Was können Sie besser machen?
Wenn Sie beim einfachen -san bleiben, können Sie schon mal nicht ganz falsch liegen. Aber Vorsicht: Mit dieser Silbe drücken Sie Respekt aus. Es wäre also unhöflich, sich selbst oder Familienangehörige mit -san vorzustellen. Auch die Mitglieder der eigenen Firma, die ja in Japan fast so etwas wie die eigene Familie sind, werden ohne Anrede angesprochen oder vorgestellt. Hier kann man stattdessen die Position desjenigen in den Namen mit aufnehmen. Dasselbe würde in Deutschland zu eher seltsam klingenden Anreden wie ›Buchhalter Krause‹ oder ›Abteilungsleiter Müller‹ führen – aber Sie können dieses Verhalten ja abperlen lassen wie Regentropfen von einem Lotusblatt, sobald Sie wieder in das Flugzeug nach Hause steigen.
Falls es sich bei Ihrem Gegenüber allerdings um einen Lehrer, Professor, Anwalt oder Arzt handelt, kann -san schon zu wenig sein. Hängen Sie vorsichtshalber ein -sensei an den Namen an (auch dies gilt für Männer und Frauen gleichermaßen), dann sind Sie auf der sicheren Seite. Falls Sie den Namen nicht wissen, können Sie auch nur ›sensei‹ sagen. Auch bei älteren Männern, die in der Hierarchie des Konfuzianismus sehr hoch stehen, liegen Sie mit sensei nie falsch. Vielleicht werden Sie feststellen, dass in Japan recht häufig nach dem Alter gefragt wird, möglicherweise, um die Hierarchien auf diesem Weg möglichst schnell zu klären. Bei Frauen gilt dies allerdings, wie ja auch bei uns, als nicht besonders höflich. In Japan kann man daher auch trickreich nach dem Tierkreiszeichen fragen und sich so unauffällig das Alter ausrechnen.
Übrigens: Hüten Sie sich davor, Ihre Geschäftspartner mit der Anrede -chan statt -san anzusprechen, auch wenn es recht ähnlich klingt. Das könnte Ärger geben. Diese Silbe wird nämlich nur für kleine Mädchen und allgemein alles was niedlich ist verwendet.
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HERR HOFFMANN ISST MIT STÄBCHEN
WIE EIN VERBOT ZUR ERFINDUNG VON SUSHI FÜHRTE
Die Sonne brennt heiß vom Himmel und die Schlange wird einfach nicht kürzer. Ganz Tôkyô scheint zur Mittagszeit auf den Beinen zu sein. Und Tôkyô ist riesig. Davon hat Herr Hoffmann sich gerade eben selbst überzeugen können, als er mit Frau Watanabe im 46. Stock des Rathauses stand und auf das sich scheinbar unendlich erstreckende Häusermeer herabschaute. Einfach unglaublich.
»Sehen Sie, wir sind gleich dran«, reißt ihn Frau Watanabe aus seinen Gedanken – und wirklich. Sie sind nun fast am vorderen Ende der Schlange der kleinen Sushi-Bar angelangt. Laut Frau Watanabe einer der besten Läden in Shinjuku.
Kurz darauf sitzen die beiden an einem kleinen Tischchen vor dem Mittagsmenü, das Frau Watanabe geordert hat. Nach einem Seitenblick auf seine Begleiterin reinigt sich nun auch Herr Hoffmann die Hände mit dem oshibori, das ihn an die heißen, feuchten Tücher erinnert, die er im Flugzeug beim Aufwachen bekommen hat.
»Essen Sie oft hier?«, fragt Herr Hoffmann, als er beobachtet, wie Frau Watanabe mit geübtem Griff die hashi, die Essstäbchen, aus dem Papier zieht und mit einer schnellen Bewegung auseinanderbricht.
Sie lacht: »Ich weiß schon, ihr Deutschen denkt immer, wir Japaner würden jeden Tag Sushi essen. Aber das stimmt gar nicht, viel häufiger esse ich mittags Nudeln oder eine Suppe.«
Herr Hoffmann nimmt schnell einen Schluck grünen Tee, der kostenlos zum Essen gereicht wird, um zu überspielen, dass er das tatsächlich gedacht hatte. Nun sieht er sich das Essen genauer an. Auf einem Holzbrettchen sind verschiedene Röllchen zu sehen, dazu Fischstücke auf kleinen Reisbällchen. Und eine Art rosafarbener Schwamm. Daneben, in einer kleinen Schale, eine Misosuppe. Um den Wasabi – den scharfen japanischen Meerrettich – macht er lieber einen Bogen. Das Erlebnis im Flugzeug reicht ihm.
Am besten fängt er mit der Suppe an – dass die hier aber auch die Vorspeisen zusammen mit dem Hauptgang bringen müssen ... Nur, wo ist der Löffel? Ein schneller Blick auf Frau Watanabe liefert die Lösung. Sie trinkt die Suppe direkt aus der Schale und fischt mit ihren Stäbchen die Tofu- und Algenstücke heraus. Das ist Herrn Hoffmann jetzt zu kompliziert. Er ist schließlich froh, wenn er überhaupt etwas mit seinen Stäbchen gegriffen bekommt, da muss es nicht gleich der glitschige Tofu aus der Suppe sein. Das ist doch eher für Fortgeschrittene. Misstrauisch beäugt er noch mal die Platte und entscheidet sich dann für ein Röllchen mit einer gelben Füllung. Das scheint kein Fisch zu sein, erst mal probieren. Frau Watanabe zeigt ihm noch mal, wie er die hashi richtig halten muss: Ein Stäbchen liegt als Basis unbeweglich zwischen Mittel- und Ring-finger. Nur das obere Stäbchen wird mit Daumen und Zeigefinger gegen das untere bewegt.
Herr Hoffmann greift ein wenig ungeschickt, aber dennoch erfolgreich das anvisierte maki-Röllchen, tunkt es kurz in das kleine Schüsselchen mit Sojasoße und nimmt es dann schnell in den Mund, bevor noch etwas schiefgeht. Geschafft. Zufrieden und auch ein bisschen stolz kaut er sein erstes Sushi. Nicht schlecht, schmeckt leicht säuerlich, erfrischend.
Frau Watanabe erklärt ihm, dass er zwischen den Sushis seine Geschmacksnerven mit dem eingelegten Ingwer – aha, das also ist der rosa Schwamm – neutralisieren kann. Die dünn geschnittenen Ingwerscheiben einzeln mit den Stäbchen hoch zu nehmen ist Herrn Hoffmann aber dann doch zu heikel.
So, welchen Fisch nun? Rohen Fisch hat er noch nie gegessen. Er denkt nun doch ein wenig wehmütig an das schnitzelähnliche katsu-karee zurück, das er gestern Abend im Hotel gegessen hatte. Vorsichtig nimmt er eines der Reisbällchen mit einem Stück dunkelrotem Fisch darauf, balanciert es zur Schale mit der Sojasoße und – platsch. Schon liegt das Fischfilet neben einem traurigen Häuflein Reis in der Soße.
Frau Watanabe legt ihre Stäbchen beiseite. »Sehen Sie, Hofuman-san, Sushi kann man ebenso gut mit der Hand essen!« Wie zum Beweis nimmt sie ein kleines Schiffchen mit rotem Fischrogen mit drei Fingern und steckt es in den Mund. Erleichtert spießt Herr Hoffmann seine Stäbchen in sein tamago-nigiri und nimmt nun ebenfalls die Finger.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Genau wie zum Beispiel Kartoffeln ausschließlich mit der Gabel und nicht mit dem Messer zerteilt werden dürfen, gibt es auch bei Stäbchen eine Menge Dinge, die schieflaufen können. Herr Hoffmann hat es geschafft, durch sein Benehmen die Erinnerung an ein buddhistisches Totenritual wach zu rufen. Durch große Ess-Stäbchen oder Räucherkerzen, die in eine Schüssel Reis gesteckt werden, wird bei einer Totenfeier den Verstorbenen Essen dargebracht. Daher gilt es als respektlos, bei Tisch die Stäbchen ebenfalls ins Essen zu spießen. Ein anderes Ritual sieht vor, dass die Angehörigen des Verstorbenen die Knochen der eingeäscherten Leiche mit Stäbchen weiterreichen. Aus diesem Grund ist es ebenfalls tabu, beim Essen einzelne Häppchen mit den Stäbchen zum Probieren an die hashi Ihres Tischnachbarn weiterzugeben.
Nur, warum essen Japaner eigentlich überhaupt mit Stäbchen? Einfach nur, damit wir Europäer beim ersten, kläglichen Ess-Versuch damit wie komplette Vollidioten aussehen? Nein – schuld sind die Chinesen. Denn die waren ihrer Zeit weit voraus. Schon etwa 1500 v. Chr. verwendeten die Chinesen Essstäbchen. Die Japaner dagegen aßen zu dieser Zeit noch mit den Fingern – jahrhundertelang sollte sich daran auch nichts ändern. Erst gegen 500 n. Chr. schwappte dieser Teil der chinesischen Kultur nach Japan. Ganz schön spät? Nun ja, wir Europäer haben noch sehr viel länger mit den Fingern gegessen.
Obwohl die Gabel im 10. Jahrhundert n. Chr. in Byzanz erstmals auftauchte und schließlich auch ihren Weg nach Italien fand, hatte diese neue Erfindung es zunächst schwer. Als Symbol des Teufels verdonnert, dauerte es bis Mitte des 14. Jahrhunderts, bis die Gabel sich zunächst in Italien durchsetzte. Aber noch Ludwig XIV, der Sonnenkönig, aß im 17./18. Jahrhundert mit den Fingern und auch Martin Luther schimpfte: »Gott behüte mich vor Gäbelchen!« Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts erhielt die Gabel neben dem Löffel und dem Messer auch im Rest der westlichen Welt ihren festen Platz. Endlich musste das Fleisch beim Zerteilen mit dem Messer nicht mehr mit den Fingern gehalten werden.