Ricarda Huch

Der Dreißigjährige Krieg


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das die kal­te Win­ter­luft ein­drang, und beug­te sich hin­aus; eine mäch­ti­ge Trun­ken­heit schi­en ihn in den mit Gött­lich­keit er­füll­ten Ab­grund hin­ab­zu­schleu­dern, dem er sich gleich fühl­te, er, auch bo­den­los und von gött­li­chen Ge­dan­ken über­flie­ßend. Wie er sich um Wel­ten schwang, durch­ström­ten ihn Wel­ten; an dem win­zi­gen Fens­ter ei­nes zer­brech­li­chen Hau­ses stand er und lenk­te sie an dem un­ent­rinn­ba­ren Ban­de sei­nes Geis­tes.

      Aus die­sem Tau­mel schreck­te ihn plötz­lich ver­wor­re­ner Lärm, der, wie er glaub­te, aus der Rich­tung des Süd­to­res her­kam. Er horch­te einen Au­gen­blick hin­aus, schloss das Fens­ter und lief die Trep­pe so has­tig hin­un­ter, dass er stol­per­te. Als er in das Wohn­zim­mer trat, warf sich sei­ne Frau an sei­nen Hals; die Magd lief be­tend und jam­mernd hier­hin und dort­hin. »Siehst du«, sag­te die Frau, »es kommt doch so, wie es von den Rei­si­gen ge­schrie­ben steht: ›und von die­sen ward er­tö­tet das drit­te Teil der Men­schen‹.« Kep­ler sag­te be­ru­hi­gend, so groß sei die Ge­fahr nicht, die Stän­de hät­ten auch Trup­pen und wür­den die Stadt wohl ver­tei­di­gen. Sie könn­ten auch auf die Burg flüch­ten, dort wä­ren sie ganz si­cher, der Kai­ser wür­de ih­nen ein Ob­dach nicht ver­sa­gen. Vom Kai­ser, rief sie ent­setzt, gehe ja das Mor­den aus, er wer­de sie so we­nig spa­ren, wie Karl IX. sei­nen Ad­mi­ral Co­li­gny ge­schont hät­te. Lie­ber wol­le sie ihre Kin­der von den Sol­da­ten auf­ge­spießt se­hen, als sie dem al­ten Sa­tan auf der Burg aus­lie­fern. In­dem sie so sprach, öff­ne­te sich lei­se die Tür, und das klei­ne Mäd­chen trip­pel­te auf blo­ßen Fü­ßen im lan­gen Nacht­kit­tel her­ein und sag­te mit hel­ler Stim­me, die El­tern soll­ten da­blei­ben, da­mit sie mit­ein­an­der in den Him­mel gin­gen. »Ist Herr Altman­s­tet­ter nicht da?« frag­te es, in­dem es neu­gie­rig um sich blick­te; »ich möch­te ihn gern zur Höl­le fah­ren se­hen.« Kep­ler raff­te das klei­ne Mäd­chen an sich und wi­ckel­te es in ein Tuch; um die an­de­ren Kin­der nicht zu we­cken und da­durch die Un­ru­he zu ver­meh­ren, trug er es nicht in die Schlaf­kam­mer zu­rück.

      In­des­sen war der Lärm nä­her­ge­kom­men, man hör­te Ge­schrei und das Kra­chen von Schüs­sen. Wäh­rend die Magd be­te­te, flüs­ter­te Kep­lers Frau, angst­voll in einen Win­kel stie­rend: »Ich höre das Blut durch die Gas­se rin­nen, ich höre es von den Dä­chern trop­fen, ich höre es über die Stie­ge hin­un­ter­flie­ßen«, und wie­der von vor­ne und wei­ter. Plötz­lich er­dröhn­ten Fuß­trit­te dicht un­ter den Fens­tern, und gleich dar­auf krach­te eine Tür, wie wenn mit Keu­len da­ge­gen ge­schla­gen wür­de. Es sei im Nach­bar­hau­se, sag­te Kep­ler, der, das Kind auf dem Arme, am Fens­ter stand, hat­te aber noch nicht aus­ge­spro­chen, als gel­len­des Ge­schrei er­tön­te, aus­ge­sto­ßen von auf der Stra­ße oder im Ne­ben­hau­se Über­fal­le­nen. Im glei­chen Au­gen­blick schrie auch die Magd auf, die bis da­hin laut ge­be­tet hat­te, und wie Kep­ler sich um­dreh­te, sah er sei­ne Frau mit den Ar­men in die Luft grei­fen und dann in ei­nem Kramp­fe be­wusst­los zu Bo­den stür­zen.

      Wäh­rend Kep­ler sich um Frau und Kind be­müh­te, wälz­te sich die Schar der Söld­ner wei­ter, an­ge­führt vom Erz­her­zog Leo­pold und be­kämpft von den stän­di­schen Trup­pen, de­ren je­doch zu we­ni­ge wa­ren, um sie zu­rück­zu­wer­fen. Ei­ner klei­nen Ab­tei­lung ge­lang es, über die Moldau­brücke in die Alt­stadt zu drin­gen, dort aber wur­den sie bis auf we­ni­ge ge­tö­tet; denn die Bür­ger­schaft hat­te Zeit ge­habt, sich zu be­waff­nen, und wehr­te sich in­grim­mig. Nach­dem die Ein­dring­lin­ge über­wäl­tigt wa­ren, warf sich die ent­fes­sel­te Kampf­lust auf die in der Stadt be­find­li­chen Geg­ner, Klös­ter von Je­sui­ten und Ka­pu­zi­nern, die, von nie­man­dem ver­tei­digt, gräu­el­voll aus­ge­mor­det wur­den. In der Klein­sei­te quar­tier­ten sich die Pas­sau­er ein und wirt­schaf­te­ten ge­walt­tä­tig; aus Angst vor Mar­ter und Mord ver­lie­ßen vie­le Be­woh­ner ihre Häu­ser und irr­ten auf der Stra­ße um­her, bis die Sor­ge um ihre Hab­se­lig­kei­ten sie wie­der zu­rück­trieb.

      Ei­nen wich­ti­gen Fang hat­ten die Söld­ner mit den Per­so­nen der Gra­fen Thurn, Wen­zel, Kins­ky und Fels von Co­lon­na ge­tan, die, zum Teil ver­wun­det, vom Erz­her­zo­ge ge­fan­gen­ge­hal­ten wur­den. Ramée re­de­te ihm zu, sie ohne wei­te­res zu tö­ten, er selbst er­bie­te sich zur Exe­ku­ti­on; Graf Sulz hin­ge­gen be­schwor den Un­schlüs­si­gen, sich nicht durch Mord zu be­fle­cken. So­lan­ge sie leb­ten, stif­te­ten sie Scha­den, sag­te Ramée, man brau­che nicht so viel Auf­he­ben von ein paar ket­ze­ri­schen Schuf­ten zu ma­chen. – Der Kai­ser kön­ne sie vor ein Ge­richt stel­len, sag­te Sulz, viel­leicht kön­ne man sich auch mit ih­nen ver­tra­gen, in­dem man ih­nen Geld oder hohe Äm­ter an­bie­te. »Es ist ge­nug«, sag­te er zu Leo­pold, »dass das Volk Euch mit­ten un­ter Ban­di­ten ge­se­hen hat, die rau­ben und mor­den, als ob dies ihr Ge­schäft sei. Ihr habt die Kir­che in Eu­rer Per­son bloß­ge­stellt. Hät­te ich ge­wusst, dass es da­hin kom­men könn­te!«

      Das hät­te er frei­lich wis­sen kön­nen, sag­te Ramée höh­nisch. Ob er ge­dacht hät­te, sie soll­ten be­schei­den wie Bett­ler an­klop­fen und de­mü­tig um den Sieg fle­hen als um ein Al­mo­sen? Wo Sulz bis­her Krieg ge­führt hät­te, und ob die Söld­ner da einen Bet­tel­sack trü­gen an­statt Schwer­ter und Lan­zen?

      In­zwi­schen war der Kai­ser ge­ho­be­ner Stim­mung und ließ nie­man­den von de­nen vor, die ihn an­fle­hen woll­ten, durch einen ent­schie­de­nen Be­fehl den Gräu­eln und Lei­den Un­schul­di­ger Ein­halt zu tun. An­statt des­sen un­ter­hielt er sich mit dem Ma­ler Bloe­mart, der aus Rom zu­rück­ge­kehrt war und ihm ein Bild des deut­schen Ma­lers Adam Els­hei­mer be­schrieb, das er ge­se­hen hat­te und das die Zer­stö­rung Tro­jas dar­stell­te. Kei­ner habe zu­vor ver­mocht, er­zähl­te er, auf ein Bild zu ma­len, was ohne Um­riss mit dem Raum selbst zu­sam­men­flös­se: stür­mi­sche Fins­ter­nis, glü­hen­de Nacht. Auf die­ser Ta­fel habe der wun­der­ba­re, in ge­dan­ken­vol­le Schwer­mut ver­sun­ke­ne Mann gleich­sam sich selbst zur Er­schei­nung ge­bracht: sei­nen er­lö­schen­den Geist be­wun­de­re man in der Flam­men­pracht der zu­sam­men­stür­zen­den Burg und dem Un­ter­gang des herr­li­chen Vol­kes. Be­gie­rig hör­te der Kai­ser zu und wünsch­te das Bild zu be­sit­zen, es kos­te, was es wol­le; wenn Els­hei­mer nach Prag kom­men und in sei­nen Dienst tre­ten möch­te, so sol­le es ihm an nichts feh­len, kürz­lich sei der alte Spran­ger ge­stor­ben, er kön­ne des­sen Wit­we hei­ra­ten und sich gleich in ein ge­pols­ter­tes Nest set­zen.

      Am zwei­ten Abend nach dem Ein­fall der Pas­sau­er ge­lang es doch Han­ne­wald und dem Gra­fen Sulz, zum Kai­ser vor­zu­drin­gen, der mit Rhuts­ky beim Brett­spiel saß und die Her­ren zum Mit­spie­len ein­lud. Ach Gott, sag­te Graf Sulz, hät­te der Kai­ser den Jam­mer ge­se­hen, der un­ten in der Stadt herr­sche, möch­te es ihm das Spiel ver­lei­den. Er wäre eben auf dem Wege zur Burg ei­ner Frau be­geg­net, die hät­te den blut­über­ström­ten Leich­nam ei­nes klei­nen Kin­des auf dem Arm ge­tra­gen und sin­gend hin und her ge­wiegt; un­ter den Fens­tern der Burg stän­den Verzwei­fel­te und heul­ten zum Kai­ser hin­auf um Hil­fe; ob er es nicht höre? Es sei, als hät­te die Höl­le einen Spalt auf­ge­tan und ihre Gräu­el her­aus­ge­las­sen.

      Die Leu­te hät­ten es nicht an­ders ha­ben wol­len, sag­te der Kai­ser gleich­gül­tig, die Stadt hät­te es mit den Re­bel­len ge­hal­ten, nun dür­fe man die Sol­da­ten in ih­rem Ge­schäft nicht stö­ren. Sie soll­ten sich kei­ne Mühe ge­ben, ihn zu er­wei­chen, er wol­le fest