, der wirtschaftlich stark vom dortigen Kurbad abhängig war. Nachdem Stockmann herausgefunden hatte, dass die Wasserversorgung der Stadt durch Chemikalien aus einer örtlichen Gerberei verunreinigt war, wollte er die Bevölkerung vor der Bedrohung warnen, jedoch wurden seine Bemühungen durchkreuzt. Zunächst weigerte sich die Lokalzeitung, einen Artikel zu veröffentlichen, in dem er über seine Erkenntnisse berichtet hatte. Anschließend wurde er beschimpft und niedergemacht, als er versuchte, seine Ergebnisse in einer öffentlichen Versammlung bekannt zu geben. Stockmann und seine Familie wurden wie Ausgestoßene behandelt, und seine Tochter wurde von der Schule verwiesen. Stadtbewohner bewarfen sein Haus mit Steinen, bis alle Fenster zerstört waren und seine Familie in Angst und Schrecken versetzt war. Die Familie zog in Erwägung wegzuziehen. Sie beschloss dann jedoch zu bleiben, in der vergeblichen Hoffnung, dass die Kleinstädter Stockmanns düstere Warnungen letztendlich akzeptieren und sogar zu schätzen wissen würden.

      Das ist die Handlung von Henrik Ibsens Schauspiel namens Ein Volksfeind aus dem Jahr 1882. Das Stück wurde 1978 unter dem Titel Ein Feind des Volkes verfilmt, mit Steve McQueen in der Hauptrolle – einer seiner letzten Rollen und vielleicht seine beste. Die Geschichte ist fiktiv, aber sie schildert einen Konflikt, der dem Publikum im späten neunzehnten Jahrhundert bekannt gewesen sein dürfte. Die unheimliche Vorahnung dieser Erzählung auf die jüngere Vergangenheit, als ein wissenschaftsfeindlicher Präsident die Medien als »Feind des amerikanischen Volkes« abtat und konservative Politiker es wissentlich zuließen, dass eine ganze Stadt durch eine bleivergiftete Wasserversorgung gefährdet wurde, ist so manchen Beobachtern nicht entgangen.1 Ein Volksfeind ist eine mahnende Fabel und ein Paradebeispiel für den Konflikt zwischen Wissenschaft und Industrie- oder Unternehmensinteressen. Und sie dient als treffende Metapher für die Klimapropagandaschlachten, die ein Jahrhundert später stattfinden.

      Doch lassen Sie uns zunächst noch einen Blick in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts werfen, wo wir der ersten Desinformationskampagne der modernen Industrie begegnen. Diese Kampagne wurde von führenden Vertretern der Tabakindustrie in ihrem Bemühen orchestriert, Beweise für die süchtig machende und tödliche Natur ihres Produkts zu verschleiern. »Zweifel ist unser Produkt«, räumte 1969 ein leitender Mitarbeiter des Tabakunternehmens »Brown and Williamson« ein.2 Das Memorandum mit diesem Eingeständnis wurde später im Rahmen eines kolossalen gerichtlichen Vergleichsverfahrens zwischen der Tabakindustrie und der US-Regierung veröffentlicht. Dieses Dokument und weitere interne Belege zeigten, dass firmeneigene Wissenschaftler die Gesundheitsrisiken des Rauchens bereits in den 1950er Jahren diagnostiziert hatten. Anstatt diese Gefahren offenzulegen, entschieden sich die Unternehmen jedoch für eine aufwändige Kampagne, um die Risiken vor der Öffentlichkeit zu verbergen.

      Die Tabakindustrie stellte sogar Experten ein, um die Arbeit anderer Forscher zu diskreditieren, die zu denselben Schlussfolgerungen gelangt waren. Der einflussreichste unter ihnen war Frederick Seitz, ein Festkörperphysiker, ehemaliger Leiter der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften und Träger der prestigeträchtigen »Presidential Medal of Science«. Diese beeindruckenden Qualifikationen machten ihn für die Tabakindustrie besonders wertvoll. Der Tabakriese R.J. Reynolds heuerte Seitz schließlich an und zahlte ihm sage und schreibe eine halbe Million Dollar, um sein wissenschaftliches Ansehen für Angriffe auf wissenschaftliche Erkenntnisse und Wissenschaftler einzusetzen, die Tabak mit Gesundheitsrisiken in Verbindung brachten.3 Seitz war der erste der käuflichen Wissenschaftsleugner. Viele weitere sollten folgen.

      In den 1960er Jahren machten sich Pestizidhersteller das Strategiebuch der Tabakindustrie zu eigen, nachdem Rachel Carson die Öffentlichkeit vor der von Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) für die Umwelt ausgehenden Gefahr gewarnt hatte. Ihr 1962 erschienenes Buch Silent Spring (Der stumme Frühling), ist ein Klassiker, er läutete die moderne Umweltbewegung ein.4 Carson beschrieb da­rin, wie DDT die Populationen von Weißkopfseeadlern und anderen Vögeln dezimierte, indem es die Bildung robuster Eierschalen behinderte. Die Eier zerbrachen während der Brut oder starben ab. Das Pestizid reicherte sich in Nahrungsketten, Böden und Flüssen an und stellte eine immer größere Bedrohung für die Tierwelt und letztlich auch für den Menschen dar. In den USA wurde DDT schließlich verboten, allerdings erst 1972.

      Für ihre Bemühungen wurde Carson von den entsprechenden Industrieverbänden mit einer umfassenden Rufmordkampagne »belohnt«. Sie wurde als »radikal«, »kommunistisch« und »hysterisch« angeprangert. Das Ganze wurde mit all den bekannten frauenfeindlichen Konnotationen unterlegt, aber wie wir später sehen werden, gehen Misogynie und Rassismus mit der Leugnung des Klimawandels oft Hand und Hand. Der Firmenchef von Monsanto, dem größten DDT-Produzenten, bezeichnete sie damals als »fanatische Verteidigerin des Kults um das Naturgleichgewicht«.5 Teilweise wurde sie sogar als Massenmörderin tituliert.6 Auch heute noch diffamiert eine als Competitive Enterprise Institute (CEI) bekannte Industrielobbygruppe die längst verstorbene Wissenschaftlerin durch die Behauptung, dass »Millionen von Menschen auf der ganzen Welt unter den schmerzhaften und oft tödlichen Auswirkungen der Malaria leiden, weil eine Person namens Rachel Carson falschen Alarm schlug«.7 Dabei unterschlagen Carsons posthume Angreifer, dass sie gar kein Verbot von DDT, sondern lediglich ein Ende seines wahllosen Einsatzes forderte. Letztendlich wurde DDT nicht wegen der Umweltschäden, die Carson aufgedeckt hatte, abgeschafft, sondern weil seine Wirksamkeit allmählich zurückging, da die Moskitos resistent wurden. Ironischerweise hatte Carson genau davor gewarnt.8 Hier haben wir also ein frühes Beispiel dafür, wie sich die kurzsichtigen Praktiken profitgieriger Konzerne, die auf kurzfristige Gewinnmaximierung aus sind, oft als selbstzerstörerisch erweisen.

      Glaubwürdigkeit und Integrität sind das A und O von Wissenschaftlern und ihr höchstes Gut, denn sie ermöglichen es ihnen, der Öffentlichkeit als vertrauenswürdige Gesprächspartner zu dienen. Deshalb nahmen die Kräfte der Leugnung Carson auch direkt ins Visier und warfen ihr allerlei wissenschaftliche Verfehlungen vor. Als Reaktion auf die Kontroverse berief Präsident John F. Kennedy sogar einen Ausschuss ein, um Carsons Aussagen überprüfen zu lassen. Der Ausschuss veröffentlichte seinen Bericht im Mai 1963 und entlastete sie und ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse.9 Wissenschaftsleugner lassen sich jedoch nicht durch lästige Fakten abschrecken, und so gehen die Angriffe auch heute noch weiter. Man beachte einen Artikel von Henry I. Miller und Gregory Conko, der 2012 in der konservativen Zeitschrift Forbes unter dem Titel »Rachel Carson’s Deadly Fantasies« (Rachel Carsons tödliche Fantasien) erschien. Miller und Conko sind Mitglieder des bereits erwähnten Competitive Enterprise Institute. Miller ist außerdem Mitglied des wissenschaftlichen Beirats einer als George C. Marshall Institute (GMI) bekannten Lobbyorganisation und – wenig überraschend – ein Advokat der Tabakindustrie.10 In dem Artikel warfen sie Carson grobe Falschdarstellungen, Stümperei und ausgemachtes akademisches Fehlverhalten