und neben der einige antike Stühle standen. »Lasst eure Taschen hier. Wir sitzen im Garten.«
Raster folgte Sabine und ihrer Großmutter durch eine hohe Tür hinter der Treppe in den rechten Flügel des Hauses. Sie betraten ein helles Wohnzimmer mit großen Fenstern und einer Terrassentür, die in den Garten führte. Der etwa drei Meter hohe Raum war geschmackvoll mit alten Möbeln eingerichtet, wobei Raster keine Ahnung hatte, aus welcher Epoche sie stammten. An den Wänden hingen, wie schon in der Diele, wertvoll aussehende Gemälde, die er aber nicht weiter einordnen konnte. Draußen, auf dem Rasen, war eine lange Kaffeetafel aufgebaut. Vergnügtes Geplapper von mehreren Menschen drang bis ins Wohnzimmer. Raster holte einmal tief Luft und trat dann hinter Sabine nach auf die Terrasse.
»Alles gut«, flüsterte sie. »Ist doch nur meine bucklige Verwandtschaft.«
Als ob mir das helfen würde, dachte Raster und bereute in diesem Moment, überhaupt mitgekommen zu sein. Wie gerne säße er jetzt zu Hause an seinem PC und tüftelte an kniffligen Fragen zur Entwicklung eines neuen Computerspiels.
Die Gespräche waren mit einem Schlag verstummt, als die Gesellschaft die beiden Neuankömmlinge bemerkte. Nur Hanna, Sabines jüngere Schwester, war aufgesprungen und eilte den beiden entgegen.
Na, wenigstens eine, die ich kenne, dachte Raster erfreut.
»Keine Sorge«, flüsterte Hanna ihm während der Begrüßungsumarmung ins Ohr, »die sind alle nur schrecklich neugierig, wen Sabine da mitgebracht hat. Alles ganz harmlos.«
»Ihr Lieben!«, hob in diesem Moment das Geburtstagskind an. »Sabine kennt ihr ja alle. Und das ist ihr Freund, Hans Schulz, aufgrund dieser unübersehbaren Haarpracht von allen nur Raster genannt. Nehmt ihn herzlich in eurer Mitte auf, denn wer meine Sabine glücklich macht, der gehört wahrlich zu uns.«
Applaus brandete auf, und spätestens in diesem Moment sehnte sich Raster nach irgendeiner Art Zeitmaschine, die ihn von hier wegbrächte.
»Komm, wir setzen uns. Dann erzähl ich dir, wer wer ist. Oma ist manchmal ein wenig pathetisch. Nimm es ihr nicht übel. Und die Leute da sind fast alle richtig nett.«
Nachdem sie die obligatorische Begrüßungsrunde vollzogen hatten, setzten sie sich auf zwei leere Stühle, die Gott sei Dank nebeneinanderstanden, wie Raster immer noch leicht nervös bemerkte. Sofort steuerte eine junge Frau mit weißer Schürze auf sie zu, die er vorher gar nicht wahrgenommen hatte. »Darf ich Ihnen Kaffee einschenken?«, fragte sie, eine Porzellankanne in der Hand haltend.
Beide ließen sich gerne bedienen und genossen schon bald den selbstgemachten Apfelkuchen, der Sabine ein ums andere Mal zum Schwärmen brachte. Nach den ersten Bissen hielt sie inne und legte ihre Gabel auf den Teller. »Also fangen wir mal an. Rechts von dir, die beiden Mädchen, müsstest du ja eigentlich kennen.«
Raster nickte. Klarissa, Hannas Tochter, und Lydia, ein Pflegekind von Hanna, das von seiner Mutter verstoßen wurde und dessen Vater im Gefängnis saß. Woran Raster, Philo und Sabine nicht gerade unbeteiligt waren. Beide standen am Anfang der Pubertät. Lydia hatte das Downsyndrom, machte aber in der Schule gute Fortschritte und war mit Klarissa ein Herz und eine Seele. Sie freuten sich riesig auf die Pferde, und die Urgroßmutter hatte ihnen für den Spätnachmittag einen kleinen Reitausflug versprochen, wie Klarissa Raster stolz berichtete.
»Dahinter kommen Hanna und ihr Freund Klaus. Den kennst du, glaube ich, noch nicht?«
Raster schüttelte den Kopf.
»Ist ein richtig Netter. Kommt super gut mit den Mädchen klar und wohnt wie Hanna auch in Herne. Ich wette, die ziehen bald zusammen. So, weiter im Text: Links von mir sitzen zwei befreundete Paare aus dem Dorf. Ich habe die früher zwar öfter hier gesehen, aber frag mich nicht nach den Namen. Uns gegenüber fangen wir mal ganz rechts an. Da ist zunächst Tante Frieda, Omas älteste Tochter. Sie ist schon lange verwitwet. Links neben ihr sitzt ihre Tochter Barbara, also meine Cousine.«
»Moment mal. Nicht so schnell«, fuhr Raster dazwischen. »Wie viele Kinder hat denn deine Oma?«
»Drei«, antwortete Sabine, »Frieda, mein Vater und Günter Funda. Der sitzt neben Barbara, mit seiner Frau Helga und dem Sohn Gernot. Die Fundas wohnen in Münster und Gernot in der Nähe von Dülmen.«
»Was macht der denn beruflich? Er sieht ein wenig ungepflegt aus, so ein bisschen wie ich früher.«
Sabine lachte. »Das kann schon hinkommen. Er ist arbeitslos und schlägt sich, soweit ich das mitbekommen habe, mit Gelegenheitsjobs durch. Ehrlich gesagt mag ich ihn nicht besonders. Aber wir hatten nie engeren Kontakt. Wenn ich mir das recht überlege, eigentlich keiner von uns. Weder meine vier Geschwister noch Barbara. Aber egal. Die Nächsten sind mein Bruder Ralf – den kennst du von meinem 40. Geburtstag – mit seiner Frau Sarah und dem Sohn Max. Und dann sind da noch mein Bruder Christoph mit Freundin Claudia. Ah, und da kommen die Ehrengäste.«
Oma Lina war aufgestanden und eilte einem Paar entgegen, das von einer weiteren Angestellten in den Garten geführt wurde. Dahinter folgte in gebührendem Abstand, dem Talar zufolge, der Pfarrer des Dorfes.
»Das ist der Bürgermeister von Brechten Hans Fleischhauer nebst Gattin Petra und Pfarrer Hilgenstock«, erklärte Sabine.
»Was hat denn der Bürgermeister um den Hals hängen?«, fragte Raster erstaunt, der eine solch breite und opulente Kette, geschweige denn bei einem Mann, noch nie gesehen hatte.
»Das ist die Amtskette, du Ignorant«, meinte Sabine. »Wird bei allen hohen Anlässen vom Bürgermeister getragen. Also auch beim 90. Geburtstag einer hochgestellten Persönlichkeit.«
»Wieso ist deine Großmutter eine hochgestellte Persönlichkeit? Okay, sie hat offensichtlich Vermögen, aber das heißt ja nicht automatisch, dass sie etwas Besonderes im politischen Sinne darstellt.«
Ein Schatten huschte über Sabines Gesicht, und kurzzeitig war ihr Lachen verschwunden. »Ich erkläre dir das später«, meinte sie nur und nahm einen Schluck aus ihrer Kaffeetasse.
Raster war in Gedanken schon wieder ganz woanders und hatte die Veränderung im Gesicht seiner Freundin gar nicht mitbekommen. Er beobachtete interessiert die Küsschen links und rechts, die die Bürgermeistersgattin der Jubilarin auf die Wangen drückte. Gut, dass endlich jemand anderes im Mittelpunkt steht, dachte er erleichtert.
4. Kapitel
Brighton, Südengland, April 2017
Paul beobachtete verstohlen seine drei Kumpel. Dies war eine äußerst gefährliche Zeit. Er wusste, dass von diversen Brüchen vorher. Wenn alles, wie in diesem Fall, so glatt lief, verbreitete sich schnell eine Art Euphorie in der Truppe, die zu Fehlern führen konnte. Mit verheerenden Folgen für alle.
Keith und Simon wirkten noch einigermaßen überlegen, während sie angefangen hatten, das Diebesgut aus den großen Sporttaschen zu sortieren. Aber auch sie kamen aus dem breiten Grinsen nicht mehr heraus. Ethan allerdings wirkte übermütig und fahrig. Entgegen seiner sonst so stillen Art juchzte er jedes Mal wie ein kleiner Junge auf, wenn er ein Stück aus seiner Tasche klaubte. Außerdem ging er nicht gerade sorgsam mit den Dingen um. Paul musste ihn im Auge behalten.
Im Wohnzimmer der Wohnung hatte sich ein saurer Schweißgeruch in die klamme Kälte gemischt. Ein solcher Überfall war immer mit Stress verbunden, und das merkte man deutlich. Aber es war perfekt gelaufen. Vonseiten der Bankangestellten hatte es kaum Widerstand gegeben. Die drei Notfallknöpfe hatten sie innerhalb weniger Sekunden entdeckt und dafür gesorgt, dass sich keiner in ihrer Nähe aufhielt. Der Filialleiter hatte ohne Zögern die schwere Tür zu dem Raum mit den Schließfächern geöffnet, woraufhin alles sehr schnell gegangen war. Die Spezialwerkzeuge taten, was sie sollten, und innerhalb von wenigen Minuten waren sämtliche Fächer geleert, in denen sie vermeintlich Wertvolles gefunden hatten. Auch der Rückzug war schon fast zu glatt gegangen. Eine Warnung an die Angestellten hatte ausgereicht, ihnen einen ausreichenden Vorsprung zu verschaffen. Keine Sirene ertönte, und so waren sie ohne Hast in ihrer Wohnung in Brighton angekommen. Der kleine Umweg über einen befreundeten Schrotthändler, wo sie den Zweitwagen geparkt hatten,