lila Nylontasche. Aus der zog sie ihre Plastikdose hervor, um uns etwas aus ihrem Fundus von Selbstgebackenem anzubieten. Etwas umständlich schob sie sich einen Sessel, der schwerer war, als er aussah, zu unserem Sofa. »Nachtisch, Mädels. Der ist besser als das Zeug vom Buffet. Und das ist schon nicht schlecht.«
Um nicht unhöflich zu sein, aber auch, weil ich inzwischen Hunger hatte, nahm ich ein paar Plätzchen. Zu dritt knabberten wir ihr Gebäck und schauten unseren Mitreisenden beim Leben zu, wie sie sich mit Getränken versorgten, lachten, miteinander plauderten und trotz der grauen Nieselsoße draußen aus den großen Fenstern fotografierten.
Enni schleckte eines ihrer Schokoplätzchen ab. »Der Behorn, Mädels, der isses. Wie der mich ansieht, da wird mir alles feucht. So was wie den an meiner Seite traut mir niemand zu. Aber ich sage euch«, wieder streckte sie ihre Zunge heraus, um genüsslich an ihrem Plätzchen zu lecken, »den habe ich verdient nach all den Pleiten.«
Rein äußerlich konnten die beiden kaum unterschiedlicher wirken. Behorn sah mit seiner Eleganz aus, als wäre er einer Vorabendserie entsprungen. Enni wirkte dagegen ungepflegt und wenig stilvoll. Obwohl mein letzter Drink eine Weile her war, fühlte ich mich angeheitert. Ich erhob einen Finger in Richtung Bar, und tatsächlich reagierte man darauf. Ohne dass ich mit jemandem sprach, brachte man mir einen Cocktail in Türkis. Dabei wollte ich nur Wasser. Die Alkoholversorgung lief hier wie am Schnürchen. Als Nächstes verlegte man sicher bald eine Pipeline direkt in meinen Mund. Ich wünschte Enni viel Glück mit Herrn Behorn. Es war immer schön, wenn sich jemand verliebte. Ich hatte erst mal ausgeliebt. Mein Drink schmeckte nach Curacao. Dort wollte ich immer schon einmal hin.
»Auf nach Curacao!«, hörte ich mich rufen und griff erneut in Ennis rote Dose. Ich fing an, mich an ihre etwas herb schmeckenden Plätzchen zu gewöhnen.
»Nicht so hastig, nimm vielleicht nicht so viele auf einmal.« Sie klang ermahnend wie eine Mutter, die verhindern wollte, dass man sich den Magen verdarb.
Krappmann kam, und ich wollte aufstehen, um diesen aparten Mann, der die Geschicke unseres Schiffes lenkte, zu begrüßen. »Hallo, Herr Krappitän«, sagte ich, als mich unerwartet ein blauer Fisch ansprang. Nein, ich fiel ihm entgegen. Es roch plötzlich ein wenig nach Turnhalle. Ich lag auf dem Boden, Auge in Auge mit den Fischen auf dem Teppichmuster. Dieser Geruch mischte sich mit Pfefferminze und Tabak, als Krappmann sich zu mir herunter beugte. Vorsichtig versuchte er mich aufzurichten. Er rief nach einem Wasser.
Ich schlang meine Arme um seinen Hals und zog seinen Kopf nah an mich heran. »Ich weiß leider nicht, wie man mich rettet. Habe die Einweisung verschlafen. Ist das nicht verboten?«
»Oh ja, das ist strengstens untersagt, aber vielleicht pausieren wir mal kurz mit den Cocktails.«
»Warum?«
»Duschen Sie kalt.«
»Mit Ihnen?«
Hatte ich das wirklich gesagt? Das sah mir gar nicht ähnlich. Ich versuchte aufzustehen. Beim Versuch zu gehen flog mir jedoch einer dieser schlecht riechenden Fische wieder entgegen. Schwammen die hier überall herum? Sanken wir? Ach, was machte das schon. Dann ging ich eben unter. Adieu, Adi. Ich tauche ab. Krappmann half mir wieder hoch.
»Ich zeige Ihnen jetzt mal, wo die Dusche ist«, sagte er.
»Oh ja! Zeigen Sie mir, wo der Frosch die Locken hat.«
Der Mann trug mich. Gab’s hier eine Türschwelle? Nein, nein, falscher Film. Bei jedem Schritt wippte die Welt. Hatte Adi mich seinerzeit eigentlich über eine Schwelle getragen? Ich erinnerte mich nicht mehr, aber ich war da schon sehr schwanger und wahrscheinlich viel zu schwer. Krappi machte seine Sache gar nicht schlecht. Heidewitzka, Herr Krappitän. Eine Welle, nein, eine Treppe. Der Mann war stark, ich wog jetzt auch ohne Kind im Bauch so viel wie damals. Vor allem mein Kopf war sehr schwer geworden, der wog bestimmt zehn Kilo mehr als noch heute Morgen.
»Fliegen wir nach Curacao?«, fragte ich.
»Aber ja.«
»Jetzt?«
»Gleich morgen früh.«
»Dann muss ich packen.«
»Nach dem Duschen.«
»Ist gut.« Er trug mich durch das Flussbett, den Kabinengang entlang. »Ach Krappi, haust du Adi eine runter?«
»Mach ich.«
»Wann?«
»Gleich morgen früh.«
»Gut.«
Er ließ mich herunter, meine Knie knickten ein. Maike tauchte auf, öffnete die Tür. Die beiden legten mich auf mein Bett. Da würde ich liegen bleiben bis ans Ende meiner Tage und konnte die Fische essen, die hier überall herumsprangen. Ich müsste nicht mal aufstehen dafür. Sollte sich die Welt ruhig ohne mich weiterdrehen. Es wurde leise.
Ich hörte Wasser rauschen und rief nach Adi, bevor mir dämmerte, wo ich mich befand.
Barfuß und mit tropfenden Haaren tapste Maike, in ein Handtuch gewickelt, aus dem Bad ins Zimmer.
»Ich bin’s nur. Hast du gut geschlafen?«
»Meine Zunge wiegt ’ne Tonne.«
»Am besten kombinierst du nicht so viel Alkohol mit Ennis Plätzchen.«
Maike machte sich fertig für den Volkssport hier an Bord: essen. In diesem Fall Abendessen.
Krappmann wollte, dass ich kalt dusche. Hatte ich? Hatten wir zusammen? Ich sah an mir herunter und war nicht nur bekleidet, sondern auch trocken. Wohl nicht. Oder ich war komplett vertrocknet. Meinen Kopf anzuheben fiel schwerer als gedacht. Auch die Beine spielten nicht so richtig mit. Die paar Meter bis zum Badezimmer erschienen mir recht weit. Einmal links um die Ecke, die freundlicherweise angeschrägt war, so kam man besser um sie herum. Dies war eigentlich der Ort der kurzen Wege. Liegend zog ich mich aus. Maike half mir auf und führte mich vorsichtig ins Bad, während ich mich an der abgeschrägten Ecke entlang abstützte. Wie konnte man nur so schnell altern? Ich fühlte mich wie hundert und ließ das Wasser in der Dusche auf mich herunterregnen. Ich schlief sonst nie am Tage. Saufen bekam mir nicht. Es half auch nicht. Maike brachte mir einen der weißen Bordbademäntel. Ein wenig erschöpft nach diesem Ausflug ins Bad setzte ich mich zu ihr aufs Bett. Sie sah mich an.
»Willst du mir nicht sagen, was wirklich los ist? Ich hatte Adi ein Dutzend Mal auf meiner Mailbox. Der schien ganz durcheinander und will dringend, dass du ihn zurückrufst.«
Mit noch immer schwerer Zunge wollte ich jenes Fiasko vor ihr ausbreiten, das meine Welt seit einer Woche aus den Fugen riss. Ich begann mit der Frau im ananasgelben Mantel vor meiner Haustür, als es an unserer Kabinentür Sturm klopfte.
Maike öffnete, und Enni, unsere liebestolle Nachbarin, brauste herein. Sie war sichtlich erregt, hatte doch der schöne Herr Behorn angekündigt, an unserem Tisch hinter der Dessertabteilung auf uns zu warten, damit wir zusammen zu Abend aßen. Maike ließ sich von Ennis Freude darüber anstecken. Man war gleich der Meinung, sich beeilen zu müssen, damit sich keine anderen Frauen zu ihm setzten, das ging gar nicht. Enni wollte nur noch kurz Make-up und Haare machen und in zehn Minuten zum Tisch eilen. Maike, nun ebenfalls ganz aufgekratzt, schloss die Tür hinter ihr und verfiel in Hektik. Dass ich nun meine Geschichte nicht erzählen musste, war mir recht. Sie zog mich zu sehr runter.
»Linda, hilf mir, ein schönes Tuch für meinen Turban auszusuchen, du hast doch Sinn für Farben.«
»Dieser Sinn sagt mir, du solltest es mal mit deinen eigenen Haaren versuchen.«
»Die taugen nicht zu einer Frisur.«
Ich deutete auf ein graues Tuch. Das schien mir am unauffälligsten. Zum ersten Mal in meinem Leben war es mir egal, wie ich aussah. Wieder drängte sich mir das Bild von der Frau in Gelb auf, wie bei einer Schallplatte, die festhing und ständig dieselbe Stelle abspielte. Maike aber ließ nicht locker und zog eine weiße Bluse mit schwarzer Hose samt grünem Seidenschal, den Flori mir Freitag zum Geburtstag geschenkt hatte, aus meinem Koffer. Beides legte sie aufs Bett, und ich zog mich schließlich