schwedische skata außerdem Elster heißt, was wiederum mit der spitzen Form ihres Bürzels zu tun haben soll, aber ebenso wenig wie der Wacholder für Katajanokka namensgebend war.
In der Praxis geht es auch viel einfacher: Einheimische nennen die Halbinsel kurz Skatta. Das bewahrt das Schwedische s und erleichtert die finnische Aussprache durch das tt. Der Helsinkier Stadt-Slang geht noch weit darüber hinaus und verwendet zahlreiche Mischformen aus dem Schwedischen und Finnischen, zum Beispiel die Bezeichnung für Helsinki selbst: Stadi.
»Und Englisch natürlich.«
»Klar, und du?«
»Ich auch.«
»Na, ich meine, wo kommst du eigentlich her? Bist du Italienerin?«
»Nein.« Greta lacht. »Nur weil ich dunkle Haare habe? Ich komme aus Deutschland. Aber ich spreche auch ein bisschen Italienisch, wenn du möchtest.«
»Va bene, aber gerne, ich glaube, wir werden die internationalste WG von Helsinki.«
Sopii!
Darauf kann sie sich verlassen: dass Internationalität geachtet wird. Wie international Finnland selbst ist, wird oft unterschätzt. Die Zweisprachigkeit ist ein Phänomen, das oft verwundert. Allerdings hat das mit Internationalität insofern nichts zu tun, als die Finnlandschweden im Allgemeinen nicht der staatlichen Zugehörigkeit zu Schweden nachweinen. Es ist eine Minderheit, die weder prinzipiell assimiliert noch unterdrückt wurde, im Gegenteil nahmen Finnlandschweden bis ins 20. Jahrhundert hinein überdurchschnittlich viele politisch und wirtschaftlich bedeutende Positionen ein.
Zunächst einmal sind es auch die Finnisch sprechenden Finnen gewesen, deren Sprache und Kultur weniger geachtet war. Daraus resultiert noch manche reservierte Haltung gegenüber der finnlandschwedischen Kultur heute. Nicht alle Finnen sind so versessen darauf, Schwedisch zu lernen, schon gar nicht in küstenfernen Regionen, wo man die Sprache überhaupt nicht verwenden kann. Die wenigsten aber sind so biestig wie die Dame im Wohnheimbüro, die nicht einmal bereit war, das Missverständnis aufzuklären. Sie muss schließlich bemerkt haben, dass Greta sowohl unwissend als auch völlig neutral in dieser Frage war. Mit Lauri hat sie jemanden kennengelernt, der in beiden Sprach- und Kulturbereichen zu Hause ist, was häufig vorkommt.
4
WAS BEDEUTET PRESIDENTTI?
WELTPOLITIK BEI EINER TASSE KAFFEE
Greta steht grübelnd in der Küche und versucht sich zu erinnern, wo sie ihre Einkäufe verstauen darf, als sie hört, dass die Wohnungstür geöffnet wird.
»Möchtest du auch einen Kaffee, Lauri?«, ruft sie in den Flur.
»Joo, danke«, klingt es zurück. Greta angelt die Kaffeepackung aus dem Rucksack, den Rest platziert sie aufs Geratewohl im Hängeschrank neben der Spüle.
»Moi.«
»Moi?«
»Ja, hallo.«
»Ach so, ich dachte, das heißt hei?«
»Joo. Aber auch moi.«
»Aha. Sag mal, wo sind denn die Becher?«
»Hier.« Lauri öffnet den Schrank direkt über der Spüle. Er quillt fast über vor Geschirr, das chaotisch auf Abtropfgestelle gestapelt ist, kreuz und quer, aber sauber.
Greta staunt. »So was hab ich noch nie gesehen. Ist ja superpraktisch, dann muss man nicht abtrocknen. Stellt ihr das Geschirr nie weg?«
VOM ABTROPFSCHRANK ZU AALTO
Seit 1948 wird der Abtropfschrank in Finnland produziert. Enso-Gutzeit, heute Stora Enso, hat als erste Firma den Mehrwert des Schranks gegenüber dem einfachen Gestell erkannt. Selbstverständlich war es eine Finnin, die die Idee dazu gehabt hatte. Nicht nur dieser besondere Schrank brachte Enso-Gutzeit die finanziellen Möglichkeiten, um 1962 ein neues Hauptgebäude zu beziehen, auf Katajanokka, geplant vom weltbekannten finnischen Architekten Alvar Aalto. Dessen herausragende Beiträge zur internationalen Moderne mit dem steten Bestreben, den Menschen und seine Bedürfnisse mit architektonischen Grundprinzipien zu verknüpfen, sind nicht nur in Finnland, sondern beispielsweise auch in Wolfsburg, Essen und Berlin zu erleben.
»Doch, aber meistens benutzt es jemand, bevor es dazu kommt.« Lauri grinst und öffnet die Schranktür nebenan. »Hier müsste es eigentlich rein. Oh, da wohnen jetzt deine Nudeln. Kein Problem, aber eigentlich könntest du sie dort drüben unterbringen.« Er zeigt nach links neben das Fenster auf einen weiteren Schrank.
»Entschuldigung, ich hab’s nicht mehr im Kopf gehabt.« Schnell räumt Greta alles richtig ein.
»Du hast guten Kaffee gekauft«, nickt Lauri anerkennend.
Greta stellt ihre frisch erworbene Packung Presidentti-kahvi neben die geblümte Kaffeedose. »Bitte schön. Prost! Auf den finnischen Kaffee!«
Lauri ist amüsiert. »Kippis! Mit Kaffee hab ich noch nie angestoßen.«
»Na, wenn ihr ihn schon Präsident nennt. Oder hab ich das falsch verstanden?«
»Nein, ist schon ganz richtig. Das ist die traditionsreichste Kaffeemarke in Finnland. Und Kaffee gibt es überall, der gehört einfach dazu.«
»Ich trinke mindestens fünf Tassen am Tag. Da ist Finnland wohl das richtige Land für mich. Ohne Kaffee kann ich gar nicht aufstehen.«
»Wie wär’s, wenn wir die frische Energie für einen kleinen Spaziergang nutzen? Einmal zum Markt und zurück?«
Die Adresse Katajanokanranta verspricht zwar ein bisschen viel, nämlich ranta, einen Strand, der sich nur als Küstenstreifen entpuppt, aber das Wasser ist in Helsinki nie weit, und Greta genießt die frische Luft, die zu ihnen herüberweht.
Direkt vor dem Haus liegt ein kleiner Park, wie überhaupt viele Stadtbereiche Helsinkis recht grün wirken. Auf dem Spielplatz sind einige Kinder am Schaukeln, viel Autoverkehr gibt es hier nicht, nur Anwohner und ein paar Berufstätige sind unterwegs auf Katajanokka. Um den Nordosten ihrer Halbinsel zieht sich ein schöner Radund Fußweg.
Lauri erzählt ein bisschen von der Geschichte Helsinkis, die erst 1550 begann.
»Helsinki liegt nah an Russland, und das ist immer noch in der Stadt sichtbar.«
»Inwiefern?«
»Wir haben zum Beispiel eine russisch-orthodoxe Kirche, siehst du die Zwiebeltürme dort links?«
»Da drüben? Gibt es immer noch eine Gemeinde?«
»Oh ja, die ist sehr aktiv. Wenn du magst, sieh dir doch mal einen Gottesdienst an, das ist schon ein Erlebnis. Und überhaupt wirst du in der Stadt einige Monumente aus russischer Zeit entdecken.«
IN SCHWEDENS OSTEN UND RUSSLANDS WESTEN – HELSINKI HISTORISCH
Schwedens berühmter König Gustav Vasa hatte 1550 die Idee, Bewohner umliegender Orte in die neu gegründete Stadt Helsinki umzusiedeln, als Konkurrenz zu den baltischen Häfen, besonders Tallinn im heutigen Estland. 1640 wurde Helsinki an die heutige Stelle verlegt. Finnlands Hauptstadt innerhalb des schwedischen Reiches war aber damals noch Turku (schwedisch Åbo), das von Stockholm aus sehr viel schneller zu erreichen ist.
Die Schweden bauten die Schäreninseln vor Helsinki zu burgähnlichen Schanzanlagen aus, Sveaborg, schwedische Burg, genannt. 1808 haben die Russen dennoch die Stadt erobert und großflächig zerstört. Die Befestigungen vor der Stadt wurden in Suomenlinna, Finnlands Burg, umbenannt und sind heute ein beliebtes Erholungsgebiet (siehe »Ist das Frauenpower?«).