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Herrmann Klötsch
Klötsch kam um viertel nach neun ins Präsidium. Kein Wort der Entschuldigung für das verspätete Auftauchen. Er sah in keiner Weise vom Tod Nirbachs betroffen aus. Protziges Selbstbewusstsein ausstrahlend, nahm er Beltel gegenüber Platz.
Die tiefe Sonnenbräune konnte Anfang Juni nicht echt sein und Beltel vermutete, dass Klötsch Stammkunde im Sonnenstudio war. Das Goldkettchen, die teure Breitling-Uhr, das offen getragene weiße Hemd, die kurz geschorenen schwarzen Haare, die Rasierwasserwolke und Klötschs Figur, die garantiert durch Eisenstemmen im Fitnessstudio entstanden war, ließen ihn eher wie einen Zuhälter als einen Bauleiter aussehen. Vielleicht war er ja auch noch in beiden Bereichen tätig.
Beltel erkundigte sich nach Nirbachs Frau und erfuhr, dass sie den Urlaub in Spanien abbrechen würde. Sie musste nur einen Flug finden und das würde jetzt in der Urlaubssaison nicht einfach.
Im Gegensatz zu seinem äußeren Erscheinungsbild konnte Klötsch sich gewählt ausdrücken. Das hatte er sich sicherlich in der Geschäftswelt aneignen müssen. Und er schien zu wissen, was er der Polizei zu erzählen hatte und was nicht.
Beltel ließ sich schildern, was sich zwischen Klötsch und Nirbach und den Jugendlichen abgespielt hatte. Hatte Klötsch gestern Funk gegenüber noch angedeutet, dass Nirbach vielleicht ein bisschen übertrieben hatte, so war er heute viel vorsichtiger. Seine Aussage stand im Gegensatz zu dem, was Beltel gestern Abend von den Jugendlichen erfahren hatte. Den Jugendlichen zufolge – sie waren fünfzehn und sechzehn Jahre alt – hatte Nirbach sich an ihnen wie ein Berserker ausgetobt. Die beiden Jungs hatten sogar gestern noch Blessuren im Gesicht gehabt. Aber den fünfzehnjährigen Ralf Schmitter, den Beltel und Funk nicht angetroffen hatten, hatte es nach Aussage seiner beiden Freunde noch übler erwischt. Nirbach hatte ihm die Nase angebrochen und einen Zahn locker geschlagen. Beltel spürte Wut in sich hoch steigen, weil er Klötschs Verharmlosung zuhören musste. Als kleine Abreibung bezeichnete der Mann vor ihm das, was den Jungs widerfahren war.
Beltel wollte nicht länger drumherum reden. »Wie groß sind Sie und wie viel wiegen Sie?«
Klötsch grinste unverschämt. »Wenn Sie mir erklären, was die Frage soll, werde ich sie gerne beantworten.«
»Nun, ich schätze Sie auf über eins neunzig und wahrscheinlich an die hundertzehn Kilo schwer?«
»Ja und?« Klötsch blieb weiter vollkommen gelassen.
»Ihr Chef war nicht viel kleiner und ein Leichtgewicht war er auch nicht gerade. So wie Sie hier erzählen, hört es sich an, als hätten die Jungs ein paar Ohrfeigen bekommen. Die Teenager haben mir etwas ganz anderes erzählt. Nirbach hat mit voller Wucht und mit der Faust zugeschlagen und Sie haben sich auch nicht zurück gehalten«, erwiderte der Hauptkommissar.
»Die Bürschchen sind frech geworden und wollten Streit. Sie haben Karl zuerst angegriffen. Da hat er sich einfach gewehrt und ich habe ihm beigestanden«, verteidigte sich Klötsch ohne einen Anflug von Schuldgefühl.
»Herr Klötsch, ich werde den Eltern raten, Anzeige zu erstatten. Da steht die Aussage der drei gegen Ihre und da ich die Burschen gesehen habe, glaube ich kaum, dass die es gewagt hätten, jemanden wie Herrn Nirbach oder Sie anzugreifen. Ein Richter wird da sicher ähnlich denken. Ganz klar war die Verwüstung der Hochstände eine Straftat, aber für so was sind wir zuständig und die Zeiten der Selbstjustiz sind zum Glück lange vorbei.«
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber es geht hier um einen Mord und nicht um ’ne kleine Abreibung. Eins von den kleinen Arschlöchern hat geschrien, er würde Nirbach umlegen. Ich dachte, deshalb soll ich meine Aussage machen? Ich bin sicher, diese Drecksäcke stecken hinter Nirbachs Tod. Das aufzuklären, sind Sie in der Tat zuständig.« Er stand auf. »Kann ich jetzt gehen, ich hab noch zu arbeiten?« Klötsch klang nun nicht mehr wie ein seriöser Geschäftsmann, sondern eher wie ein Zuhälter.
Beltel war von der arroganten, herablassenden Art des Mannes aufgewühlt. Aber er war Profi genug, ruhig zu bleiben. »Einen Moment noch bitte, Herr Klötsch. Ihr Boss ist mit einem Präzisionsgewehr erschossen worden. Das sieht mir nicht nach jugendlichen Tätern aus. Könnte es vielleicht sein, dass Sie uns absichtlich auf eine falsche Spur führen möchten? Gab es eventuell noch irgendwelche alte oder neue Konflikte im Rotlichtmilieu, die zum Tod Nirbachs geführt haben könnten?«
Klötsch lächelte ungerührt. »Rotlichtmilieu? Herr Nirbach war bis vor einiger Zeit im Baugeschäft tätig. Er hat für einflussreiche Leute gearbeitet. Zu irgendeinem Rotlichtmilieu hatte er garantiert keine Kontakte. Herr Kommissar, ich habe noch einen wichtigen Termin. Bitte tun Sie Ihre Arbeit und lassen Sie diese falschen Verdächtigungen.«
Ohne abzuwarten erhob sich der Hüne, nickte Beltel noch einmal arrogant lächelnd zu und verließ das Büro.
»Kotzbrocken«, dachte Beltel, dann begab er sich rüber zu Funks Büro.
Naturkindergarten
Hans Funk wartete mit einer Neuigkeit auf. Ralf Schmitter war von seiner Pflegemutter bei der Polizei als vermisst gemeldet. Er war letzte Nacht nicht nach Hause gekommen. Die Kollegen aus Rheinbach und Euskirchen suchten bereits nach ihm.
Der Junge lebte seit einem Jahr bei dem Erzieherehepaar Gaby und Wolfgang Dederichs in Loch bei Rheinbach. Von seinem neunten bis zum vierzehnten Lebensjahr war er in einem Heim in Köln untergebracht gewesen. Wahrscheinlich hatten seine beiden Freunde ihm gestern Abend erzählt, dass die Polizei mit ihm sprechen wollte und nun war er untergetaucht. Aufgrund eines Motivs und der Vergangenheit des Jungen war es erforderlich, ihn unter die Lupe zu nehmen. Sein Verschwinden machte ihn nicht gerade unverdächtig.
Gaby Dederichs war halbtags im Naturkindergarten angestellt. Auf der Fahrt dorthin hatte Beltel mit einem Beamten aus Rheinbach telefoniert und erfahren, dass Ralf Schmitters Freundin Jessica Carlius ebenfalls von ihren Eltern als vermisst gemeldet worden war. Das Mädchen wohnte in Merzbach, nur wenige Kilometer von Rheinbach entfernt.
Den Eltern war erst am Morgen aufgefallen, dass ihre Tochter in der Nacht nicht zuhause war. Offensichtlich waren die beiden Teenager zusammen ausgerissen.
Die Rheinbacher Kollegen erklärten, dass sie die Mitschüler von Ralf und Jessica in der Schule aufsuchen und befragen würden.
Funk parkte auf dem Weg, der zum Naturkindergarten führte. »Ich frage jetzt echt nur aus Neugier: Konntest du eine Lösung wegen der unfreiwilligen Hundepatenschaft finden?«, erkundigte sich Funk, während sie in Richtung Naturkindergarten schritten.
Beltel wollte eigentlich überhaupt nicht daran erinnert werden. »Der Nachbar meiner Haushälterin will sich nach einer geeigneten Hundepension erkundigen«, brummte er. »Aber aufgrund seiner Allergie kann er den Hund dort nicht hinbringen und seine Frau hat keinen Führerschein. Das muss ich dann nach Feierabend machen, und du weißt selbst, wie lange momentan unsere Arbeitstage sind. Na ja, vielleicht kann ich Butz heute Abend schon loswerden. Dann werde ich erst mal tief durchatmen. Zum Glück konnte ich der Nachbarin meinen Hausschlüssel dalassen, so dass sie den Hund ein paar Mal am Tag zum pinkeln nach draußen führt. Das Kerlchen würde mir sonst noch den Teppich einsauen.«
Funk legte eine Hand auf seinen Bauch. »Also, wenn es nach mir ginge, würde ich dir ja helfen. Ich würde mir am liebsten sowieso einen Hund anschaffen. Viel spazieren gehen wäre nicht schlecht. Allein schon wegen meinen Kilos. Aber Marga mag nur Katzen und da zieh ich den Kürzeren.«
Beltel nickte kurz, ohne auf Funks Bauch zu schauen. »Hast in der Tat letzte Zeit einiges zugelegt.«
»Meine Frau hat so eine Scherzkarte an den Kühlschrank gepinnt: ›Alles schläft, einer frisst‹. Das passt leider wirklich. Nachts überkommt mich furchtbarer Heißhunger. Da kann ich gar nicht anders. Meistens spachtele ich drei Joghurts nacheinander rein. Und was es da für Sorten gibt. Im Moment steh ich total auf weiße Schokolade.«
»Ja, dann mach mal weiter so«, sagte Beltel schadenfroh lächelnd.
»Dann hab ich nachts sogar Ideen für weitere exotische