Olaf Nägele

Goettle und der Kaiser von Biberach


Скачать книгу

sollte. Sie würde ihn ohnehin nicht wiedersehen, das stand fest. Und irgendwie hatte sie keine Lust, über ihren Beruf zu reden. Schon gar nicht mit ihm, dem Versicherungsmakler mit seinem so aufregenden Leben.

      »Ich bin Sekretärin bei einer Gebäudereinigungsfirma«, sagte sie und sah dabei zu, wie Joachims Mimik den Fahrstuhl nach unten nahm. Offenbar hatte er sich ein spannenderes Date gewünscht.

      »Hm, ja, das ist bestimmt auch ganz nett«, hakte er ein. »Ich sage ja immer: Ein Beruf ist so interessant, wie man ihn sich macht. Ich zum Beispiel stelle mir jede Woche eine neue Herausforderung …«

      Er zog ein Smartphone aus der Tasche, wischte wie wild auf dem Display herum und präsentierte eine Liste. »Hier. Nächste Woche will ich zwei Neukunden besuchen und insgesamt mindestens 1.500 Euro Umsatz machen. Das ist hart, oder? Ich meine, ich kenne die Kunden noch gar nicht und ich habe keine Idee, wie und wo ich sie finden soll. Aber man wächst mit seinen Aufgaben. Das ist einer meiner Grundsätze. Nur so kommt man weiter …«

      Die Melodie der TV-Serie »The Munsters« erklang. Der Klingelton ihres Telefons unterbrach Joachims einsetzende Wortkaskade. Mit geweiteten Augen starrte er Greta an, als sie ihr Handy aus der Tasche zog und ihn entschuldigend anblickte.

      Sie nahm ab. »Gerber? Ja … Ach so … Jetzt gleich? … Gut, ich komme.«

      Sie legte Joachim eine Hand auf die Schulter.

      »Es tut mir leid, aber ich muss dringend weg. Einer unserer Fensterputzer ist vom Gerüst gefallen. Nicht schlimm, nur aus dem ersten Stock. Das macht er oft. Wahrscheinlich will er sich eine Krankmeldung erschleichen. Ich muss die Unfallversicherungsunterlagen für ihn raussuchen. War wirklich nett mit dir.«

      »Aber wir wollten doch noch einen Nachtisch …«, stammelte Joachim und sah ihr dabei zu, wie sie sich die schwarze Jeansjacke über die Schulter warf.

      »Vielleicht ein anderes Mal. Ich ruf dich an«, sagte Greta und rauschte davon, ohne sich noch einmal umzudrehen.

      Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht loszuprusten. Eine dümmere Ausrede hätte sie wohl kaum finden können, aber offenbar zog Joachim die Geschichte keine Sekunde in Zweifel. Blieb zu hoffen, dass dieser Langweiler ihre Aussage richtig interpretierte und seine Balz anderweitig fortsetzte.

      »Was soll denn der Blödsinn, Frau Gerber?«, quäkte Denis Schneiders Stimme aus dem Handy. »Haben Sie getrunken?«

      »Ich bin derartig stocknüchtern, das können Sie sich gar nicht vorstellen. Und ernüchtert. Danke, Schneider, Sie haben etwas gut bei mir«, sagte Greta und legte auf.

      Vor der Tür der Cocktailbar atmete sie tief ein und ließ die frische Frühlingsluft in die Lungen strömen. Sie fröstelte. Obwohl die Temperaturen tagsüber schon ab und an die 20-Grad-Marke überstiegen, waren die Nächte noch kühl.

      Aus der Grünanlage neben der Stadthalle war jugendliches Johlen zu hören. Flaschen rollten über den Boden, Gelächter. Die jungen Biberacher schienen sich schon auf den nahenden Sommer einzustimmen, der, wie in anderen Städten auch, mit Alkoholgenuss in Freianlagen einherging.

      Greta wurde ein wenig wehmütig, als sie daran dachte, dass sie die warmen Abende wohl allein verbringen musste. Einen Moment schoben sich die Gesichter ihrer Mutter und ihrer Schwester ins Gedächtnis und legten sich wie ein Band aus Stahl um den Brustkorb. Sie ließ sich von einer Heimwehwelle überrollen und kämpfte gegen die Selbstmitleidstränen an. Sie sah zum Weißen Turm, der sich stolz und mächtig über die Innenstadt erhob. Wie oft war sie in den letzten Wochen den Weg hinauf zu ihm gestiegen, hatte seine Nähe genossen und sich von ihm behütet gefühlt.

      Geduld, das war es, was ihr fehlte. Und Gelassenheit. Es war alles eine Frage der Zeit, bis sie sich zurechtfand und nette Menschen kennenlernte. So viel besser war es ihr in Freiburg schließlich auch nicht gegangen. Der Beruf und die vermeintliche Karriere standen dem privaten Glück im Weg, und sie konnte in diesem Punkt auch nicht aus ihrer Haut. Vielleicht war sie keine gute Freundin, womöglich hatte sie als Liebhaberin Schwächen, aber eines war sie ganz gewiss: eine gute Polizistin. Das würde sie den Menschen hier in Biberach schon noch beweisen.

      »Wenn nur mal etwas Interessantes passieren würde«, murmelte sie. Langsam schlenderte Greta die Theaterstraße in Richtung Marktplatz hinunter und nahm sich vor, sich in ihrer Wohnung noch ein Glas Rotwein zu genehmigen.

      5

      »Ist er tot?«

      »Keine Ahnung … Warte … Nein, er atmet noch …«

      »Lass uns abhauen.«

      »Das können wir nicht riskieren.«

      »Was schlägst du vor?«

      »Heb die Knarre auf!«

      »Wieso …?«

      »Mach schon!«

      »Aber das geht doch nicht.«

      »Gib sie ihm in die Hand.«

      »Was soll das denn?«

      »Leg seinen Finger an den Abzug und drück ihm das Ding an die Schläfe …«

      »Soll das wie ein Selbstmord aussehen, oder wie? Das glaubt doch kein Mensch.«

      »Ich … Nein … Ich kann das nicht. Oh Gott, er kommt zu sich …«

      »Drück ab!«

      »Er macht die Augen auf.«

      »Drück ab!«

      »Ich kann das nicht!«

      »Mach schon. Er wird keine Ruhe geben, bis er hat, was er will. Er liefert uns ans Messer. Wenn er auspackt, dann ist alles aus. Ist es das, was du willst?«

      »Er will etwas sagen. Ich glaube, er hat mich erkannt.«

      »Dann drück endlich ab.«

      »Nein … Ich …«

      »Drück ab!«

      …

      »Hör auf zu zittern. Wir müssen ihn wegbringen. Schnell.«

      »Ich … Ich hab ihn umgebracht.«

      »Unsinn. Du hast ihn wieder dahin befördert, wo er schon lange war. Wir müssen ihn wegschaffen. Ich kann ihn nicht mehr sehen.«

      »Fass mit an, ich kann ihn nicht alleine tragen.«

      »Mir ist schlecht. Ich muss kotzen.«

      »Reiß dich zusammen und nimm seine Beine.«

      »Wo bringen wir ihn hin?«

      »Wir helfen ihm unterzutauchen. Endgültig.«

      6

      1. FC Oberschwaben schon bald drittklassig?

      Andreas Goettle überflog den Bericht über den Club, der drauf und dran war, eine Institution im Profi-Fußball zu werden. Nach einem miserablen Start in die neue Saison stand das Team nun, kurz vor dem Ende der Rückrunde, an der Spitze der Regionalliga Südwest und konnte den Aufstieg in die dritte Bundesliga schaffen. Es war kein gewachsener Erfolg, sondern einer, der vom Kapital bestimmt wurde. Vor einigen Jahren hatte der Spielervermittler Siegfried Röder einige Großsponsoren um sich geschart und die Idee entwickelt, die nur bedingt erfolgreichen Fußballabteilungen von Olympia Laupheim und des FV Biberach zusammenzuführen. Unter dem neuen Clubnamen 1. FC Oberschwaben wurde eine schlagkräftige Mannschaft geformt, die, verstärkt durch einige ehemalige Bundesligaprofis, den Platz von Olympia Laupheim in der Verbandsliga übernahm und sofort um den Aufstieg mitspielte, den sie letztlich knapp verpasst hatte, in den folgenden beiden Spielzeiten jedoch erreichte.

      Andreas Goettle hatte diese Entwicklung zähneknirschend verfolgt. Zum einen war er glühender Fan des FV Biberach gewesen und hatte kein Heimspiel versäumt. Zum anderen ärgerte es ihn, dass aus den beiden Traditionsclubs eine Söldnertruppe entstanden war, die seiner Ansicht nach wenig mit der Region gemein hatte. Dementsprechend