fluchte Frederic bewusst so leise, dass sie es nicht hören konnte.
Nachdem ihr die Bedienung den Sekt und ihm ein Affligem-Bier gebracht hatte, war für sie die Welt in Ordnung. Lediglich Frederic war wegen des Rauchverbots in geschlossenen Räumen etwas säuerlich, was Angelika amüsierte. Seit sie sich vor vier Jahren kennengelernt hatten, tat sie alles, um ihn vom Rauchen abzubringen. Dies war der eigentliche Grund, weswegen sie im Lokal und nicht auf der Terrasse saßen.
Nachdem sie den ersten Schluck genommen hatte, entfuhr Angelika ein zufriedener Seufzer. »Ist es nicht schön, dass wir beide zur selben Zeit eine Woche freinehmen konnten, um uns ein wenig in der Heimat zu entspannen? Zuerst in ›meinem‹ Nordrhein-Westfalen und dann in ›deinem‹ Belgien. Und jetzt sitzen wir hier im beschaulichen niederländischen Vaals.« Ohne seine Antwort abzuwarten, begann sie, die geplante Freizeitgestaltung an den freien Tagen vor ihm auszubreiten: »Weil du jetzt bei mir in Aachen wohnst, werden wir morgen von dort aus ein wenig durch die deutsche Eifel fahren. Vielleicht besuchen wir die Burg Satzvey und trinken dort …«
»… ein Gläschen Sekt«, ergänzte Frederic mit einem Lächeln. Er kannte seine Partnerin in- und auswendig. Er erinnerte Angelika daran, dass sie schon öfter die Burg besucht, aber er dort nie etwas Ordentliches zu trinken, geschweige denn zu essen bekommen hatte.
Angelika schürzte die Lippen und zuckte keck mit den Schultern. »Warum nicht? Wir können es ja noch einmal versuchen. Vielleicht hat sich das Angebot der Burggastronomie ja ein bisschen verändert, seit die junge Gräfin das Sagen hat.«
»Das glaubst du doch selber nicht«, konterte Frederic, weil er ahnte, dass es dort nach wie vor keine belgischen Fritten und kein belgisches Bier geben würde. Der einzige Maßstab, an dem sich gute Gastronomie in seinen Augen messen ließ.
»Dann fahren wir eben zum berühmten ›Krimihotel‹ nach Hillesheim. Dort gibt es ein Lokal, das dir gefallen wird. Wie das Hotel sind auch die Gasträume voll im ›crime style‹ eingerichtet. ›Themenkneipen‹ sind ja heutzutage voll im Trend!«, schlug Angelika vor.
Weil Frederic wusste, was es für ihn bedeutete, wenn sie beide nicht zur Arbeit mussten, seufzte er. »Hör mal! Als du vorhin auf dem Markt gewesen bist, habe ich mich ein wenig mit der hiesigen Zeitung beschäftigt. Da konnte ich lesen, dass irgendwelche Verrückten eine Madonna gestohlen haben und …«
»Eine Madonna?«, unterbrach ihn Angelika, weil sie glaubte, sich verhört zu haben.
»Ja!«, nickte Frederic. »Hier in Vaals! Es handelt sich um eine wettergegerbte Muttergottesfigur aus Blaustein, die vor dem Lokal ›De Zwarte Madonna‹ gestanden haben soll!«
»Vor der ›Schwarzen Madonna‹ in Vaals steht doch der ganze Park voller Heiligenfiguren. Und im Lokal hängen sie sogar an den Wänden. Da gibt es doch auch dieses ›Sakralmuseum‹«, entgegnete Angelika.
»Halleluja!«, entfuhr es Frederic lachend.
»Warum machst du dich darüber lustig? Ich dachte, dir gefallen themenbezogen eingerichtete Lokale. In diesem Lokal ist alles authentisch, das ganze Café ist christlich dekoriert und eingerichtet. Dort kannst du sogar beichten!«
»Nicht im Ernst, oder?«, wunderte sich Frederic, der im Gegensatz zu Angelika nie dort gewesen war.
»Natürlich nicht! Obwohl im Lokal ein Beichtstuhl steht. Aber sag mal, was kann man mit einer verwitterten Madonnenfigur anfangen? Gibt es in Antwerpen nicht auch ein Touristenlokal, das ebenfalls mit sakralen Statuen vollgestopft ist wie das Café hier in Vaals?«
Frederic nickte. »Ja! Das kenne sogar ich! Du meinst sicher das ›Elfde Gebod‹ neben der Onze-Lieve-Vrouwekathedraal, oder?«
Angelika zuckte wieder mit den Schultern. »Ich glaube schon, dass ich es kenne. Wenn, dann ist es aber sehr lange her, dass ich dort war. Jedenfalls scheint dies wirklich ein Trend geworden zu sein«, fügte sie an und bemerkte, dass es auf der hiesigen ›Mergellandroute‹ etliche Lokale gab, in denen Heiligenfiguren herumstanden.
»Du meinst, dass sich dieser Trend auch bei uns fortsetzen und möglicherweise Erfolg haben wird?«
»Was heißt hier ›bei uns‹? Meinst du ›dein‹ ostbelgisches Eupen oder ›mein‹ nordrhein-westfälisches Aachen? Wenn schon, dann passt eine Kneipe mit Heiligenfiguren in die Kaiserstadt, dort gibt es schließlich einen weltberühmten Dom! Aber wieso interessiert dich das überhaupt? Witterst du schon wieder einen Mord?«, scherzte sie und war dabei stolz darauf, was »ihr« Aachen alles zu bieten hatte.
Frederic lächelte Angelika an und ließ sie weiterreden: »Na ja, meine Freundin Eleonore hat mir erzählt, dass in Aachen, direkt am Dom, ein altes Haus zu einem Speiselokal umgebaut wird, in dem es ›Messwein‹ geben soll.«
»Messwein? Du meinst so einen Wein, wie ihn die Priester während der Messe trinken?«
»Ja, geweihten Wein.« Angelika nickte. »Eleonore ist für die Raumgestaltung und das Interieur zuständig. Auf Wunsch des neuen Besitzers soll das Lokal durch und durch mit sakralen Gegenständen ausstaffiert werden. Dadurch möchte der Wirt, der extrem gläubig sein soll, neben gottesfürchtigen Einheimischen auch Pilger aus aller Herren Länder als Gäste anlocken, beispielsweise auch zur ›Aachener Heiligtumsfahrt‹. Aber erstens ist es nicht so weit, zweitens haben wir nichts damit zu tun und drittens hast du Urlaub. Uuuuurlaub! Verstehst du? Bestell mir lieber noch ein Gläschen Sekt!«
Die »Aachener Heiligtumsfahrt« fand doch alle sieben Jahre statt? Und da möchte der Wirt Umsatz machen?, dachte sich Frederic, während er die Bedienung herbeiwinkte.
*
Der Kriminalhauptkommissar saß knappe 70 Kilometer vom niederländischen Vaals entfernt in seinem Büro im ostbelgischen Provinzhauptstädtchen Eupen. Der Urlaub war – Gott sei’s gejubelt, getrommelt und gepfiffen – endlich vorüber. Voller Tatendrang hatte der Chefermittler sein dreiköpfiges Team mitsamt seiner Sekretärin gleich am Morgen seines ersten Arbeitstages zum Rapport zusammengerufen.
Während einer nach dem anderen in seinem Büro eintrudelte, überlegte der Leiter des Eupener Kriminalkommissariats, weshalb er schlecht gelaunt war. Eigentlich müsste er doch glücklich darüber sein, den gemeinsamen Urlaub mit Angelika einigermaßen unbeschadet hinter sich gebracht zu haben und wieder an seinem geliebten Schreibtisch sitzen zu dürfen. Weiß Gott, er liebte dieses intelligente Vollblutweib, das so viele Vorzüge vorweisen konnte, wie er Mankos und Marotten hatte. Aber musste sie ihn ständig von einem Herrenausstatter zum nächstbesten Schuhladen und von einem Sternelokal in die nächste Champagnerbar schleifen?
Lediglich der von Angelika vorgeschlagene Ausflug nach Hillesheim hatte ihm ohne Punktabzug gefallen; denn das »Krimihotel«, in dem sie übernachtet hatten, war bodenständig gewesen. Zudem hatte sich das angegliederte »Kriminalhaus« mit seinen vielen Ausstellungsstücken und der großen Krimi-Bibliothek als äußerst interessant erwiesen. Und im dazugehörenden »Café Sherlock« hatte es nicht nur Kaffee und Kuchen, sondern auch feine Bierspezialitäten gegeben, zwar keine belgischen, aber trotzdem gut trinkbare. Die drei Tage in der deutschen Eifel hatten ihm so gutgetan, dass Angelika ihn sogar dazu hatte überreden können, den »Eifelkrimi-Wanderweg« über die gesamte Strecke hinweg mitzugehen und sich am »Krimi-Suchspiel« zu beteiligen.
»Das nenne ich eine gelungene ›Themengastronomie‹«, hatte Le Maire den Inhaber des »Kriminalhauses« gelobt, nachdem er einen Gutschein über eine urige Eifelbrotzeit für zwei Personen in Empfang genommen hatte, weil er beim »Kriminalisieren« von immerhin 18 Teilnehmern der Beste gewesen war. Bescheiden wie er nun einmal war, hatte er sich trotz Angelikas Drängen nicht als »echter« Kriminalbeamter zu erkennen gegeben.
Aber dann war es umso dicker gekommen: Von wegen Ausflüge in seine belgische Heimat! Stattdessen sämtliche Juweliere in Aachen, Boss-Outlet in Köln und der extravagante Philipp-Plein-Shop an der Düsseldorfer »Kö«. Mit Angelikas schickem SLK waren sie sogar zum Nobelschuhgeschäft von John Lobb bis nach Frankfurt hinuntergerauscht. An die sündhaft teure Übernachtung in einem der dortigen Viersternehotels durfte er gar nicht denken. Ja, geht’s noch?, hatte er sich gefragt, Angelika