Jan-Rolf Janowski

Fettnäpfchenführer Korea


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weltweit führende Metropole sei, sondern auch ein einzigartiges Nachtleben zu bieten habe. Insbesondere Zweiteres trug maßgeblich dazu bei, dass Nico sich sehr bald mit dem Gedanken, ein Wiederriechen mit dem fauligen Geruch seiner Kindheit zu feiern, anfreunden konnte. Da es schon in wenigen Wochen losgehen würde und er noch seine Studentenwohnung in Maastricht auflösen musste, hatte er aber kaum Zeit, sich in aller Tiefe vorzubereiten. Aber wie sagte Papa immer: »Arbeit ist Arbeit, Menschen sind Menschen, überall auf der Welt.«

      1

       DER FLUG

       VÖLKERWANDERUNG INS FLUGZEUGHECK

       Wenn gar nichts klappt, findet man selbst in einem Ei noch Knochen

      Endlich ist der große Tag gekommen. Julia hat sich gründlich vorbereitet. Sie weiß auch schon, dass es an Bord vermutlich bibimbap geben wird, gemischten Reis mit Gemüse und Spiegelei obendrauf, dafür ist die koreanische Fluglinie bekannt, mit der sie fliegt.

      Doch das Erlebnis beginnt schon auf dem Flughafen in Frankfurt, von wo aus Julias Direktflug nach Seoul startet, beziehungsweise nach Incheon, wie sie die Frau am Schalter korrigiert. Jaja, dass der Flughafen außerhalb der Stadt ist, das weiß sie selber. Gut, dass sie diese deutsche Detailversessenheit jetzt erst einmal hinter sich lassen kann. Weiter hinten in der Schlange erblickt Julia einige junge koreanische Individualreisende, die jedoch so uniformiert angezogen sind, dass sie schon wieder wie eine Gruppe erscheinen: die Damen dunkle Sonnenbrillen, betont lässige, aber hochwertige Freizeitkleidung, die Männer in Karohemden und mit Basecap tief ins Gesicht gezogen. Youtube hatte Recht, denkt Julia gerade, alle Koreaner sehen so aus wie die attraktiven Darsteller aus den Serien und Musikvideos, da wird sie plötzlich von hinten von etwas gerammt.

      Sie hat sich noch nicht umgedreht, da hört man schon Kichern. Eine ältere Koreanerin, kaum 1,60 m groß, hat eine riesige Kiste mit Zwilling-Messern unbedacht manövriert und ist Julia mit dem Gepäckwagen direkt in die Hacken gefahren. Julia erschrickt bei dem Anblick. Ein Glück, dass die Messer gut verpackt sind und ihre Hacken keine direkte Bekanntschaft mit ihnen machen mussten. Weil die Dame offenbar kein Englisch spricht, lächelt sie verlegen, verbeugt sich leicht und versucht die Situation damit zu bereinigen. Julia ist verwirrt. Was will die Frau mit so vielen Messern? Gibt es in Korea etwa keine scharfen Schneidwerkzeuge zu kaufen?

       KOREA SETZT AUF »MADE IN GERMANY«

      Messer der Firma Zwilling, in Korea ssangdungikal genannt, sind ein beliebtes Mitbringsel für ältere Koreaner. Obwohl heute fast alles in gleicher Qualität auch in Korea selbst hergestellt wird, hält sich beständig das Image von deutscher Wertarbeit. Bei allen sensiblen Bereichen wie Babynahrung, Hygieneartikel oder Kochzubehör gelten deutsche Produkte grundsätzlich als überlegen, was sich Koreaner wiederum einiges kosten lassen. Man sieht daher oft die notorischen koreanischen Reisegruppen bei der Rückreise mit riesigen Kartons voller Haushaltswaren, was unbedarfte Beobachter zur Annahme verleitet, es gäbe so etwas in Korea nicht.

      Auch deutsche Lebensmittel sind in Korea beliebt. Gut betuchte Koreaner lieben deutsche Bio-Kost aller Art, vom Müsli über Babymilch und eingelegte Gurken bis hin zu Dinkelschnitten und Karottensaft. Die Lebensmittelabteilungen der großen Kaufhausketten (Lotte, Hyundai, Shinsegae) bieten dementsprechend eine große Auswahl deutscher Produkte.

      Nach diesem Erlebnis verläuft der Flug zunächst ereignislos: Nur die einzigartig freundliche Begrüßung durch die makellos schönen Stewardessen fällt Julia auf. Als sie sich nach einigen Stunden Flug die Füße vertreten will, ist sie erneut erstaunt. Anstatt sich irgendwie einzukuscheln, wie sie es vergeblich versucht hat, schlafen die meisten Koreaner einfach mit dem Kopf auf dem ausgeklappten Tisch vor sich. Julia fällt ein, dass sie das schon von ihrer koreanischstämmigen Freundin Sonya in Deutschland gehört hat. Koreaner hätten kein Problem, auch an unbequemen Orten einzuschlafen, weil aufgrund des anstrengenden Lebens jede freie Minute für ein Nickerchen genutzt werden müsse. Julia hat ungeachtet der Begründung diese Fähigkeit für beneidenswert gehalten, jetzt, wo sie es aber realiter sieht, zweifelt sie, ob sie sich je daran gewöhnen können würde – und will. Noch faszinierender ist für Julia allerdings, dass zwischendrin die anderen, die nicht schlafen, wie wild auf allerlei technischen Geräten in den unterschiedlichsten Formen rumhämmern. Koreaner machen sich ihr On-Board-Entertainment offenbar selbst. Im Flugzeug sieht es denn auch vor lauter Flackern aus wie in einer zwielichtigen Spielhölle. Die Klapptischschlafenden lassen sich davon aber ganz offensichtlich nicht aus dem Konzept bringen.

      Obwohl der Geräuschpegel nicht allzu hoch ist, macht das ewige Geklicke und Geklacker Julia ganz kirre. Das Flugzeug auf dem Bildschirm, der anzeigt, wo man sich gerade befindet, kommt auch nicht recht voran: Seit Stunden scheint der Flieger über den Ural zu schweben. Sie kann jedenfalls nicht schlafen. Als sie im Heck des Flugzeugs ankommt, sieht sie die kleine Frau vom Flughafen wieder. Sie und ihre Reisegefährtinnen, allesamt recht rundliche Damen mit Korkenzieherlocken, sind völlig vertieft in Dehnübungen. Große kreisende Bewegungen gefolgt von gegenseitigem Hüftenklöppeln zur Entspannung. Julia ist fasziniert, auch davon, wie viele verschiedene Blumenmuster in Neontönen es offenbar in Korea zu kaufen gibt.

       MODETRENDS GESTERN UND HEUTE

      Korkenzieherlöckchen, nach dem englischen Wort für Dauerwelle, perm, auf Koreanisch pama genannt, sind eine kulturelle Ikone. Noch bis ins neue Jahrtausend hinein waren sie eine fast schon uniforme Frisur für alle verheirateten Frauen. Internationale Trends haben den Anblick dieser stahlwolleähnlichen Kurzhaarfrisuren leider mehr und mehr bedroht. Auf dem Land, bei sehr alten Damen und in Restaurantküchen sieht man sie jedoch noch öfter. Dort ist auch die für unsere Augen möglichst wilde Kombination von leuchtenden Farben und Mustern noch stark verbreitet. Bei den jüngeren Koreanern hingegen kommen die Trends inzwischen direkt aus Hollywood beziehungsweise aus Paris. Als »Paris Asiens« gilt Seoul nämlich inzwischen, vor allem deshalb, weil die Damen der Stadt sehr viel Modebewusstsein an den Tag legen und sich gerne schmücken. Denselben Damen begegnet man dann aber im Supermarkt um die Ecke im Schlabberlook mit ungekämmten Haaren und Hornbrille auf der Nase. Irgendwo muss man schließlich auch mal entspannen dürfen.

      Plötzlich wird der Vorhang zur Bordküche aufgerissen und auf Koreanisch sagt eine der Stewardessen leise etwas zu den umstehenden Damen. Wie auf Kommando werden die Übungen eingestellt und Hals über Kopf schiebt sich ein Teil des bunten Damensportteams in die enge Bordküche, einige trippeln aber auch zu ihren Plätzen und bringen auf dem Rückweg ihre Familienmitglieder mit. Im Handumdrehen hat sich das Flugzeugheck in einen koreanischen Markt verwandelt und Julia überlegt kurz, ob eine solche Verschiebung der Fluggäste Auswirkungen auf das Gleichgewicht des Fliegers haben kann. Als die ersten mit Instant-Nudelsuppen – und strahlenden Gesichtern – aus dem Heck zurückkommen, versteht Julia langsam. Nach und nach erwacht die gesamte koreanische Gästeschar aus dem Tischschlaf, pardon, Tiefschlaf, und schlurft wie in Trance ins Heck.

      Einer der älteren Herren hat wohl Julias Verwunderung registriert und bemerkt lässig: »Germany castle very good! Germany food – oh no! Korean power only when eat Korean noodles!«

      Das ist also das Geheimnis des koreanischen Wirtschaftswunders. Die berühmten ramyeon-Nudeln, in Deutschland besser bekannt unter dem japanischen Namen ramen, hat Julia schon oft probiert. Sie stellt sich also in die Reihe und ein älterer Mann bemerkt zweifelnd: »You eat ramyeon? Too spicy for westerner!« Na danke, denkt Julia, was hält der denn von mir. Klar kann ich ramyeon essen, so scharf sind die ja nun wirklich nicht. Als sie ihren Becher Nudelsuppe und die Stäbchen bekommt, reißt sie, wie sie das von ihrer Freundin zu Hause kennt, den Deckel auf, splittet die Holzstäbchen entzwei, gießt das heiße Wasser darauf und wartet, bis die Nudeln ordentlich durchgeweicht sind. Eine der Korkenzieherlockenträgerinnen hält ihr plötzlich die Stäbchen vors Gesicht und redet wie wild auf sie ein. Schon klar, schon klar, ich kann mit Stäbchen essen, denkt sich Julia nur und hält es gar nicht für nötig, das Thema weiter zu erörtern. Plötzlich sackt das Flugzeug