Andreas Suchanek

Stellaris Paket 4


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sind seine Essays wohlwollend und verständnisvoll, aber ihm wird oft vorgeworfen, dass typisch arkonidischer Dünkel durchschimmere. Trotzdem hat er Erfolg.«

      »Und jetzt möchte er Karilantoryns Volk studieren?«

      »Richtig, aber die Ts'tanur ließen ihn abblitzen. Er ist unabhängig von der arkonidischen Delegation nach Diakat gekommen und hat sich dort an Karilantoryn gehängt.«

      »Wieso haben wir ihm eine Kabine gegeben?«

      »Das Ticket hat er nach unserer Landung auf Diakat gekauft. Da ahnte noch niemand, dass er sich wie eine Klette an einen Passagier heften würde. Karilantoryn hatte vorab eine Passage gebucht.«

      »Was ist denn genau vorgefallen, das dich so beunruhigt?«

      »Ich würde es dir gern im Überwachungsholo zeigen.«

      »In dem Holo, das wir offiziell nicht aufzeichnen?«

      Ich räusperte mich wieder. »Richtig, Madam Kapitän.«

      »Nur zu.«

      »LPV«, sagte ich, »hier Cheborparinam Fefegothinarev. Besagtes Holo von Markierung an abspielen.«

      »Dich erkenne ich auch so. Unsere Stimmerkennung ist besser als das, woran du offenbar gewöhnt bist. Ich habe übrigens einen Namen. Ich heiße STELLATRICE.«

      Ich schätzte es wenig, von einem Logik-Positronik-Verbund Widerworte zu hören, aber ich bewahrte die Fassung. »STELLATRICE, spiel das Holo von der Markierung an ab.«

      »Zu Befehl, CheFfe.«

      Bei den Terranern konnte sich selbst ein LPV despektierliche Spitznamen ausdenken. Normalerweise besaß ich einen guten Draht zu Positroniken, doch mit terranischen Rechnersystemen kam ich genauso wenig zurecht wie mit den Terranern selbst.

      Ich hatte mir Kenntnisse der terranischen Kultur angeeignet. Auf mich kam man weniger zu, ich wurde ständig hinterfragt und neugierig beäugt. Man lauerte sogar darauf, ob ich lachte, und wenn ich lachte, mokierte man sich darüber, wie ich lachte.

      Über dem Tisch entstand ein Holo, das die Passagiermesse der STELLARIS zeigte. Der hochgewachsene arkonidische Xenologe mit der modisch gelockten weißen Mähne lag dem Ts'tanar wieder einmal in den Ohren. Falls dieser Ohren hatte – erkennen konnte man es nicht. Ihren Raumanzug legten Ts'tanur nie ab, und von Karilantoryn sah ich nur eine gut zwei Meter hohe humanoide Gestalt wie aus geschmeidiger dunkler Bronze. Der Helm hatte keine Visierscheibe; man blickte auf eine glatte Spiegelfläche. Die Besatzung der STELLARIS nannte es ein »Ungesicht«.

      Die anderen Passagiere in der Messe achteten kaum auf die beiden Kontrahenten. Sie kannten Karilantoryn und Funartin bereits von der Konferenz auf Diakat – und hatten schon vor dem Start jedes Interesse an den Wortgefechten verloren.

      »Den Völkermord des Tai Ark'Tussan an den Ts'tanur werden wir niemals vergessen«, sagte Karilantoryn in der Aufzeichnung. »Bis ans Ende der Zeit ziehen wir als Mahnmal für die arkonidischen Gräueltaten durch die Milchstraße.« Woher die spröde, abgehackte Stimme des Ts'tanars kam, war nicht zu sehen; sie schien von seinem Bronzeanzug insgesamt auszugehen.

      Mit dieser oder einer ähnlichen Bemerkung beendete Karilantoryn jedes Mal das Gespräch; diesmal führte er ein neues Argument an.

      »Ich kenne deine Schriften, Arkonide. Du schilderst fremde Kulturen von der Warte des Überlegenen, der über die kleinen Barbaren nicht spottet, weil er sich ja um Verständnis bemüht; trotzdem bleiben sie für ihn Barbaren, die niemals gleichwertig sein können. So wart ihr Arkoniden früher, und so seid ihr heute. Egal, was du behauptest, seit der Vernichtung unserer Welt habt ihr euch nicht geändert.«

      Plötzlich schlug Funartins Verhalten um. Er nahm das Kinn etwas hoch, die Schultern leicht zurück und war kein freundlicher Xenologe mehr, sondern ein arkonidischer Adliger wie aus dem Holobuch.

      »Haben wir nicht Arkon III verloren?«, fuhr er den Ts'tanar an. »Spielen wir deswegen den wandelnden Gedenkstein? Nein – wir haben Gor'Ranton neu errichtet! Ihr suhlt euch wegen Dingen, die vor Jahrtausenden geschehen sind, in Selbstmitleid! Das harte Durchgreifen des Imperiums hattet ihr durch euren Aufstand selbst heraufbeschworen. Gewiss ist es traurig, dass der Robotregent eure Welt vernichtet hat – aber man möchte doch meinen, nach so langer Zeit wären selbst die Ts'tanur darüber hinweggekommen!«

      Der Arkonide fuhr herum und rauschte aus der Messe.

      »STELLATRICE, Aufzeichnung anhalten!« Gashi sah mich an. »Was findest du daran so bedrohlich, dass du es mir vorlegst?«

      »Den Umschwung in Funartins Verhalten. Ich habe das Gefühl, dass er sich die ganze Zeit verstellt und uns erst jetzt sein wahres Gesicht gezeigt hat. Ich frage mich, was er noch alles vor uns verbirgt.«

      Gashi wiegte den Kopf. »Da könnte etwas dran sein. Was hast du unternommen?«

      »Ich habe den LPV beauftragt, Funartin zu beobachten.« Er ging in seine Kabine. Damit endete die Überwachung natürlich vorerst.

      »Diese Ts'tanar – was hat es mit ihnen auf sich?«

      »Ts'tanur«, warf ich ein. »Ts'tanar ist der Singular.«

      Gashi blickte mich ungehalten an. Ich hob beschwichtigend die Schultern. Terraner fühlen sich von Präzision oft angegriffen.

      »Ts'tanur sind vor allem in der Northside anzutreffen und verdingen sich oft als Spezialisten für Außenbordeinsätze. Sie treten als Mahner für die Vernichtung ihrer Heimatwelt auf und demonstrieren mit ihren Bronzeanzügen eine Unabhängigkeit von ihrer Umgebung, die darauf beruht, dass in den Anzügen alle Stoffe verlustfrei wiederaufbereitet werden und sie außer Reaktorbrennstoff keinerlei neue Materie aufnehmen müssen. Jeder Ts'tanar bezeichnet sich als autark – als Welt für sich. So viele Welten könne nicht einmal Arkon vernichten, lautet ihr Credo.«

      »Wie kam es zur Vernichtung ihres Planeten?«

      »Die Ts'tanur sind irgendwann vom Großen Imperium unterworfen worden. Als Arkon schwach wurde, befreiten sie sich in einem blutigen Aufstand. Im Jahr 1996 eurer alten Zeitrechnung statuierte der Robotregent an ihnen ein Exempel. Ihre Welt verging im Kernbrand, und nur wenige tausend Ts'tanur überlebten im Asteroidengürtel. Was das Imperium über sie wusste, ging bei der Vernichtung von Arkon III durch die Jülziish verloren. Die Spezies verschwand von der galaktischen Bühne, auf der sie ohnehin nie sehr präsent gewesen war, und trat erst ab dem ersten Jahrhundert NGZ wieder in Erscheinung. Von da an trug jeder Ts'tanar einen Bronzeanzug. Ständig gemahnen sie an die Vernichtung ihrer Welt. Sie reizen Arkoniden, wo sie können.«

      »Und woher stammen diese Bronzeanzüge?«, fragte Gashi.

      »Über die Anzüge ist so gut wie nichts bekannt. Ts'tanur verbringen ihr ganzes Leben darin und verlassen sie niemals. Sie sagen, von ihren Vorfahren haben nur die überlebt, die einen Raumanzug besaßen, und um ihr Andenken zu ehren, möchten sie sich nie mehr von einer Welt abhängig machen, die man ihnen nehmen könnte. Untersucht man den Anzug, stellt man eine aus überlappenden Lamellen bestehende Außenhaut fest, die das Licht auf eine besondere Weise bricht und den metallischen Eindruck erzeugt. Tiefer dringen Abtastversuche nicht, sie scheitern an einer hochwirksamen Ortungsschutzschicht.«

      Das Interkom summte, und Gashi nahm den Anruf entgegen.

      »Der nächste Rücksturz zur Orientierung steht an, Madam Kapitän«, sagte der weibliche Erste Offizier, Bifonia Glaud.

      »Danke, Bifonia! Übernimm du das bitte.«

      »Oje«, sagte Glaud. Der Holoschirm wurde dunkel und faltete sich zusammen.

      »Was ist?«, fragte Kapitän Gashi.

      Ich sah sie verdutzt an, dann erst fiel mir auf, dass ich in einem unaufmerksamen Augenblick missbilligend das Gesicht verzogen hatte. »Nichts«, antwortete ich.

      »Du bist nicht besonders angetan von den Eigenarten meiner Besatzung, habe ich recht? Die Leute sind dir zu flapsig?«

      »So möchte ich das nicht sagen ... zu unsachlich vielleicht.«