ich, abzüglich meines bescheidenen Honorars, auf gut 1,000.000 Pfund für dich. Was sagst du?«
Paul grinste. »Mach eins Komma zwei draus, und wir sind im Geschäft.«
Nathan überlegte nur kurz, nickte dann aber und hielt Paul seine Hand hin. Dieser schlug ein. Man war sich einig.
Für Paul war das in mehrfacher Hinsicht ein ganz entscheidender Vorteil. Einerseits freute er sich über die Summe, die er offensichtlich richtig geschätzt hatte, andererseits gewann er viel Zeit, da er sich nicht um weitere Hehler, nervenaufreibende Verhandlungen und gefährliche Transporte des Diebesgutes von A nach B kümmern musste. Das würde alles Nathan übernehmen.
»Ich habe da noch eine Kleinigkeit, Nathan, woraus ich nicht schlau werde. Wie ist dein Deutsch?«
Nathan vergaß für einen kurzen Augenblick sein ständiges Lächeln und zog die Stirn kraus. »Du weißt von meiner Geschichte, Paul? Oder? Hab ich dir doch erzählt.«
Paul nickte. Er wusste, dass Nathans Familie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus Nazideutschland fliehen musste. Nicht alle hatten es rechtzeitig geschafft.
»Deshalb mach ich nach wie vor um alles, was mit diesem Land zu tun hat, einen großen Bogen. Was ist es denn?«
Paul holte den vergilbten Briefumschlag aus seiner Jackentasche. »Lag in einem der Schließfächer«, sagte er und reichte ihn Nathan.
Dieser setzte seine Lesebrille auf und betrachtete zunächst nur den Umschlag. »Da ist keine Adresse drauf. Stammt der Brief aus Deutschland?«
Paul nickte. »Ich glaube schon.«
»Mit diesem Umschlag ist der aber nicht verschickt worden. Das ist ein alter englischer. Das Format war in den 30er- bis 50er-Jahren üblich. Stammt wahrscheinlich aus dem Norden. Siehst du hier diese kleine Signatur?«
Nathan wies auf drei kaum sichtbare eingepresste Buchstaben auf der Innenseite der dreieckigen Verschlussklappe. »Das ist die Signatur einer Papierfabrik in Leeds. Die gibt es übrigens heute noch. Na, dann schauen wir mal weiter.« Er öffnete den Umschlag und nahm vorsichtig das Blatt Papier heraus. Mit nach wie vor gerunzelter Stirn fing er an zu lesen. Einige Minuten später zog er sich einen Stuhl heran, setzte sich und las weiter. Er brauchte lange, bis er den Brief langsam auf den Tisch legte. Nathan nahm die Brille von der Nase und starrte kopfschüttelnd vor sich hin.
»Was ist? Konntest du etwas entziffern?«
Nathan räusperte sich umständlich und sagte leise, mehr zu sich selbst als zu Paul: »Das ist ja ein Ding. Von so etwas habe ich noch nie gehört. Einfach unglaublich.«
9. Kapitel
Dortmund, Juli 2019
Die Tafel war festlich gedeckt. Großmutter Lina hatte das beste Geschirr und die edelsten Gläser aus den Schränken holen lassen. »Ich hatte ja erst an ein Buffet gedacht«, meinte sie in die allgemeine Runde. Aber so ist es doch viel gemütlicher. Die Einzigen, die heute springen müssen, sind meine lieben drei Helferinnen. Danke, dass ihr das für mich macht!«
Applaus brandete auf, als die jungen Frauen, die alle drei aus dem Dorf kamen, einen Knicks andeuteten.
»Die eine kenne ich noch von früher«, flüsterte Sabine Raster zu. »Das ist die Tochter von dem Pub-Besitzer im Dorf. Bei der habe ich damals manchmal gesittet.«
»Ihr habt einen Pub hier? Im kleinen Holthausen?« Raster wunderte sich.
»So ungewöhnlich ist das gar nicht«, antwortete Sabine. »Das sind Überbleibsel aus der Zeit der britischen Besatzung. Bis heute sind noch einige 1.000 Briten in Nordrhein-Westfalen stationiert. Und nicht wenige sind mit ihren Familien hier hängengeblieben. Ist ja auch viel schöner als im verregneten England.« Sabine lachte. »Nein, Scherz. Aber jedenfalls ist das die kleine Kim von dem Wirt. Die Kneipe gibt es, glaube ich, schon seit den 90er-Jahren.«
In diesem Moment wurde Sabine durch die erste Vorspeise unterbrochen. Es gab verschiedene Räucherfische mit unterschiedlichen Dips und Weißbrot. Dazu wurde ein eiskalter Sancerre von der Loire gereicht. »Für mich bitte nur Wasser«, bat Sabine, als eine der drei Kellnerinnen einschenken wollte.
»Sag mal. Das ist mir vorhin schon aufgefallen. Du trinkst ja heute keinen Tropfen Alkohol. Was ist los? Du bist doch nicht etwa …?« Raster brachte das Wort nicht über die Lippen.
Lachend antwortete Sabine: »Nein! Also nicht, dass ich wüsste. Mir war einfach nicht danach. Aber du hast vollkommen recht. Einen so guten Tropfen darf man nicht verschmähen.« Und damit winkte sie der jungen Frau, ihr doch ein Glas Wein einzuschenken.
»Habe ich euch eigentlich erzählt, dass bei mir eingebrochen wurde?«, fragte Lina in die kurzzeitig entstandene Stille hinein.
Entrüstet reagierte Günter als Erster auf diese Nachricht. »Aber Mutter, warum erfahren wir denn erst jetzt davon? Wann war das? Erzähl schon!«
»Ach, es ist ja nichts weiter passiert«, meinte Lina leichthin. »Vor knapp einem Jahr.« Sie überlegte kurz. »Ja, es muss im Oktober gewesen sein, nicht wahr, Fritz?«
Der Angesprochene nickte zustimmend, konnte aber nichts sagen, da sein Mund mit köstlichem Forellenfilet beschäftigt war.
»Ja, also. Fritz war wie immer als Erster auf«, fuhr sie fort. »Er weckte mich morgens ganz früh, ich sollte mir mal schnell was anziehen und runterkommen. Hier unten zeigte er mir Hebelspuren an der Terrassentür. Die haben sie aber offenbar nicht aufgekriegt. Dafür war das Fenster in der Speisekammer eingeschlagen. Da sind sie rein.«
»Was wurde denn gestohlen?«, fragte Barbara, die bekanntermaßen ein sensibles Wesen war und bei solchen Themen schnell Angst bekam. Hektische Flecken entstanden wie aus dem Nichts an Hals und im Dekolletee.
»Das war ja das Merkwürdige«, antwortete Lina. »Natürlich haben wir die Polizei gerufen. Die sind mit uns durch jeden einzelnen Raum gegangen. Es fehlte absolut nichts. Allerdings sind die Einbrecher in allen Räumen gewesen, was die Polizei anhand von Fußspuren nachweisen konnte. Stellt euch vor: Sogar in meinem Schlafzimmer sind sie rumspaziert, während ich geschlafen habe. Ist das nicht furchtbar?«
»Eine gruselige Vorstellung«, bestätigte Gernot. »Aber gut, dass nichts weggekommen ist.«
»Na ja. Offensichtlich haben die etwas Konkretes gesucht«, sagte Sabine nachdenklich. »Kein normaler Einbrecher macht sich solche Mühe, latscht durch das ganze Haus, lässt aber alles stehen und liegen, um dann wieder zu verschwinden. Allein, was hier unten an den Wänden hängt, ist doch ein Vermögen wert.«
»Hast du denn eine Ahnung, was sie gesucht haben könnten?« Raster fand es ein wenig komisch, diese alte, vornehme Dame, die er mal gerade einige Stunden kannte, zu duzen.
Lina schüttelte den Kopf. »Fritz und ich sind sogar zusammen mit der Versicherung die Listen aller Wertgegenstände durchgegangen. Nichts von alledem ist weggekommen. Weder Gemälde noch Schmuck oder Silber.«
»Merkwürdige Sache«, meinte auch Frieda. »Aber sollten wir nicht den Kindern erlauben, spielen zu gehen. Sie langweilen sich.«
Max, Klarissa und Lydia, die schon einige Zeit unruhig auf ihren Stühlen hin und her rutschten, riefen unisono »Au ja!«, und wurden entlassen. Sie waren, während die Erwachsenen ihren Fisch genossen, mit einer großen Portion Spaghetti Bolognese abgespeist worden.
Als Nächstes gab es ein feines Kressesüppchen mit Croutons, und anschließend konnten sie zwischen Schweinemedaillons in einer Champignonrahmsoße und Rinderfilet wählen. Für die Vegetarier Sarah und Christoph gab es Zucchinipuffer. Dazu wurden diverse Beilagen gereicht, und schon bald hörte man von dem einen und anderen ein zufriedenes Aufstöhnen.
»Aber der Höhepunkt kommt doch noch!«, rief Lina mit gespielter Empörung. »Meine selbstgemachte Zitronentarte aus Korfu.«
Alle außer Raster kannten dieses Zauberrezept, das Lina vor Jahren von einem Griechenlandurlaub mitgebracht hatte, und konnten nicht widerstehen. Selbst Raster, der kein Fan von