aus Deutschland eingehen und das Handy ein paar Mal hintereinander piept, brennt Silvies Blick von der Seite auf ihn ein.
»Du darfst doch dein Handy hier noch gar nicht einschalten!«
Die Vorderreihe dreht sich kollektiv um und guckt erst Simon und dann Silvie an. Simon ist genervt. Dass aber auch alles immer kommentiert werden muss! Trotzdem super Sache, dass sein Handy problemlos auch in Südafrika funktioniert.
»Wie ist die Zeitumstellung, Schatz?« Simon versucht, von seiner schrecklichen Untat abzulenken.
»Keine Zeitumstellung«, sagt Silvie und stellt damit klar, wer von den beiden in den kommenden zwei Wochen die Südafrika-Expertenrolle bekleiden wird.
Sehr schön, dass sie sich so gut auskennt, denkt Simon. Dann hat sie ja in den ganzen Büchern doch auch ein paar brauchbare Informationen aufgeschnappt. Keine Zeitumstellung zu haben, ist auch klasse, Simon fühlt sich tatsächlich überhaupt nicht gejetlagged. Der Urlaub kann also ohne Verzögerungen losgehen, juhuu.
DIE ZEIT IN SÜDAFRIKA
Südafrika liegt genau genommen in zwei Zeitzonen, der Kontinentalzone African Time und der landesspezifischen Zone South African Time. Hier einige Informationen zur zeitlichen Orientierung:
South African Time
Auf die kann man sich ganz einfach einstellen: Südafrika gehört trotz seiner großen Ost-West-Ausdehnung einer einzigen Zeitzone an, sodass im ganzen Land dieselbe Zeit gilt, nämlich GMT (Greenwich Mean Time) +2 Stunden. Der Zeitunterschied zu Deutschland beträgt somit im (europäischen) Winter +1 Stunde. Da es in Südafrika keine Sommerzeit gibt, liegen die zwei Länder während der europäischen Sommerzeit in derselben Zeitzone.
African Time
Der Spruch »Die Europäer haben die Uhr, die Afrikaner die Zeit« kommt nicht von ungefähr.
African Time ist ein weitaus unpräziseres Zeitkonzept als South African Time und kommt in den verschiedenen Lebensbereichen (privat/geschäftlich) und Regionen (Land/Stadt) Südafrikas unterschiedlich stark zum Tragen. African Time beschreibt eine kulturbedingte und zum Vergleich zu Europa entspanntere Beziehung zur Zeit, die sich insbesondere als Langsamkeit, Unpünktlichkeit und Unzuverlässigkeit bemerkbar macht. Europäer und Afrikaner haben schlicht und ergreifend eine andere Einstellung zur Zeit.
In der Überzeugung des Europäers existiert die Zeit unabhängig und außerhalb von ihm, als eine objektive Größe, die linear verläuft und messbar ist. Der Europäer passt SICH den Regeln der Zeit an. Die Zeit hat ihn in der Hand. Afrikaner dagegen empfinden die Zeit als eine elastische und subjektive Angelegenheit. Der Mensch (!) bestimmt die Zeit bzw. passt sich die Zeit den Menschen an.
Ein Beispiel: Wenn man in ein afrikanisches Dorf kommt, wo am Nachmittag ein Treffen stattfinden soll, am Versammlungsort aber weit und breit niemand zu sehen ist, würde man als Deutscher erstaunt und aller Wahrscheinlichkeit nach recht genervt fragen: »Wann wird das Treffen stattfinden?« Der Afrikaner würde etwas überrascht über die dumme Frage antworten: »Wenn sich die Menschen versammelt haben.«
In den traditionelleren ländlichen Gebieten kommt diese Grundeinstellung mehr zum Tragen als in den westlich geprägten Städten Südafrikas, wo eine wunderbar-entspannte Mischung aus europäischer und afrikanischer Zeitkultur herrscht.
Am besten stellt man sich von vornherein auf die allgemeine Langsamkeit im Land ein. Ob man jetzt, eine Fotokopie machen, das Touristenvisum verlängern, wissen, in welchem Regal der Wein steht, oder bei der Polizei eine Anzeige aufgeben will – das sind für einen deutschen Effizienz-Gewohnten scheinbar ewig andauernde Prozeduren in Südafrika. Wenn man nicht den gesamten Südafrikaurlaub frustriert zubringen will, ist es schlichtweg unvermeidbar, drei Gänge herunterzuschalten.
Umgekehrt heißt das: Wenn man zu einem Dinner oder Braai (also dem Barbeque der Südafrikaner – auch wenn Sie das Wort ›Barbeque‹ hier niemals hören werden, siehe Kapitel 22) eingeladen wird und tatsächlich um Punkt ausgemachte Zeit auf der Matte steht, ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass die Gastgeberin noch mit den Lockenwicklern im Haar die Türe öffnet, während sich ihr Mann beschämt an der Tür vorbeischleicht, um schnell noch die Lammkoteletts zu besorgen. Es empfiehlt sich, bei privaten Einladungen 10–15 Minuten später zu kommen. Dagegen empfiehlt sich nicht, verärgert zu reagieren, wenn ihr südafrikanisches Date 20 Minuten zu spät aufkreuzt, wenn Sie sie/ihn nicht gleich verschrecken wollen. Anders verhält sich das mit Business-Meetings. Da sollte man tatsächlich pünktlich erscheinen. Das gehört zum guten Ton und wird von Deutschen ohnehin erwartet. Die deutsche Pünktlichkeit hat sich nämlich bis zur Südspitze Afrikas herumgesprochen.
Das Erste, was Simon auf südafrikanischem Boden sieht, ist eine Massenansammlung an Passagieren in einer nicht allzu großen Halle – und immer mehr und mehr werden mit Flughafenbussen angekarrt. Wahnsinn, kommen hier alle Maschinen gleichzeitig an?
(Apropos: Die meisten Maschinen aus Europa kommen tatsächlich während der Stoßzeiten 6–8 Uhr und 19–21 Uhr an. Man kann in der Regel zwischen Tag- und Nachtflug wählen. Vorteil Nachtflug: Man verpasst keinen Urlaubstag. Vorteil Tagflug: Man muss keine ungemütliche Nacht neben einem übergewichtigen Schnarcher im Flieger verbringen.)
Die Passagiere werden anhand von Abtrennungen zu einer gemeinsamen Schlangenlinie zusammengeführt und dann vorne auf den jeweils nächsten freien Passkontrollschalter verteilt. Zumindest muss man sich keine Gedanken machen, ob man an der richtigen (= schnellsten) Reihe steht. An sich gar nicht so schlecht, die Warteschlangen-Systematik in Südafrika.
Obwohl ...! 90 Prozent der Passagiere quetschen sich in den ›Non-South-African-Resident‹-Bereich hinein, während es für ›South African Passport Holders‹ einen separaten Schalter gibt. Die zehn Südafrikaner davor werden im Blitzverfahren durchgeschleust, und als der Beamte nach drei Minuten fertig ist, lehnt er sich entspannt zurück und macht keine Anstalten, einen der 760 wartenden ›Non-South-African-Residents‹ aus der Nebenschlange zu sich heranzuwinken.
Silvie kramt in der Hoffnung, das Prozedere um 15 Sekunden zu beschleunigen, Pass, Flugticket und das im Flugzeug verteilte Einreise-Formular schon einmal aus ihrer Handtasche. Ein geradezu verzweifelter Beschleunigungs-Versuch. Von den acht Schaltern sind nur drei besetzt, da hilft einfach alles nichts ...
»Your passport please!« – »What are you doing in South Africa?« – »Where will you be staying?« – »Flight ticket please!« Silvie ist irgendwie erleichtert, dass an der Passkontrolle alles gut geht – man weiß ja NIE.
Während Silvie total angespannt wirkt, lässt Simon ganz entspannt die ersten Eindrücke auf sich wirken. Lauter hektische Menschen wuseln mit ihren Gepäckwagen zwischen den Gepäckbändern herum, während ein paar wenige schwarze Flughafenangestellte versuchen, etwas Ordnung in das Gepäckwagenchaos zu bringen. Es ist das erste Mal, dass er in ein afrikanisches Land reist. Simon ist überrascht, so viele Weiße zu sehen.
Silvies Samsonite-Familienkoffer kommt ziemlich schnell auf dem Band heraus. Simon kann kein größeres Gepäckstück als das seiner Freundin entdecken. Seine schrumpelige Reisetasche ist dagegen erst bei der dritten Runde dabei. Die war nicht besonders vollgepackt, aber irgendwie kommt sie ihm jetzt extrem leer und leicht vor ...
Die Jeans sind noch alle drin, die Badehosen, die Flip-Flops auch – wo aber sind die Turnschuhe, die kleinen Lautsprecher und der Kulturbeutel? Oh nee. Hätte er da bloß ein kleines Schloss drangemacht.
(Apropos: Gepäck sollte man niemals unabgeschlossen einchecken; zumindest nicht, wenn einem etwas am Inhalt liegt. Idealerweise versichert man es. In Südafrika kommt schon öfter einmal etwas weg. Auf dem Rückflug kann man für umgerechnet zehn Euro seine Taschen in Plastik einschweißen lassen. Alle südafrikanischen Flughäfen bieten diesen Service an, ein paar Airlines sogar kostenlos.)
Silvie