ergeben. Sie waren zum Zeitpunkt der Tat bei einer Lesung in der Stadtbibliothek gewesen. Und leider gab es auf dem Seitz’schen Anwesen keine Alarmanlage.
»Bei ons gibt’s doch nix Rechts zum hola. Für des bissle Gruschd lohnt sich der Aufwand net«, hatte Kurt Seitz Gretas Frage abgeschmettert. »Außerdem isch mei Frau so dappig, die dät andauernd die Sirene auslösa.«
Während er seine Freude über den eigenen Witz hinausgluckste, hatte seine Gattin neben ihm gestanden und süßsauer gelächelt.
Auch die Befragung der Nachbarschaft hatte keine Anhaltspunkte gebracht. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört.
Nach dem Mittagessen gehe ich mal im Labor vorbei und mache denen ein bisschen Feuer unter dem Hintern, dachte Greta, schlug die Akte zu und begab sich in Richtung Kantine.
»Was haben Sie denn an vegetarischen Gerichten?«
Greta wusste inzwischen, dass es eigentlich überflüssig war, den Kantinenpächter Amesmaier danach zu fragen. Vegetarier oder gar Veganer deklarierte er als persönliche Feinde, er hielt Menschen, die sich so ernährten, für pervers.
»Kässpätzle könnet Se han«, lautete seine Antwort.
»Ich ernähre mich seit drei Wochen fast ausschließlich von Kässpätzle. Und heute ist mir nicht danach. Haben Sie noch etwas anderes?«
Amesmaier rührte mit seiner Schöpfkelle in dem Behälter mit Soße und sah sie angriffslustig an. »No esset Se halt an Salat. Onser Kartoffelsalat isch ganz frisch.«
»Ja klar, den Sie sicher mit Fleischbrühe angemacht haben.«
»Jo freilich, wie denn sonschd?«
Der Küchenchef wischte sich die Hände an der nicht mehr ganz sauberen Kochjacke ab. Greta stöhnte. Er begriff es einfach nicht.
»Dann geben Sie mir ein Käsebrötchen.«
»Die sen aus.«
»Meine Güte, gibt es wenigstens einen Apfel?«
»Hem mer heut net. Heut gibt’s Rote Grütze zum Nochtisch.«
»Die natürlich mit Gelatine gemacht ist. Und somit für Vegetarier auch ausscheidet.«
»Do isch bloß Obschd dren ond koi Floisch.«
Greta verzichtete darauf, Amesmaier über den Zusammenhang von Gelatine und Rinderknochen aufzuklären. Ihr knurrte der Magen, außerdem war es verplemperte Zeit, dem Koch etwas über die vegetarische Esskultur zu erläutern. Selbst wenn er es verstanden hätte, würde er nicht von seinem bisherigen fleischgerichtsatten Speiseplan abweichen.
»Na gut, dann nehme ich die Kässpätzle«, seufzte sie.
»Warom et glei so«, antwortete der Kantinenchef und schöpfte mit der Kelle, die eben noch in Soße gebadet hatte, die gelbe, schleimige Masse auf einen Teller. Wortlos nahm die Hauptkommissarin ihn in Empfang.
Ganz ruhig bleiben, befahl sie sich und nahm sich fest vor, am nächsten Tag das Essen von zu Hause mitzubringen.
Ihr Mobiltelefon klingelte. Greta schob den Teller, den sie nur halb geleert hatte, zur Seite und nahm ab. Kriminalrat Seidel atmete schwer.
»Zwei Badegäste haben eine männliche Leiche am See bei Ummendorf gefunden. Das Opfer weist offenbar eine Schusswunde auf und war in einem Sack verpackt. Unfassbar.«
»Okay, ich fahre sofort hin.«
Greta notierte sich die Adresse des Fundorts, wollte aufspringen und besann sich dann doch einer gemächlicheren Bewegung, zumal die Kässpätzle im Magen zu einem mächtigen Gebilde aufgequollen waren, dessen Gewicht sie in den Stuhl drücken wollte. Auf dem Weg zum Ausgang sah sie Schneider mit Kollegen an einem Tisch sitzen. Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter.
»Wir haben einen Fall. Ein Toter am Badesee bei Ummendorf. Erschossen. Wir müssen da sofort hin.«
»Ein erschossener Toter? Och Mönsch, ich esse doch gerade«, maulte Schneider und sah sein fast unberührtes Schnitzel wehmütig an.
»Dann nehmen Sie halt das Stück totes Tier mit«, grantelte Greta. »Aber wehe, Sie krümeln damit im Dienstwagen rum. Dann sorge ich dafür, dass Ihnen die nächste Innenreinigung in Rechnung gestellt wird.«
Schneider grummelte noch ein paar Flüche in seinen nicht vorhandenen Bart, warf sein Besteck auf den Teller und folgte ihr.
Durch und durch Schwabe, dachte Greta. Dieser Schneider hungerte lieber, als die Kosten für eine Autoreinigung zu übernehmen.
Am Ufer des Sees waren die Kolleginnen und Kollegen der Spurensicherung schon zugange. Es wurde fotografiert, jeder Grashalm umgedreht, nach Haaren, Hautschuppen, Zigarettenkippen, Fußspuren, nach Kleinigkeiten gesucht, die einen Hinweis auf den Täter geben konnten. Greta blinzelte gegen die blendende Maisonne an, die alle Pflanzen und Gegenstände zum Leuchten brachte.
Sie kroch unter dem Absperrband hindurch, bewegte sich auf die Spurensicherer zu, kniete sich neben den Mann, der die Leiche untersuchte, und stellte sich vor.
»Oliver Raible von der Gerichtsmedizin in Ulm«, erwiderte der Mittdreißiger, der in seinem weißen Schutzanzug ein wenig wie ein Spermium aus Woody Allens Film »Was Sie schon immer über Sex wissen wollten …« aussah.
Greta Gerber nickte anerkennend. Trotz der längeren Anreise war er noch vor der Polizei vor Ort.
»Sie sind wohl hergeflogen. Respekt«, sagte sie.
Raible lächelte. »Ich wohne in Biberach, daher musste ich meine Flugkünste nicht unter Beweis stellen.«
»Lässt sich schon etwas über die Todesursache und den Zeitpunkt der Tat sagen?«
Raible drehte den Kopf des Opfers zur Seite. Greta kämpfte angesichts der klaffenden Wunde an der rechten Schläfe mit dem Würgereiz, und auch Schneider nahm eine Gesichtsfarbe an, die ihm mühelos einen Nebenjob in einer Geisterbahn verschafft hätte.
»Ich würde sagen, Kopfschuss mit einer kleinkalibrigen Pistole aus nächster Nähe. Und vorher hat er mit einem schweren Gegenstand offenbar eins übergebraten bekommen. Der Todeszeitpunkt liegt schon ein paar Tage zurück. Mehr kann ich erst …«
»Nach der Obduktion sagen«, ergänzte Greta den Satz.
Raible schnitt eine Grimasse. »Na ja, er lag eine ganze Weile im Wasser. In diesem weißen Plastiksack hat er gesteckt, der wahrscheinlich mit Steinen beschwert war, um ihn am Grund zu halten. Irgendwann ist das Plastik gerissen und er wurde nach oben geschwemmt. Ein Glück, dass noch nicht so viele Badegäste hier sind.«
Greta schauderte bei dem Gedanken, dass planschende Kinder den Toten hätten entdecken können. »Haben wir die Tatwaffe?«
Raible schüttelte den Kopf. »Die Taucher sind bestellt und werden den See absuchen.«
»Hatte das Opfer Papiere bei sich?«
Erneut verneinte der Mediziner. »Keine Brieftasche, keine Papiere. Er hatte lediglich ein bisschen Kleingeld dabei.«
»Wer hat ihn gefunden?«
»Die zwei Athleten da drüben.«
Raible wies mit dem Kopf nach links.
Greta sah zwei übergewichtige Männer in Badehose auf einer Bank sitzen, die einem Polizisten Rede und Antwort standen. Sie ging zu ihnen, stellte sich vor und begann mit der Befragung.
»Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen?«
»Mir waret beim Schwemma und hen den Sack g’seha ond na hab i zum Markus g’sagt: Guck amol, da schwemmt a Gugg. Do hen welche wieder ihren Gruschd ens Wasser g’schmissa. I sag’s Ihne, i ben ganz fertig.«
Greta sah Schneider Hilfe suchend an.
»Die beiden haben den Sack, in dem sich der Tote befand, im Wasser treiben sehen und waren der Meinung, dass da Umweltsünder Unrat entsorgt haben. Er ist sehr aufgewühlt«, übersetzte ihr Assistent.