Olaf Nägele

Goettle und die Blutreiter


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ich von der Gerber nicht erwartet.«

      »Da kannsch nix macha. Bloß weil du em Hennastall wohnsch, kasch no lang koine Oier lega.« POM Fritz zuckte die Schultern.

      »Was soll denn das heißen?«, hakte seine Kollegin nach.

      »Ha ja, sie wohnt zwar scho a paar Johr hier, kennt sich vielleicht au a bissle aus, aber am End merksch halt, dass se aus Freiburg kommt. Sie isch und bleibt a Badenerin.«

      Störgeräusche.

      Schrill, unverhofft und keinesfalls erwünscht überfallen sie unbescholtene Zeitgenossen und rauben ihnen die Konzentration auf das Wesentliche. Und wenn Pfarrer Andreas Goettle eines nicht leiden konnte, war es, von dem Telefon aus der inneren Einkehr gerissen zu werden. Er schreckte auf aus seiner transzendenten Meditation, die ein Unwissender Schlaf genannt hätte, und sah sich benommen um. Er saß in seinem Lieblingssessel im Wohnzimmer, das Buch von Don Camillo und Peppone, der Roman von dem knitzen Pfarrer, der stets Konflikte mit dem etwas einfältigen Bürgermeister austrug, war ihm entglitten und lag mit den Seiten nach unten neben ihm. In der spärlichen Beleuchtung seiner Stehlampe erkannte er, dass die Standuhr gegenüber 22 Uhr anzeigte. Das Telefon klingelte unermüdlich.

      »Wer ruft denn so spät no a?«, murmelte er und ließ ein ruppiges »Herrschaftszeita, Frau Münzenmaier, ganget Se an Ihr Telefon. Des isch ja net zum Aushalta« folgen.

      Die Küchentür flog geräuschvoll auf, gefolgt von den schlurfenden Schritten seiner Haushälterin, die brabbelnd an ihm vorüberzog. »Hockt in sei’m Sessel wie der Graf Rotz ond schickt mi en der Gegend rom. Sie könntet ja au ans Telefon ganga. Des isch ja net emmer für mi.«

      »Awa, mir g’hört der Apparat bloß, wenn i die Rechnung zahla darf. I woiß gar net, wie des Deng fonktioniert«, grantelte Goettle.

      »Stellet Se sich no recht bled a«, maulte Renate Münzenmaier und nahm mit einem unwirschen Gruß ab. Der Pfarrer beugte sich ein wenig nach vorn, um besser hören zu können, mit wem sie sprach. Neugierde war ihm ja eigentlich fremd, aber es war nie verkehrt, Augen und Ohren offen zu halten. Der gewohnte Wortschwall seiner Haushälterin blieb aus. Ganz gegen ihre Gewohnheit verharrte sie zunächst stumm und gab dann Schreckenslaute von sich.

      »Isch ebbes passiert?«, rief Andreas Goettle. Er bekam keine Antwort. Mühsam erhob er sich aus seinem Sessel und ging hinaus in den Flur. Renate Münzenmaier stand mit offenem Mund und totenblass da, presste den Hörer ans Ohr und lauschte. Als sie den Pfarrer sah, winkte sie ihn zu sich her.

      »Des isch jo unfassbar. Da fehlet mir die Worte. An kloina Moment. I geb Ihnen den Herrn Pfarrer.«

      Sie reichte den Hörer an ihren Dienstherrn weiter, schlug sich die Hand vor den Mund und beobachtete, wie Andreas Goettle das Gespräch übernahm.

      »Hallo, wer isch denn do? Ah, der Herr Blutreiter persönlich. Gibt’s a Problem? Sen Ihne die Gäul durchganga?«, witzelte er. Frau Münzenmaier sah, wie das Lächeln in seinem Gesicht erfror und immer mehr in sich zusammenfiel, um schließlich dem Entsetzen Platz zu machen.

      »Des isch jetzt net Ihr Ernschd«, keuchte Biberachs Gemeindepfarrer. »Des isch ja a Katastrophe von ungeheuerlichem Ausmaß. Da muas mr sofort die Polizei informiera …«

      »Nein, keine Polizei«, tönte es schrill aus dem Hörer. Den Rest konnte Renate Münzenmaier nicht verstehen.

      Andreas Goettle lauschte seinem Gesprächspartner, nickte und beendete das Gespräch wortlos. Das Gehörte schien ihn zu bedrücken, ließ ihn schrumpfen, als wäre die Nachricht tonnenschwer auf seinen Schultern abgeladen worden. Mit sorgenvollem Blick wandte er sich an seine Haushälterin.

      »Sie hen’s g’hört. Der Seegmüller isch in große Schwierigkeita. Packet Se mir a paar Sacha z’samme. I fahr für a paar Tag nach Weingarta. Ond schwätzet Se bloß mit koi’m über die Sach. Des darf niemand erfahra.«

      »Wenn’s sei muss, schweig i wie a Grab. Aber Sie könnet net oifach nach Weingarta fahra. Sie hen nächschde Woch die Anhörung. Wega Ihrer Amtsenthebung«, insistierte Renate Münzenmaier. Sie wusste, dass dieser Einwand Andreas Goettle nicht von seinem Entschluss abbringen konnte, dennoch war es ein gefährliches Spiel, wenn er diesen Termin bei Erzbischof Timmermann ungenutzt verstreichen ließ. Biberachs Gemeindepfarrer war beim Vorstand der Diözese Rothenburg in Ungnade gefallen, weil er nach dessen Ansicht durch seine zunehmenden detektivischen Ermittlungen seine Gemeindearbeit vernachlässigte. Außerdem war Goettle einer, der keine Gelegenheit ausließ, seinen Dienstherrn zu kritisieren und Reformen für die katholische Kirche zu fordern. Das stieß dem konservativen Fundamentalisten Timmermann sauer auf, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er Andreas Goettle am liebsten exkommuniziert.

      »Des isch mir wurscht. Der Herr Erzbischof macht eh, was er will. Es gibt jetzt Wichtigeres, als über ebbes zum diskutiera, was scho längschd entschieda isch.«

      Renate Münzenmaier seufzte. Sie würde den alten Querkopf vermissen, wenn es wirklich zum Äußersten kommen sollte. Und davon musste man ausgehen, wenn er diesen wichtigen Termin verstreichen ließ. Es war Goettles letzte Chance, sich zu rehabilitieren. Aber dafür hätte er sich zu mehr Linientreue verpflichten müssen und das kam für den umtriebigen Geist keinesfalls infrage. Er ließ sich nicht verbiegen, selbst durch eine drohende Arbeitslosigkeit nicht. Ihm war bisher immer etwas eingefallen, wie er sich zum Wohl der Menschen in Biberach engagieren konnte. Derzeit kümmerte er sich um den Lebensmittelnachschub des Tafelladens. Die Einzelhändler der Stadt unterstützten ihn durch Spenden, und wenn es knapp wurde, tauchte der Geistliche in die Abfalltonnen der Supermärkte, um Lebensmittel herauszufischen, die optisch kleine Mängel aufwiesen, ansonsten jedoch »pfennigguad« waren.

      Schweren Herzens stieg Renate Münzenmaier die Treppe hoch, um den Koffer des Pfarrers zu packen.

      Acht Tage bis zum Blutritt

      Geheimnisse.

      Sie schweißen zusammen oder bewirken das genaue Gegenteil. Geheimnisse gilt es, zu wahren wie Schätze, gerade, wenn sie einem nicht selbst gehören. Die Weitergabe zeugt von tiefem Vertrauen, das Wissen darum und die Exklusivität machen sie so wertvoll. Geheimnisse können ebenso eine Bürde sein. Sie verleiten zum Verrat, wenn dies dem eigenen Vorteil dient.

      »Da ist ja unser Schisshase. Ich hab gleich gesagt, dass er keine Eier hat.«

      »Natürlich habe ich Eier. Ich kann das beweisen.«

      »Ach so, wie denn? Du wolltest doch einen Film drehen, wie du die Nacht in der Kirche verbringst. Hab ich nicht gekriegt. Weil du nicht drin warst.«

      »Ich war in der Kirche, wirklich.«

      »Mann, laber nicht. Wir brauchen Beweise.«

      »Hat er nicht. Der pisst sich ein, wenn seine Mutter das Licht im Zimmer ausmacht. Buuuhhhuu, dann kommen die Geister und die Monster aus ihren Verstecken.«

      »Quatsch, ich habe keine Angst im Dunkeln. Meine Schwester hat mir ihr Handy nicht gegeben, deswegen konnte ich keinen Film drehen. Ich kann es trotzdem beweisen, dass ich heute Nacht in der Basilika war.«

      »Hör auf zu lügen, du Großmaul. Glaubst du, du kannst uns verarschen, oder was?«

      »Aua. Wenn ihr versprecht, mich in Ruhe zu lassen, zeige ich euch etwas, was ihr noch nie gesehen habt.«

      »Hau ihm eine rein, der tickt nicht ganz richtig.«

      »Lass ihn los! Okay, zeig uns, was du mitgebracht hast. Wenn das irgendein Scheiß ist, hast du ein Problem.«

      »Ich verarsch euch nicht. Hier.«

      »Was ist das?«

      »Dein Ernst? Du weißt nicht, was das ist? Das ist das Heilige Blut.«

      »Krass. Ist das echt Gold und so?«

      »Klar, ist das echt … He, Finger weg. Nur gucken.«

      »Wer macht hier die Regeln, du kleiner Wichser? Boah, das ist voll schwer das Teil. Was ist das wert? ’ne Million?«

      »Das