sind zwar rasch da, um alles aufzuwischen, aber Julia ist außer sich vor Scham und Sorge, ob sich jemand etwas getan hat.
Aigu! – Oh weh!
Eine der ersten Fragen, die man in Korea gestellt bekommt, ist, ob man scharfes Essen vertrage und das koreanische Nationalgericht kimchi, scharf eingelegten Chinakohl, essen könne. Ebenso beliebt ist die Frage, ob man mit Stäbchen essen könne – Julias Reaktion nach zu urteilen, hat sie diese wohl schon in Deutschland einige Male von Koreanern zu hören bekommen. Manchmal lohnt es sich aber, hinzuhören und nicht zu schnell rückzuschließen. Die Dame wollte sich nämlich nicht nach Julias Stäbchenfertigkeiten erkundigen, sondern ihr erklären, dass man im wankenden Umfeld des Flugzeugs, aber auch anderswo die Holzstäbchen, die noch halb zusammenstecken, nicht einfach auseinanderreißt, sondern sie als eine Art Verschluss zwischen Nudelbecherrand und Deckellasche einklemmt, sodass der Inhalt auch bei abrupten Stößen drinnen bleibt. Klingt nach einer Lappalie, aber wir haben ja soeben gesehen, wie sehr solche Kleinigkeiten helfen können. Immerhin wurde bei Julias erstem Test niemand verletzt.
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DIE ANKUNFT
BEGRÜSSUNG DURCH OPA TASCHENDIEB
Gerade noch den Hund gekrault, wird der Besitzer von ihm gebissen
Auf eine weitere Portion Nudeln hat Julia nach dem Schock keine Lust mehr. Stattdessen wartet sie jetzt brav aufs Frühstück. Als dann am Morgen ein westliches Frühstück mit Brot und Butter serviert wird, lassen viele Koreaner das Tablett unberührt wieder zurückgehen. Julia versteht das nicht. Man geht doch ins Ausland, um etwas Neues zu probieren. Ihre Nudeln bekommen sie doch früh genug wieder und von den ramyeon sind sie bestimmt nicht noch so voll, dass sie jetzt kein Brot vertragen. Sie jedenfalls wird in Korea nicht ein einziges Mal etwas Deutsches essen. So, das wäre beschlossen!
Nach dem Frühstück geht dann auch alles ganz schnell. Direkt nach Peking beginnen schon die Landevorbereitungen, die arrival cards werden ausgeteilt, die alle Ausländer ausfüllen müssen, die nach Korea einreisen.
Ein Visum hätte Julia für die Einreise gar nicht gebraucht, sie hätte als EU-Bürgerin auch 90 Tage visumsfrei bleiben können, aber vorbildlich, wie sie nun mal ist, hat sie ihr Studienvisum bereits in Deutschland beantragt. Das erspart ihr die Umwandlung des Besuchsvisums in ein Studienvisum in Korea selbst, denn sie will ja an einem Uniaustausch teilnehmen, der ein ganzes Semester dauert.
GANZ OBEN: KOREANISCHE AIRLINES
Es gibt zwei international bekannte koreanische Fluglinien: Korean Air und Asiana. Wem welche besser gefällt, ist in etwa eine Frage wie Cola oder Pepsi. Jedenfalls sind beide preislich wie qualitativ im gehobenen Bereich anzusiedeln. Bis vor einigen Jahren war die einzige Direktverbindung nach Korea aus dem deutschsprachigen Raum eine tägliche Verbindung von Frankfurt nach Seoul. Inzwischen wird aus Deutschland jedoch auch ab München nach Korea geflogen, eine Verbindung von Berlin aus ist seit Längerem im Gespräch.
Wer als FlugbegleiterIn für eine der koreanischen Airlines arbeiten will, muss sich anstrengen. Wenn die großen Airlines zum Casting rufen, kommen Hunderte, ja, Tausende. Universitätsabschluss ist Einstellungsvoraussetzung. Makelloses Auftreten und exzellente Manieren sind Pflicht. Diese strenge Selektion hat dazu geführt, dass koreanische Airlines regelmäßig Preise bei internationalen Awards für Kabinenservice abräumen. Für die Gründerfamilie von Korean Air gelten solche Qualitätsstandards leider nicht; ihre Manieren sind ausweislich zahlloser Skandale, u.a. der berühmten »Erdnussaffäre«, inzwischen über Korea hinaus bekannt – eine echt abgehobene Familie!
Am Flughafen Incheon angekommen, ist Julia völlig überwältigt, wie blitzblank alles ist und vor allem, wie schnell und effizient hier gearbeitet wird. Kein Vergleich zu Frankfurt. In wenigen Minuten ist sie durch die Einreisekontrolle, dabei hat sie nicht einmal die Schlange für voll automatisierte Einreise benutzt, wie viele Koreaner das machen, die vorher ihren Pass dafür haben freischalten lassen.
Sie ist nun also in Korea. Der Beamte am Schalter hatte ihr noch ein »Welcome to our country« mit auf den Weg gegeben. Auch das hatte sie bereits vorher gehört: Koreaner untereinander sprechen von ihrem Land schlicht als urinara, »unserem Land« und nicht von Korea. Schwuppdiwupp hat sie ihr Gepäck, die Tür geht auf und da stehen lauter Koreaner. Ja, jetzt ist sie wirklich da, jetzt ist urinara auch ihr Land. Durch die helle Ankunftshalle sucht sie den Weg zur Flughafenbahn. Alles ist selbsterklärend und Julia in völliger Hochstimmung.
Schnell eine Fahrkarte am Automaten gelöst und schon geht es mit der topmodernen Flughafenbahn ins Zentrum. Am Inlandsflughafen in Gimpo steigt sie um in die normale Seouler U-Bahn; auch modern, aber total überfüllt. Und mit dem Gepäck eigentlich auch keine rechte Freude.
Um möglichst wenig im Weg zu stehen, stellt sich Julia dicht vor eine der Sitzreihen, doch oh Schreck! Der ältere Mann vor ihr zerrt an ihrer Tasche, reißt sie ihr förmlich weg. Sie zerrt zurück, doch der Mann packt sie nun am Arm, will sie zu sich hinunterziehen. Julia ist völlig schockiert, schreit auf, guckt den Mann böse an und wechselt sofort in einen anderen Waggon. Dabei hatte sie gehört, dass Korea so ein sicheres Land sei. Besonders schockiert ist sie aber davon, dass offenbar niemand von dem Vorfall Notiz genommen hat. Zumindest hat niemand eingegriffen, um ihr zu helfen. So schnell ist der gute Eindruck vom Flughafen wieder kaputt, da können die Beamten ihr noch tausend Mal ein Willkommen zusäuseln, wenn das gleich so losgeht! Das ist nun wirklich nicht ihr Land.
Aigu! – Oh weh!
Was Julia hier nicht bedacht hat: Der bei uns meist etwas despektierlich als asiatischer »Kollektivismus« bezeichnete Gemeinschaftssinn der Koreaner, der bei unseren Protagonisten noch mehrfach für Missverständnisse sorgen wird, hat auch seine guten Seiten, denn in Korea fühlen sich alle irgendwie zusammengehörig und füreinander verantwortlich, eben urinara. So war auch in der U-Bahn der ältere Mann natürlich kein Taschendieb und kein Belästiger. Sein Zerren war lediglich eine typische Geste des koreanischen Gebens und Nehmens: Im Gegenzug dafür, dass er als alter Mensch einen Sitzplatz in der überfüllten U-Bahn hat und die schwer bepackte Frau stehen muss, wollte er nur helfen, indem er zumindest ihre Tasche auf seinen Schoß nimmt. In Korea wurde da früher nicht groß gefragt, sondern beherzt zugegriffen. Der Mann wusste nicht, dass die Ausländerin die freundliche Geste falsch deutet. Er hat wohl gedacht, die junge Dame ziert sich aus Respekt vor dem Alter, ihm die Tasche aufzuladen, also wurde er etwas rabiater, um ihr die Entscheidung leichter zu machen.
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IM MOTEL
GROSSSTADT-TARZAN VERDURSTET IM REGENWALD
Die kleinsten Chilischoten sind die schärfsten
Auch Nico ist inzwischen angekommen. Sein Flug war weniger ereignisreich. Viel mitbekommen hat er ohnehin nicht, denn die Nacht vor dem Abflug hatte er mit seinen Freunden feiernd verbracht, sodass ihm der Schädel noch jetzt ganz schön brummt. An den fauligen Geruch, auf den er eigentlich achten wollte, denkt er auch nicht mehr. Stattdessen steigt er gleich ins Deluxe-Taxi und lässt sich vom englischsprachigen Fahrer in das Viertel bringen, das ihm zuvor die freundliche Dame aus seinem Praktikumsbüro für eine erste Unterkunft empfohlen hat. Dabei muss er das Taxi nicht mal mit ausgestrecktem Arm und Handfläche nach unten heranwinken, wie es ihm sein Vater gesagt hat, denn die Taxen stehen auf dem Flughafen natürlich nur so Schlange. Die Dame aus dem Büro hat den Namen des Viertels auch gleich auf Koreanisch aufgeschrieben, sodass Nico nur auf die Silben zeigen muss: Sin-chon. Sie meinte damit das Universitätsviertel und zum Glück hat sich das der