sehen ihn alle vier an und kichern. Hoffentlich hat er sie nicht zu lange angestarrt. Demonstrativ wirft Herr Hoffmann einen geschäftigen Blick auf seine Armbanduhr – und rammt dabei beinahe zwei uniformierte Herren mit orange-leuchtender Schärpe und blütenweißen Handschuhen. Sie stehen vor einem Stück Straße, gerade mal zwei Quadratmeter groß, das ohne einen ersichtlichen Grund abgesperrt ist und winken die vorbeiströmenden Menschen sicher um das Hindernis herum. Dieser für den Deutschen völlig sinnlos wirkenden Beschäftigung gehen sie mit einer Ernsthaftigkeit nach, als handele es sich dabei um eine komplizierte Bypass-Operation. Herr Hoffmann meistert diese letzte Hürde souverän und betritt das Kongresszentrum genau 24 Sekunden vor neun. Perfekt.
Eine Gruppe in Anzüge gehüllter Herren erwartet ihn. Mindestens zwei davon gehören laut Plan zu den Veranstaltern und sein Übersetzer für den Vortrag sollte auch dabei sein. Aber wer ist wer? Ein kleiner Mann mit dicken Brillengläsern zieht geräuschvoll die Nase hoch. Herr Hoffmann hofft inständig, dass nicht ausgerechnet dieser Typ sein Übersetzer sein wird. Alle tragen graue Anzüge, weiße Hemden und mehr oder weniger graue Krawatten. Oh je, wie soll er die nur alle auseinanderhalten?
Aber jetzt kommt erst mal das Wichtigste. Herr Hoffmann ist – wie gesagt – vorbereitet. Er weiß, wie wichtig das Ritual der Visitenkartenübergabe für den geschäftlichen Erfolg in Japan ist und er weiß auch, dass er als Besucher nun in der Pflicht ist, seine Karte als Erster zu überreichen. Lächelnd zückt Herr Hoffmann ein kleines, silbernes Visitenkarten-Etui aus seiner Aktentasche. Ja, Lächeln geht immer. Besonders in Japan. In einem Reiseführer hat Herr Hoffmann gelesen, dass Japanern Gemütsregungen wie Überraschung oder Ärger den Japanern in der Öffentlichkeit ein wenig peinlich, weshalb sie diese hinter einem Lächeln verstecken. Auch eine trauernde Witwe lächelt in der Öffentlichkeit, denn Trauer ist Privatsache und nicht für fremde Augen bestimmt. Kann gut sein. Zumindest hat er in Japan mehr lächelnde als traurige, wütende Menschen oder beschämte Menschen gesehen. Bis jetzt.
Das Etui hatte Herr Hoffmann sich gegen Hannahs Protest ›35 Euro? Tut’s nicht auch ein einfaches Gummiband?‹ noch in Deutschland gekauft. Eine gute Investition, wie sich jetzt zeigt, denn auch die anderen beginnen nun, spezielle Etuis hervorzuziehen. Ein kleiner Mann mit gestreifter Krawatte hat sogar einen ganzen Ordner für seine Visitenkarten dabei. Stolz, dass er diesmal richtig vorbereitet ist, verteilt Herr Hoffmann seine extra für die Reise doppelseitig bedruckten Visitenkarten: eine Seite mit deutscher Beschriftung, eine mit japanischer Beschriftung. Zum Test hatte er Frau Watanabe am Vorabend die japanische Seite vorlesen lassen. Sein Name lautet dort anscheinend Hofuman. Nun ja. Ähnlich genug.
Da Herr Hoffmann sich nicht sicher ist, wer im Raum der Ranghöchste ist, fängt er einfach bei dem Typ mit der gestreiften Krawatte an. Der hat schließlich den dicksten Ordner, das wird schon was heißen.
Reihum verteilt er also seine Karten und bekommt dafür von jedem der Anwesenden ebenfalls eine Karte gereicht. Manche sind auf der Rückseite englisch beschriftet, andere dagegen nur japanisch. Zügig bildet Herr Hoffmann aus den Karten einen dicken Stapel und verstaut diesen sorgfältig in seinem Etui. Niemals in die Hosentasche stecken! Das hatte ihm Kollege Klöppke, der schon mal in Japan war, noch in Flensburg eingeschärft.
Was ist diesmal schiefgelaufen?
Herr Klöppke hatte Recht. Die angebotenen meishi (Visitenkarten) achtlos in die Tasche oder ins Portemonnaie zu stecken, gehört in Japan nicht zum guten Ton.
Aber das ist nicht die einzige Regel, die bei den Ritualen der Visitenkartenübergabe beachtet werden sollte. Denn es handelt sich keineswegs nur um eine kleine Pappkarte, die Kontaktdaten einer Person trägt. Nein, die Visitenkarte repräsentiert die Person. Ebenso wie manchem Deutschen das Auto als Teil der Persönlichkeit gilt, dem Teil, der samstags liebevoll in der Waschanlage gesaugt und mit einem weichen Lappen gewienert wird, dem sogar die Felgen mit einer Zahnbürste gereinigt werden ... Na ja, so oder so ähnlich identifizieren sich Japaner eben mit ihren Visitenkarten. Kein Wunder, dass sie überall und ständig ausgetauscht werden. Sogar für nicht berufstätige Hausfrauen ist es eine Selbstverständlichkeit, Visitenkarten zum Austausch bereitzuhalten. Nach einer Geschäftsreise muss man daher damit rechnen, mit einem dicken Berg Visitenkarten heimzukehren. Und ebenso sollte man selber genügend dabeihaben.
Herr Morita, das ist der mit der gestreiften Krawatte und dem speziellen Ordner nur für Visitenkarten, ist keine Seltenheit. Sorgfältig hat er Herrn Hoffmanns Karte entgegengenommen, sie lange und aufmerksam studiert und erst dann in seinen gut gefüllten Ordner einsortiert.
Und genau das war der Fehler. Herr Hoffmann hat die Karten einfach zu schnell weggesteckt. Wenn sich jemand so wenig für die Karten interessiert – wie viel Interesse kann er da schon für seine Geschäftspartner haben?
Was können Sie besser machen?
Die Visitenkartenübergabe als Sub-Ritual ist als zweiter Schritt eingebettet in einen insgesamt dreigeteilten Prozess. Natürlich wird man nicht unbedingt erwarten, dass Sie als gaijin auf Anhieb alles richtig machen. Aber dennoch: Es dauert ohnehin lange genug, bis man Sie im Geschäftsleben vollständig akzeptiert und es wird schon erwartet, dass Sie sich Mühe geben. Versuchen Sie also, einen so guten ersten Eindruck wie möglich zu machen.
Schritt 1 – Vorstellung
Stellen Sie sich Ihrem Geschäftspartner mit ebenso schönen wie phantasielosen Worten vor, etwa: »Guten Tag, ich bin Herr/Frau XYZ von der Firma XYZ.« Das Ganze dann auf Englisch, oder noch besser – wenn Sie können – auf Japanisch. Fragen Sie danach, ob Sie Ihre Visitenkarte überreichen dürfen. Keine Sorge, die Antwort wird kaum »Nein« lauten.
Schritt 2 – Visitenkartenaustausch
Jetzt geht es los. Machen Sie es wie Herr Hoffmann und besorgen Sie sich ein Etui. Es muss nicht aus Metall sein und auch keine 35 Euro kosten, eines aus Plastik oder Leder tut es auch. Aber eine Organisation über ein Gummiband oder in der Geldbörse aufbewahrte Karten, die eventuell bereits abgeknickte Ecken oder dunkle Ränder aufweisen, sind tabu.
Auch die beidseitig bedruckte Karte war eine gute Idee von Herrn Hoffmann. Es kommt gut an, wenn die Rückseite der Karten in katakana beschriftet ist. Achten Sie darauf, dass Ihr Titel und die Position in der Unternehmenshierarchie klar erkennbar sind. Der Rangniedrigere oder in unserem Fall der Besucher macht nun den Anfang und übergibt seine Karte zuerst. Falls mehrere Menschen im Raum sind, fängt man bei demjenigen an, der in der Hierarchie am höchsten steht, und arbeitet sich dann schrittweise hinab. Falls Sie keine Ahnung haben, wer Geschäftsführer und wer Praktikant ist, schadet es nichts, wie Herr Hoffmann einfach der Reihe nach vorzugehen. Oder Sie arbeiten sich von alt nach jung vor. Älteren Männern begegnet man in Japan mit sehr viel Respekt, da können Sie also nicht ganz falsch liegen.
Bei der Übergabe halten Sie die Karten mit beiden Händen jeweils zwischen Daumen und Zeigefinger an den oberen Ecken und drehen sie so, dass Ihr Gegenüber die Karte lesen kann. Die japanische Seite sollte also nach oben und der Text von Ihnen weg zeigen. Daraufhin bekommen Sie nun ebenfalls eine Visitenkarte auf die gleiche Weise angeboten, die Sie an den beiden unteren Ecken mit beiden Händen annehmen.
KATAKANA
Nein, hierbei handelt es sich weder um eine Kampfsportart noch um ein Fischgericht, sondern um ein phonetisches Silbenalphabet. Diese Zeichen werden für Fremdsprachen genutzt, im Gegensatz zu hiragana, die für japanische Ausdrücke verwendet werden. Durch die katakana sind Japaner in der Lage, Ihren Namen zumindest auszusprechen, so wie Sie für die Aussprache eines japanischen Namens eine romanisierte Form brauchen. Mit dem Namen in kanji allein, also in sinojapanischen Schriftzeichen mit vielen Lesungsmöglichkeiten, wären Sie ziemlich aufgeschmissen.
Schritt 3 – Verbeugen und Interesse zeigen
Als