Michael Marcus Thurner

Perry Rhodan 3066: Drangwäsche


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Fall. Ohne die Möglichkeit, etwas dagegen zu tun. Er würde auf dem Boden aufprallen. Jedes andere Lebewesen würde dabei sterben. Aber kein Haluter.

      Icho Tolot lachte, atmete glühend heiße Luft ein und brüllte Spavar seine Wut entgegen.

      Sechs Minuten.

      Der Gebirgszug zerfaserte immer weiter. Er gliederte sich in einen Haupt- und mehrere Nebenkämme, in unzählige Quertäler, Durchbrüche, eine fast kreisrunde Anomalie, die vor langer Zeit von einem Meteoriten geschlagen worden war, dunkelblaue Gewässer und rostrote Mittelgebirgsteile, die das Hochgebirge wie ein Heiligenschein umkränzten. Kaum ein Wolkenstock beeinträchtigte seine Sicht. Tolot würde etwa 50 Kilometer östlich der letzten Gebirgsausläufer in der Savanne landen. Nahe einer Stadt.

      Vier Minuten.

      Icho Tolot hätte die Fallgeschwindigkeit unter den herrschenden Bedingungen und die Wucht des Aufpralls berechnen können. Schwerkraft 1,2 Gravos, die ungewöhnlich dicke Troposphäre war längst erreicht, der Luftwiderstand groß. Er fiel mit einer Geschwindigkeit von 600 Stundenkilometern.

      Tolot verzichtete auf die Fakten. Er wollte nicht wissen, was bei Bodenkontakt geschehen würde. Er suchte das Risiko des Unbekannten. Die vage Möglichkeit, dass er sich doch verletzte.

      Zwei Minuten.

      Das Hochgebirge fiel nach Westen weg, die Savanne beherrschte sein Blickfeld. Unter ihm war das Gelb offenen Landes und das Braun eines südlich daran anschließenden Sumpfgebietes. Die Hitze kam gleichermaßen vom freien Fall wie von der sich steigernden Vorfreude.

      Eine Minute.

      Das Savannengelb beherrschte sein Blickfeld. Im Norden erkannte er vage eine große Viehherde. Schwere Tiere mit langen Schwänzen und Klauenarmen, die sie benutzten, um Früchte von vereinzelt dastehenden Bäumen zu pflücken.

      Irrelevant. Er musste sich konzentrieren. Auf das nicht kalkulierte Risiko des Aufpralls.

      Arme anziehen, sich so klein wie möglich machen. Der Aufprallwinkel betrug etwa 45 Grad, er würde ein Stück abrollen und sich im Erdreich jenes Kraterwalls verfangen, den er zweifelsohne schlagen würde.

      30 Sekunden.

      Ein letzter und tiefer Atemzug. Körper anspannen. Auf die Situation vorbereiten. Auf den Schock des Aufschlags, die Fliehkräfte, eine mögliche Katapultwirkung.

      Zehn Sekunden.

      Da war er: der Moment, den er herbeigesehnt hatte. Der Eintritt ins Vurhatu, in die Drangwäsche.

      Wenn er die kommenden Sekunden überlebte, warteten aufregende Tage auf ihn. Er würde sich austoben und sein Haluterdasein mit jeder Faser seines nahezu unzerstörbaren Körpers genießen ...

      Aufprall.

      2.

      Das Leben ist schön

      Kibrr bestieg die Überlandgondel und holte seinen kleinen Gelegekönig hastig zu sich ins Innere, bevor das Glastor zuschnappen konnte.

      »Du trödelst wieder einmal, Hadrr«, sagte er. »Wie oft habe ich dir schon gepredigt, dass du dich mit vier Krallenhänden hochziehen sollst!«

      Hadrr nahm die Lederflügel eng um seinen schmalen Körper. Wie so oft. Er schämte sich für seine nur schwach ausgeprägten Greifkrallen.

      »Ich kann das nicht, Papa. Du weißt ganz genau, dass erst drei von ihnen das tun, was ich will.«

      »Das redest du dir bloß ein.« Kibrr flatterte unruhig mit seinen eigenen Lederflügeln, soweit es ihm die Enge der Gondel erlaubte. »Als ich so alt war wie du, konnte ich bereits fünf bewegen und einsetzen. Warum solltest du ungeschickter sein als ich?«

      »Ich bin anders als du, Papa. Vergleich uns nicht dauernd!« Hadrr setzte sich auf die schmale Gelegestange ihm gegenüber und zog verschämt das Gesicht hinter die durchscheinende Lederhaut. Den Schnabel weit nach unten gesenkt, die silber-blau gesprenkelten Augen geschlossen. Seine Physiognomie hinterließ einen prägnanten Abdruck in der Haut.

      »Du wirst einmal der Gelegekönig meines Hausstalls sein. Du wirst meine Haupteierin, ihre vier Schwestern und viele andere Fruchthühner unter dir haben. Der Stall wird blühen und gedeihen. Darauf vertraue ich.« Kibrr klapperte lautstark und ermutigend, sein Sohn nahm es wortlos zur Kenntnis.

      Die Überlandgondel setzte sich sanft schaukelnd in Bewegung. Sie verließen die Hauptstation und das städtische Treiben Chachwims. Die Katapultfahrzeuge waren bald nur noch eine Ahnung, ein Auf und Ab zwischen den Häuserschluchten der Peripherie. In dieser Gegend hatten sich vor allem Spavnos niedergelassen, die nicht die Mittel für einen eigenen Gelegestall besaßen.

      Kibrr blickte durch die transparente Bodenplatte in die Tiefe. Nur zu gerne hätte er die Gondel geöffnet und wäre in die Tiefe gesprungen, wie er es in seinen jungen Gockeljahren getan hatte. Die Lederschwingen so weit wie möglich ausgebreitet und den Körperflaum in den Luftstrom gestreckt, um den Aufprall nach einem Sturz aus zehn oder mehr Metern zu lindern.

      Aber das durfte er nicht. Seine Hohlknochen waren altersmorsch, da und dort hingen Speckfalten vom Hauptsack seines Körpers. Er war viel zu schwer geworden, um den Sprung ohne Blessuren zu überstehen. Außerdem durfte er kein schlechtes Beispiel für Hadrr abgeben.

      Er breitete die rechte Lederschwinge aus und deutete mit der äußersten Greifkralle in Richtung Norden. In Richtung einer Siedlung, die mittlerweile nur noch von wenigen Spavnos bewohnt wurde.

      »Dort bin ich aufgewachsen«, sagte er voller Stolz. »In Fichamend ...«

      »... in Fichamend, dem schönsten Flecken Spavars. – Ich weiß, Papa. Das hast du mir schon hundertmal erzählt.«

      »Werd bloß nicht frech, kleiner Gelegekönig! In dieser Siedlung wurde ich ausgebildet, habe meine ersten Hühner gefunden, habe die alten Kornmühlen revitalisiert und letztlich so viel Erfolg gehabt, dass ich es mir leisten konnte, in die Stadt zu ziehen. Um einer der bedeutendsten Getreidehändler Chachwims zu werden. Weil meine Greifkrallen überzeugender sind als die der meisten Konkurrenten.«

      »Jaja, Papa.«

      Hadrr lockerte endlich seine Lederflügel und rollte sie ein. Er zuckte dabei mit seiner vierten Greifkralle. Er bemühte sich, sie mit den dreien zu synchronisieren, die bereits einsatzbereit war.

      Kibrr verstand es nicht. Warum war sein Sohn bloß so ungeschickt? Er selbst hatte es vor drei Jahren geschafft, das achte von zehn möglichen Greifpodien zu aktivieren und es mit den anderen sieben abzustimmen.

      Vielleicht würde es ihm sogar gelingen, das neunte zu aktivieren, bevor der Große Schwarze Vogel über ihn kam und ihn aus seinem Gelege riss?

      Es hatte in seiner Familie nie einen Neuner gegeben. Er würde in der langen Ahnenlinie einen ganz besonderen Platz einnehmen. Als einer von nicht einmal hundert Spavnos seiner Generation, die neun von zehn Greifkrallen sinnvoll einzusetzen vermochten.

      Das Spiel der Hände war elementar. Wer mehr Greifkrallen einsetzte, war präsenter und überzeugender. Eine beinahe hypnotische Wirkung ging von den Bewegungen aus. Sie machten, dass das Gegenüber Vertrauen fasste und bereit war, Handel zu treiben. Aber auch, um Sympathien zu entwickeln oder auf ein Liebeswerben einzugehen.

      Kibrr erzählte von vergangenen Tagen, auch wenn sich Hadrr kaum dafür interessierte. Sein kleiner Gelegekönig sah teilnahmslos aus dem Fenster und warf immer wieder rasch einen Blick auf den Gock, das Spiele-Ei, das ihn mit vielen seiner gleichaltrigen Freunde verband.

      Dafür ist er wiederum geschickt genug, obwohl er bloß drei Greifkrallen einsetzen kann!

      Manchmal zweifelte Kibrr an seinem Entschluss, Hadrr als Gelegekönig und damit als Nachfolger einzusetzen. Aber er konnte die besonderen Anlagen riechen, schmecken und spüren, die der Siebtgeborene mit sich brachte. Sobald er seine Greifkrallen weiterentwickelte, würde er ein äußerst geschickter Händler werden – und die Hühner seines Gelegestalls verrückt machen. Er