Katja Frehland

Fettnäpfchenführer Niederlande


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14. Jahrhundert typischerweise dargestellt wird – seine rote Zunge herausstreckt. Der blaue Schild wird von zwei weiteren goldenen Löwen, ebenfalls mit ausgeschlagenen roten Zungen, gehalten und trägt die königliche Krone. Auf einem blauen Band am unteren Rand steht in der alten Diplomatensprache Französisch geschrieben: Je maintiendrai (Ich werde bestehen). Umsäumt wird die Gruppe von einem roten Mantel, der wiederum die königliche Krone trägt.

      Als Anne aus dem Bahnhofsgebäude tritt, muss sie blinzeln. Was für ein herrlicher Frühlingsnachmittag! Eigentlich wollte sie gleich mit dem nächsten Bus zu ihrem kleinen Hotel in der Altstadt fahren, doch nun entscheidet sie sich um. Die Sonne scheint so schön, sie hat den ganzen Tag gesessen, tragen muss sie nur ihren leichten Rucksack – die Koffer hat sie schon nach Amsterdam vorgeschickt –, da ist ein kleiner Fußmarsch durch Maastricht doch genau das Richtige.

      Auf der Karte mit der näheren Umgebung des Bahnhofs, die sie sich am gestrigen Abend noch schnell ausgedruckt hat, erkennt sie, dass sie eigentlich nur die Stationsstraat Richtung Westen gehen muss, um zur Stadtmitte zu gelangen.

      Eine Weile spaziert Anne gut gelaunt die belebte Straße hinunter, genießt die warme Frühlingssonne auf ihrem Haar, läuft am Grand Hotel, einem üppigen Blumenladen, einem Denkmal und vielen schönen Jahrhundertwendehäusern vorbei, dann hält sie inne, schaut nach rechts, nach links und wieder nach rechts. Sie ist nun schon an die vierte Kreuzung gelangt und die Straße heißt nicht mehr Stationsstraat, sondern Wyker Brugstraat – soll sie jetzt weiter geradeaus gehen? Oder muss sie abbiegen? Ihr kleiner Stadtplanausschnitt endet leider an genau dieser Stelle. Es ist wohl das Beste, sie findet jemanden, der ihr den Weg beschreiben kann. Anne dreht sich um. Einige Fahrräder flitzen mit surrenden Reifen an ihr vorbei – zu schnell, um den Fahrern eine Frage zuzurufen. In diesem Moment öffnet sich auf der anderen Straßenseite die Tür eines Cafés. Eine ältere, weißhaarige Dame in einem roten Wollmantel tritt auf den stoep (Bürgersteig).

      »Hallo!«, ruft Anne und wedelt mit den Armen.

      Die Dame wendet ihren Kopf zu Anne und sieht sie fragend an. Doch als Anne nicht gleich antwortet, dreht sie sich in die andere Richtung und marschiert mit klackernden Absätzen los.

      Was soll Anne bloß sagen? Plötzlich fällt ihr einfach kein niederländischer Satz mehr ein. Hieß »Weg« wirklich einfach weg? Was hieß noch mal »rechts abbiegen«? Hieß »geradeaus« wirklich rechtuit? Oder war es rechtsaf? Anne rennt schnell über die Straße. Jetzt frage ich eben auf Deutsch, denkt sie sich. Die Niederländer können doch alle Deutsch.

      Sie ruft: »Entschuldigen Sie bitte, können Sie mir vielleicht sagen, ob ich am besten geradeaus oder nach rechts gehe, um zur Stadtmitte zu kommen?«

      Die Dame stoppt, dreht sich um, sieht Anne mit zusammengekniffenen Mundwinkeln an und antwortet grimmig: »Krieg ist vorbei!«

      Anne hält betreten inne. Was soll das denn? Krieg ist vorbei?

      In diesem Moment scheint sich die Dame zu besinnen. Sie mustert Anne, und die vielen kleinen Fältchen um ihre braunen Augen ziehen sich lustig zusammen. »Geh einfach geradeaus über die Sint Servaasbrug, dann bist du richtig!«, sagt sie in fehlerfreiem Deutsch.

      »Dank je wel«, antwortet Anne etwas erschrocken und geht schnell weiter.

       Was ist da schiefgelaufen?

      Eigentlich hat sich Anne nicht geirrt: Die ältere Dame konnte tatsächlich Deutsch, sowohl verstehen als auch fließend sprechen. Aber sie war über die Gelegenheit, ihre deutschen Sprachkenntnisse anwenden zu können, offensichtlich nicht sehr erfreut – im Gegenteil. Warum?

      Hier hilft ein kleiner Blick in die Vergangenheit, genauer: auf die Geschichte des deutsch-niederländischen Verhältnisses. Schon Ende des 18. Jahrhunderts bestand aufseiten der Niederlande eine gewisse Skepsis gegenüber dem benachbarten, zusehends militärisch geprägten Preußen. Spätestens seit dem Überfall Deutschlands auf die Niederlande im Mai 1940 und vor allem durch die folgenden Jahre der Besatzung durch die Wehrmacht schlug diese Skepsis in Angst und Ablehnung um. Diese Ablehnung manifestierte sich unter anderem in einer Abwehrhaltung gegenüber der deutschen Sprache: Deutsch, das war die Sprache der Besatzer, es war die Sprache von Hitler und Auschwitz. In den niederländischen Lehrplänen wurde das Fach Deutsch, das zuvor noch erste Fremdsprache gewesen war, auf den zweiten oder sogar dritten Rang verwiesen. Es galt nach dem Krieg geradezu als ein Akt des Widerstands, kein oder nur sehr wenig Deutsch zu sprechen.

      Mit ihrer auf Deutsch formulierten Frage an eine Niederländerin, die vielleicht noch Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkriegs hat, ist Anne somit in ein ziemliches Fettnäpfchen getreten – die Antwort hat es deutlich gezeigt.

       DEUTSCHLAND UND DIE NIEDERLANDE

      Das Verhältnis zwischen den zwei Nachbarstaaten war in der Vergangenheit durch verschiedene Konflikte und Gegenläufigkeiten geprägt. Schon früh entwickelte sich bei den freiheitsliebenden Menschen hinter den niederländischen Deichen mit ihrem traditionellen Misstrauen gegen alle Obrigkeiten ein gewisses Überlegenheitsgefühl gegenüber den deutschen moffen (wörtlich: Muffelnde, Meckernde) jenseits der Grenze.

      Nach Ende des Zweiten Weltkrieges lebte man in den Niederlanden deshalb nach dem Motto »Hüte dich vor den Deutschen«, und auch nachfolgende Generationen konnten sich diesem antideutschen Reflex lange nicht entziehen.

      Allerdings lässt sich seit einigen Jahren beobachten, dass das deutsche Feindbild in den Niederlanden mehr und mehr in Vergessenheit gerät. Denn die jüngere Generation der Niederländer will vom Zweiten Weltkrieg nicht mehr viel wissen, sie lebt im modernen Europa ohne Grenzen und findet viele deutsche Städte, v. a. Berlin, absolut hip. Zudem haben viele Niederländer bei der Fußballweltmeisterschaft 2006 Deutschland als freundlichen und offenen Gastgeber kennengelernt.

       So ist’s oranje

      Man macht sich in den Niederlanden nicht sonderlich beliebt, wenn man als Deutscher gleich auf Deutsch losplappert. Auch wenn die jüngere Generation der Niederländer dem Deutschen insgesamt viel unbelasteter begegnet, so kann es trotzdem passieren, dass man mit der deutschen Sprache nicht gut ankommt.

      Dass man Niederländisch spricht, wird hingegen nicht erwartet. Optimal und neutral ist dagegen die Kommunikation auf Englisch. Englisch kann schließlich fast jeder Niederländer bzw. jede Niederländerin – und so gut wie jede oder jeder Deutsche. (Auf Gendermarkierungen muss im Folgenden aus Gründen der Lesbarkeit leider meist verzichtet werden. Nennungen in der männlichen Form schließen die weibliche Form aber stets ausdrücklich mit ein und umgekehrt.) Wenn Sie also in den Niederlanden sind und nicht wissen, wie Sie auf Niederländisch nach dem Weg fragen können, sollten Sie es auf Englisch versuchen.

       FREMDSPRACHEN-ASSE

      Niederländer und Niederländerinnen aller Altersgruppen und aller sozialer Schichten verfügen über breite Fremdsprachenkenntnisse. Das liegt in erster Linie daran, dass die Niederlande ein kleines Land sind und nur wenige Menschen auf der Welt Niederländisch sprechen können. Ausländische Filme und Fernsehsendungen werden stets in der Originalsprache (mit Untertiteln) gesendet – Synchronisation lohnt sich bei dem kleinen Markt für ausländische Produzenten einfach nicht. Die Niederländer schauen zudem gerne englisch- und auch deutschsprachiges Fernsehen, insbesondere die Sportprogramme und verschiedene Serien. Deshalb kommen hier schon kleine Kinder mit dem Klang der verschiedenen Sprachen in Berührung. Ungefähr 80 Prozent der Niederländer sprechen Englisch, über 40 Prozent sprechen Deutsch und mehr als 20 Prozent beherrschen das Französische.

      3

       FALSCHE FREUNDE

       NIEDERLÄNDISCH-DEUTSCHEVERWECHSLUNGSGEFAHREN

      Anne läuft weiter geradeaus, dann steht sie am Ufer der