Sophie von Vogel

Fettnäpfchenführer Kanada


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zunächst alle fröhlich beantwortet: Ob sie zum ersten Mal in Kanada sei, was sie vorhabe, was sie sehen wolle und so weiter. Langsam werden ihr die Fragen aber doch zu persönlich. Wo sie wohnen werde, woher sie die Vermieterin kenne, wie viel Budget sie für die Reise habe – ungewöhnlich, diese Fragerei. Zu guter Letzt soll sie das Formular aus dem Flugzeug zeigen.

      Himmel, das hat sie ja ganz vergessen! Fiebrig kramt sie in ihrer viel zu großen Handtasche herum, bis sie es endlich etwas zerknüllt zwischen zwei Äpfeln und einem alten Käsebrot findet. Missbilligend blickt der Zollbeamte auf das Chaos in ihrer Tasche.

      »Sie haben angekreuzt, dass Sie keine frischen Lebensmittel mitgebracht haben, Miss. In Ihrer Tasche befindet sich aber Obst. Haben Sie sonst alle Fragen wahrheitsgemäß beantwortet?«, fragt er streng.

      Eingeschüchtert nickt Mareike. Was für ein Wirbel wegen zwei Äpfeln!

      »Sie haben also keinen der hier aufgelisteten Gegenstände bei sich?«

      »Sicher, ich habe 10.000 kanadische Dollar, einen Kanarienvogel und sieben Maikäfer bei mir.«

      Mareike findet diese Prozedur furchtbar albern. Der Grenzbeamte scheint das Ganze nicht so witzig zu finden, schaut sie ungeduldig an und sagt: »Ich bitte Sie, meine Frage zu beantworten. Führen Sie einen der aufgelisteten Gegenstände nach Kanada ein?«

      »Nein.«

      Sie will es nicht auf die Spitze treiben. Kopfschüttelnd macht der Beamte eine Notiz auf Mareikes Formular, gibt es ihr zurück und schickt sie weiter in ein anderes Büro, vor dem schon eine lange Menschenschlange wartet. Wann darf sie nur endlich ihren Koffer abholen? Nach einer gefühlten Ewigkeit bekommt sie ihr Arbeitsvisum in den Pass getackert und darf sich Richtung Gepäckband begeben. Dort tuckert auch schon ihr Koffer gemütlich im Kreis. Froh, endlich das Bürokratische hinter sich zu haben, zerknüllt Mareike ihr Formular aus dem Flugzeug und pfeffert es in einen Mülleimer.

      Ihren Koffer zerrt sie mühsam vom Gepäckband und begibt sich Richtung Ausgang. Sie will endlich kanadische Luft schnuppern!

      Mit federndem Schritt strebt sie auf die Tür am Ende eines langen Ganges zu. Gleich ist sie draußen – gleich ist sie wirklich in Kanada!

      »Your declaration card, please.« – Ihre Zollkarte, bitte.

      Schon wieder steht ein uniformierter Mann vor ihr und versperrt ihr den Ausgang. Er wedelt mit einem Formular, wie sie es eben beim Zollbeamten vorgezeigt hat. Muss sie das etwa hier abgeben? Oh nein – das liegt doch im Mülleimer!

       Was ist diesmal schiefgelaufen?

      Mareike litt etwas unter dem langen Flug. Die Sitze in der Economy-Klasse sind nach sechs bis sieben Stunden Flug immer unbequem. Auch wenn sie sich beim Aufwachen erschreckt hat, hatte sie im Flugzeug zum Glück keine anstrengenden Sitznachbarn. Die Mutter und ihr Sohn waren ein schönes Beispiel für die kulturelle Vielfalt Montréals und Kanadas insgesamt. Der kleine Junge ist südamerikanischer Herkunft. Die Mutter ist eine Québécoise und sprach Französisch mit ihrem Sohn, allerdings mit dem starken Akzent Québecs. Daher verstand Mareike auch nicht viel, weil sie daran noch nicht gewöhnt ist. Zu den sprachlichen Eigenarten des Französisch in Québec später mehr.

      Dass der lange Flug sie doch angestrengt hat, merkte Mareike beim Zoll, den hatte sie unterschätzt. Wenn viele Flugzeuge gleichzeitig ankommen, kann es an großen Flughäfen wie in Montréal zu beeindruckenden Schlangen kommen. Da der Zoll jedoch meistens sehr gut organisiert ist und etwa in Montréal bis zu 16 Beamte gleichzeitig an den Schaltern sitzen, geht es schnell voran. Die Fragen des Zollbeamten hat Mareike als indiskret empfunden. Es waren jedoch alles nur Fragen, um festzustellen, ob man illegal arbeiten wird, genügend Geld für die Reise hat, Krankheiten mitbringt oder Kanada sonst irgendwie zur Last fallen könnte. Die Einfuhr von Obst, Gemüse, Pflanzen und Fleisch unterliegt strengen Auflagen. Hier sollte man sich am besten vor der Reise über die aktuellen Modalitäten informieren.

      Die declaration card, das Formular für die Einreise nach Kanada, erhält man in der Regel von den Flugbegleitern im Flugzeug. Am Flughafen liegen aber auch noch welche aus, sodass man sich keine Sorgen machen muss, wenn man sich verschrieben hat. Es wird zunächst beim Zollbeamten vorgezeigt, der verschiedene Fragen stellt und dann für den internen Gebrauch eine Notiz auf dem Blatt macht. Erst ganz am Schluss, wenn man bereits sein Gepäck abgeholt hat und auf dem Weg nach draußen ist, wird es eingesammelt. Hier kann es auch passieren, dass die Koffer kontrolliert werden.

      Montréal ist übrigens tatsächlich eine Insel und heißt daher auch Île de Montréal. Die Stadt liegt für den Handel strategisch hervorragend dort, wo Ottawa River und Sankt-Lorenz-Strom zusammenfließen – diese Lage ist auch der Grund für den früheren Reichtum der Region. In der Mitte der Stadt thront der Mont Royal, eher ein Hügel als ein Berg, der die grüne Oase der Stadt ist und dem sie ihren Namen verdankt.

       Was können Sie besser machen?

      Da die First Class oft unerschwinglich ist, muss man sich mit den engen Sitzen und dem wenigen Fußraum arrangieren. Gut für den Kreislauf und hilfreich gegen Thrombose ist es, während des Flugs ab und zu aufzustehen und sich die Beine zu vertreten.

      Möchte man seinen Sitz auswählen und sich über alle seine Vorund Nachteile informieren, kann man dies vor der Flugbuchung auf speziellen Internetseiten wie www.seatguru.com tun.

      Die kanadischen Grenzbeamten sollte man schon ernst nehmen, auch wenn sie entspannter sind als die meisten ihrer US-amerikanischen Kollegen. Die Fragen zum Budget und zum Grund des Aufenthalts betreffen allesamt Themen, über die man sich ohnehin vor Reiseantritt Gedanken machen sollte: Wie viel Budget benötigt man für die Reise, braucht man eine zusätzliche Krankenversicherung, beeinträchtigt ein gesundheitliches Risiko die Reise? Das besagte Formular muss man natürlich wahrheitsgemäß beantworten, in der Regel ist das aber eine Formsache, da die meisten Touristen tatsächlich keinen der genannten Punkte erfüllen. Vor allem aber darf man es nicht wegschmeißen, sondern muss es am Ende dem kontrollierenden Beamten aushändigen. Mareike muss nun entweder ihr Formular im Mülleimer suchen oder die ganze Prozedur noch einmal durchlaufen!

      2

       WOZU ZWEI SPRACHEN IN EINEM LAND?

       TAXIFAHREN UND SPRACHWIRRWARR

      Glücklicherweise hat Mareike ihr Formular noch in dem Mülleimer wiedergefunden. Der Zollbeamte hat sie zwar etwas belustigt gemustert, aber keine Probleme mehr gemacht. Erschöpft von dem langen Flug, aber sehr aufgeregt winkt Mareike vor dem Flughafen ein Taxi heran und zeigt dem Fahrer den Zettel mit der Adresse ihrer ersten Bleibe, die sie sich über das Internet gesucht hat.

      »No problem, let’s go! And welcome to Canada.« Der Taxifahrer, der afrikanischer Herkunft sein könnte, lädt Mareikes Koffer ein und strahlt sie an. Er hat wieder einen ganz anderen Akzent im Englischen als der Zollbeamte. Mareike freut sich und steigt beschwingt und erleichtert ins Taxi, aus dem bereits französische Chansons trällern.

      Während der Fahrt versucht Mareike, so viel wie möglich von der Stadt zu sehen. In Frankfurt hatte sie noch so viel zu organisieren mir ihrer alten Wohnung und dem Abschied von Familie und Freunden, dass sie noch nicht so richtig dazu gekommen ist, sich intensiver mit Kanada zu beschäftigen. Aus dem Taxi beobachtet sie riesige graue Gebäude überall und Läden mit Anzeigetafeln wie aus den 1970er-Jahren. Wohnsiedlungen mit uniformen Einfamilienhäusern wechseln sich mit Industriegebieten ab. Ab und zu blinkt ein großes buntes Schild von einem Fast-Food-Lokal auf. Strom-kabel schlängeln sich oberirdisch, gestützt von hölzernen Masten, durch die Straßen. Und so viele Stopp-Schilder! Nein, das sind gar keine Stopp-Schilder, darauf steht »Arrêt«. Wenn Mareikes Französischkenntnisse sie nicht völlig im Stich lassen, heißt »arrêter« aufhören. Aber spricht man in