Nadine Luck

Fettnäpfchenführer Weihnachten


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SCHMUCK BIS IN DIE SPITZE

       Früher war mehr Lametta

       18 DER SOUNDTRACK DER STILLEN NACHT

       Weihnachtslieder von Weihnachtsbäckerei bis Wham!

       19 WER INS WOHNZIMMER KOMMEN DARF

       Christkind versus Weihnachtsmann

       20 VON KUCHEN UND FLUCHEN

       Weihnachtsbesuch in Schwiegermutterhausen

       21 ENTE GUT, ALLES GUT

       Vom Festtagsgelage

       22 IST ES TATSÄCHLICH … LIEBE?

       Helene und das Fernsehen an den Feiertagen

       23 GOLD, WEIHRAUCH UND MYTHOS

       Magischer Besuch aus dem Morgenland

       24 DER CHRISTBAUM BLEIBT

       Warum bis 2. Februar Weihnachten ist

       Für Antonia und Valentin – frohe Weihnachten!

      1

       WIE ALLES BEGANN …

       WARUM WEIHNACHTEN?

      Gurian ist euphorisch. Zugleich ist ihm speiübel. Er atmet tief ein und aus, ein und aus. Dann entdeckt er das schwach beleuchtete Display vor sich, ganz unten an der Wand, die er im Dunklen ertastet hat. Er bückt sich und gibt die PIN ein: »2226« – damit er nicht vergisst, woher er kommt, wie Professor Zilius gewitzelt hat.

      Es klappt.

      Die Tür öffnet sich. Wahnsinn! Gurian schreitet im Bewusstsein aus der Zeitkapsel, gut 200 Jahre in die Vergangenheit gereist zu sein. Jünger fühlt er sich allerdings nicht, im Gegenteil – jeder einzelne seiner 31 Jahre alten Knochen schmerzt. Aber gut, es war eine extreme Reise. Er betrachtet die Kapsel noch mal von außen: Sie sieht tatsächlich wie ein verplombter Müllcontainer aus, was für eine gute Tarnung! Gurian prägt sich den Standort genau ein, immerhin muss er in ein paar Wochen zurückkommen. Dann erinnert er sich, dass da ja noch Geld sein müsste. Er betritt die Kapsel erneut, entdeckt den Rucksack mit den vielen Euro-Münzen und -Scheinen – die Währung der Menschen in der Epoche, in der er sich jetzt befindet. Er schultert das Gepäck. Nun geht es los.

      Ihm fällt als Erstes auf, dass es anders riecht als 200 Jahre später. Extremer. Gurians Bauch schmerzt, ihm ist schwindelig. Nochmals tief durchatmen.

      Leise ist es. Da sind weder Drohnen noch Roboter auf Botengängen unterwegs, keine Flugautos, die durch die Lüfte düsen. Elektronische Stimmen sind auch nicht zu hören. Langsam durchschreitet Gurian den Hinterhof der Universität, in der seine Zeitreise mehr als 250 Jahre lang organisiert wird. Mit einer Hand umschließt er seinen Brustbeutel. Darin stecken die Beweise für seine Identität, die er seiner Familie aus der Vergangenheit vorlegen wird: einer der Eheringe der Hollerbachs und das inzwischen vergilbte Familienfoto, auf dem sie mit ihren drei Kindern zu sehen sind. Er wird auf seiner Mission die Menschen, die aus Sicht der Zukunft bereits mehr als 100 Jahre tot sind, zum Leben erwecken, mit ihnen sprechen, sie kennenlernen – sofern sie das zulassen. Hoffentlich glauben sie ihm!

      Die Halloween-Nacht erschien Professor Zilius äußerst geeignet für Gurians Ankunft in der Vergangenheit, immerhin ist es das größte Familien- und Freundesfest im Jahreskalender. Da würden ihm doch die Verwandten nicht die Tür vor der Nase zuschlagen?

      Gurian kennt den Weg zu ihrem Haus, die Straße existiert auch noch in 200 Jahren. Die Flugtaxistation gleich an der Universität gibt es leider noch nicht, aber er hat auch gar nichts dagegen, auf einem Spaziergang die Gegend zu inspizieren. Die Gebäude sehen sehr einfach aus. An den Fassaden sind keine Werbescreens zu sehen. An Fenstern und Balkonen ist keine opulente Halloween-Kulisse angebracht, Gurian sieht nur ab und zu ein paar Kürbisse mit eingeschnitzten Fratzen vor den Türen stehen. In den ausgehöhlten Gewächsen scheinen Kerzen zu flackern. Gut 200 Jahre später würden an denselben Stellen als Deko gruselige Geisterschiffe in Originalgröße zu sehen sein, die um die Häuser zu segeln scheinen und deren Besatzungen jeden, der an die Tür klopft, erst einmal mit schaurigem Gesang begrüßen. Sehr minimalistisch ist das alles hier, in der Vergangenheit. Gurian war auch noch nie in solch einer dunklen Stadt unterwegs, dabei befindet er sich gar nicht im tiefsten Mittelalter.

      Endlich steht er vor dem Haus der Hollerbachs. Der Moment, vor dem er solchen Respekt hatte, ist gekommen: Er würde seine Familie sehen – seine Familie, die längst tot ist. Und er muss sich als der Verwandte vorstellen, der noch lange nicht geboren und dennoch schon 31 Jahre alt ist. Professor Zilius hat recht: Die Nacht der lebenden Toten eignet sich tatsächlich bestens für den Start seiner Mission.

      Das Mädchen macht auf – Sophie.

      »Das ist ein tolles Kostüm«, sagt sie mit Blick auf seine metallene Jacke, deren Stimmrekorder hier, in der Vergangenheit, nutzlos sein dürfte. »Du kannst eine Praline haben.« Sie hält ihm einen Teller voller Schokoladenbonbons hin. »Du bist der erste Erwachsene, der klingelt. Sonst waren nur Kinder da.«

      »Das ist nett«, sagt Gurian. »Aber dürfte ich zuerst deine Eltern sprechen?«

      »Äh … «, wundert sich das Mädchen und ruft nach der Mutter.

      »Kann ich Ihnen helfen?«, fragt Annette, die herangeeilt kommt und das Mädchen an sich zieht. Sie sieht Gurian neugierig an. Bemerkt sie bereits eine Ähnlichkeit? Etwa die smaragdgrünen Augen, die sie und ihre Kinder haben – genau wie Gurian? Das jedenfalls entdeckte Professor Zilius als Erstes, als er das Familienfoto der Hollerbachs sah.

      »Frau Hollerbach, es klingt verrückt …«, fängt Gurian an. Und als Jürgen dazukommt, umreißt er in wenigen Sätzen seine Mission und holt schließlich die Beweise hervor. Er zeigt ihnen den Ehering, den er geerbt hat. »A & J, 23. Juli 2009« ist eingraviert.

      »Wo haben Sie den denn her?«, fragt Jürgen. Er hat ihn verlegt und weiß nicht, wo. Annette und er hatten schon Streit deswegen.

      Gurian weiß auch nicht, wo Jürgen ihn verloren hat – doch: Seine Großmutter hat ihn gehabt, als Erbstück ihrer Eltern, also muss er offenbar in der Vergangenheit, die jetzt noch Zukunft ist, wieder aufgetaucht sein. Gerne gibt er ihn zurück. Dann holt er das Foto heraus.

      Annette reißt es ihm aus der Hand. Darauf sind sie und Jürgen und drei Kinder zu sehen. »Warum sind da drei Kinder drauf?«, fragt sie, und ihre Stimme bricht ab.

      »Na, Sie mit Ihren drei Kindern eben …«, sagt Gurian. »Eins hat mir doch die Tür auf…«