Michael Kater

Kultur unterm Hakenkreuz


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Freundin des 1930 von Mitgliedern des Rotfrontkämpferbunds umgebrachten SA-Manns und NS-Helden Horst Wessel, erhielt sie Berufsverbot und ging in die Schweiz. Nicht nur Kuhle Wampe, auch viele weitere in der Republik produzierte Filme wurden verboten; entweder galten Thema oder Stil als inakzeptabel oder führende Beteiligte als Juden. Fritz Langs Das Testament des Dr. Mabuse (1933) wurde beispielsweise abgelehnt, weil es den Zensoren zu expressionistisch war, ganz abgesehen davon, dass Langs »Ahnenreihe« nicht überzeugte. Nach dem Januar 1933 wurden diverse Sondergesetze zur Ermöglichung von Verboten erlassen. Das wichtigste war das Lichtspielgesetz vom 16. Februar 1934, das eine allumfassende Filmzensur vorsah.46

      In einem kulturellen Milieu, das auf einer Skala von eins bis zehn Richard Wagner auf die Zehn und Jazz sowie atonale Musik auf die Eins setzte, standen die Überlebenschancen für traditionelle Musik gut, für die meisten Werke der Moderne dagegen schlecht. Das galt insbesondere für konsequent atonale Kompositionen wie die von Schönberg und dessen Schüler Alban Berg. Die Nationalsozialisten begingen allerdings den Fehler, die Atonalität mit jeglicher Form von »Katzenmusik« in einen Topf zu werfen, worunter sie nicht nur Jazz, sondern auch moderne, wenngleich nicht zwölftönig komponierte Stücke wie die von Paul Hindemith oder Hermann Reutter verstanden. Noch im Januar 1938 sprach sich Goebbels wegen dessen vermeintlich atonaler Kompositionen gegen Reutters Anstellung im Frankfurter Konservatorium aus, die Bernhard Rust, Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, ins Auge gefasst hatte. (Der Konflikt zwischen zwei Ministern war typisch für die heterogenen Regierungsstrukturen im sogenannten Dritten Reich. Im Kulturbereich war zumeist Goebbels der Sieger; auf diese ungewöhnliche Kompetenzenkonstellation in Hitlers Regierungsmodell werden wir in Kapitel 2 näher eingehen.)47 Was Berg betraf, so stießen sich die Nazis nicht nur an der Atonalität seiner Oper Wozzeck, sondern auch an deren gesellschaftlicher Botschaft, in der sich humanitäre Impulse der Nachkriegszeit widerspiegelten. Ablehnung erfuhr auch Bergs andere Oper, Lulu, die Geschichte einer sexuell freizügigen Frau. Aufgrund einer Berliner Aufführung von Orchester-Auszügen musste Erich Kleiber, ursprünglich kein Gegner der Nationalsozialisten, Deutschland verlassen. Auch andere Musiker wichen gezwungenermaßen ins Ausland aus, während weitere, nachdem sie ihre Anstellung bei einem Opernhaus oder einem Orchester verloren hatten, sich irgendwie durchzuschlagen suchten. Zu Ersteren gehörten Paul Hindemith und Vladimir Vogel, ein moderner, aber nicht atonaler Komponist, der jedoch als solcher gebrandmarkt wurde. Alban Berg starb am Weihnachtsabend 1935 in seiner Heimatstadt Wien an einer durch einen Bienenstich ausgelösten Infektion.48

      Eine letzte Opernaufführung à la Weimar gab es am 12. Februar in der Berliner Staatsoper. Monatelange Proben waren ihr vorausgegangen, und ihre Schöpfer gehörten sämtlich der Avantgarde an: Regisseur war Jürgen Fehling, das Dirigat hatte Otto Klemperer, das Bühnenbild stammte von Oskar Strnad. Gegeben wurde Wagners Tannhäuser, dessen in Teilen surreale Interpretation sich gegen Bayreuth und den von Wagners farblosem Sohn Siegfried dort gepflegten, von den Nationalsozialisten geschätzten Stil richtete. Aber Klemperer und Strnad waren Juden und beide verließen das Land. Klemperer ging in die USA und Strnad in seine Heimat Österreich, wo er 1935 starb. Fehling dagegen blieb in Berlin und arrangierte sich mit dem Regime.49

      Musik wurde dem Publikum nach wie vor häufig über den Rundfunk zu Gehör gebracht. Dessen Struktur und Inhalt wurden nun gravierenden Änderungen unterworfen. Bis zu ihrer Machtergreifung hatten die Nationalsozialisten den Wert des Radios als Propagandainstrument noch nicht in vollem Umfang realisiert, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen hatte Hitler nach seiner Haft in Landsberg 1924 nur begrenzte Möglichkeiten zur öffentlichen Ansprache, weil die Genehmigung seiner Auftritte den Zensurbehörden der jeweiligen deutschen Länder oblag. Einer Präsenz im Radio war das nicht förderlich. Zum anderen war der Rundfunk eine Schöpfung der Weimarer Republik und in Funktion und Idee daher aufs Engste mit ihr verbunden, weshalb Propagandaexperten der NSDAP wie Goebbels ihm mit Misstrauen begegneten.50

      Das änderte sich mit der Machtergreifung. In einer am 18. August 1933 gehaltenen Rede versicherte Goebbels seinen Gefolgsleuten, das Radio sei ein ausgezeichnetes Instrument zu politischer Kontrolle und müsse daher in den Dienst des »Führerprinzips« gestellt werden. Doch zuvor seien die Missbräuchlichkeiten des alten Personals – Korruption, Pfründenwirtschaft, aufgeblähte Gehälter – zu beseitigen, von inhaltlichen Änderungen gar nicht zu reden.51 Die nun einsetzenden Säuberungen zielten vor allem auf das Führungspersonal, darunter die Intendanten fast aller lokalen Sender der früheren deutschlandweiten Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG). Einige von ihnen wie der Begründer des deutschen Rundfunks Hans Bredow wurden nach der Entlassung vor Gericht gestellt; andere wählten den Freitod.52 Ernst Hardt, der den Westdeutschen Rundfunk in Köln leitete, hatte schon als Intendant des Nationaltheaters in Weimar Erfahrungen mit Angriffen von rechts gesammelt. Wie viele seiner Kollegen war er ein aufrechter Sozialdemokrat. Obwohl seine Gefängnishaft in Köln nur ein paar Tage währte, stand er danach mittellos da und suchte Zuflucht bei seiner verheirateten Tochter in Berlin.53

      Goebbels, der seit seiner Ernennung zum Minister für Volksaufklärung und Propaganda im März 1933 durch Hitler offiziell für alle Aspekte des Rundfunks Verantwortung trug, sorgte neben den personellen Säuberungen auch im Programm für Veränderungen. Zunächst nahm er sich die moderne Musik vor: »Niggerjazz« erhielt Sendeverbot. Darunter fielen Stücke von jüdischen oder – in NS-Diktion – halb-jüdischen Komponisten ebenso wie einige ausländische Kompositionen. Stattdessen sollte die Musik »deutscher Komponisten« in den Vordergrund rücken. Insbesondere die Werke Beethovens galten als starkes Gegengift »zum Dissonanzensport, zur Unzucht der Harmonie und zum Chaos der Form«.54

      Mit einer Mischung aus paramilitärischen Gewaltmaßnahmen und gesetzlichen Regelungen wurde außerdem die Presse in die Knie gezwungen. Zuerst nahm man die linksorientierten Zeitungen aufs Korn: den Vorwärts der SPD und die Rote Fahne der KPD. Die gewaltsamen Ausschreitungen erhielten durch ein Notstandsgesetz vom 4. Februar 1933 den Anschein von Legalität, und im März waren alle linken Presseorgane ausgeschaltet.55 In kurzer Folge fielen auch viele Zeitungen und Zeitschriften der bürgerlichen Mitte dem Regime zum Opfer, ebenso die konfessionellen Blätter. Sie wurden direkt verboten, mussten fusionieren oder wurden auf Linie gebracht. Hatte es im Januar 1933 noch mehr als 3000 Zeitungen gegeben, waren es vier Jahre später nur noch an die 2000. In vielen Fällen wurden nicht nur die Beschäftigten der alten Redaktionen entlassen oder inhaftiert, sondern auch Gebäude und andere Vermögenswerte konfisziert oder von Unternehmen der Partei für Summen erworben, die weit unter dem Marktpreis lagen. Auf die Notverordnungen vom Frühling und Frühsommer folgte am 4. Oktober das sogenannte Schriftleitergesetz, in dessen Paragraf 5 Entlassungskriterien formuliert waren: ein nicht-»arischer« Stammbaum sowie Defizite mit Blick auf »die Aufgabe der geistigen Einwirkung auf die Öffentlichkeit«.56

      Einige Fallbeispiele zeigen das Ausmaß der Umwälzungen und Gewalt gegen Presseorgane und des damit verursachten menschlichen Leids. Die SA stürmte den Hauptsitz der sozialdemokratischen Münchener Post, schlug alles kurz und klein und verhaftete alle, denen die Flucht nicht gelungen war. Auch die ebenfalls in München ansässige katholische Wochenzeitung Der gerade Weg, die schon vor 1933 in Gegnerschaft zu den Nationalsozialisten gestanden hatte, wurde heimgesucht und der Herausgeber, Franz Gerlach, gleich vor Ort schwer misshandelt und später in Dachau ermordet. In den Räumen der bildungsbürgerlichen Frankfurter Zeitung, einer Hauptvertreterin liberal-konservativer Anschauungen in der Weimarer Republik und berühmt für ihr Feuilleton, tauchten bereits am 31. März 1933 Polizisten auf und verhafteten einige Redakteure. Dadurch wurden die (zu der Zeit noch jüdischen) Eigner eingeschüchtert, und die Frankfurter Zeitung geriet zum Paradeblatt der Nationalsozialisten. Die Neue Badische Landeszeitung aus Mannheim wurde am 1. März 1934 verboten, wahrscheinlich aufgrund einer Denunziation durch einen den Nazis nahestehenden Mitarbeiter. Der leitende Redakteur, Heinrich Rumpf, versuchte noch eine Zeit lang, in einer Leihbibliothek zu arbeiten, beging dann aber Suizid.57

      Für die Künste galten andere Bedingungen als für Presse und Rundfunk, weil die Kunstschaffenden als Individuen unabhängiger waren. In der Architektur zum Beispiel konnten nur Architekten entlassen werden, die institutionell gebunden waren: in der Verwaltung, in Lehreinrichtungen, in staatlichen oder regimeeigenen Unternehmen. Selbstständig Tätige bezogen ihr Einkommen aus Aufträgen und konnten in Deutschland