Klaus Pohl

Basiswissen Requirements Engineering


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Die Bedeutung der Stakeholder

      Stakeholder (Interesseneigner) ist einer der zentralen Begriffe im Requirements Engineering. Stakeholder dienen u.a. als wichtigste Quellen für Anforderungen, und das Übersehen eines Stakeholders hat häufig zur Konsequenz, dass die ermittelten Anforderungen an das System lückenhaft sind [Macaulay 1993]. Stakeholder sind also alle diejenigen Personen oder Organisationen, die Anforderungen in irgendeiner Weise beeinflussen. Das können natürliche Personen sein, die das System später nutzen werden (z.B. Nutzer oder Administrator), und natürliche Personen, die Interesse an dem System haben, es aber nicht nutzen werden oder sollen (z.B. das Management oder Hacker, vor denen man das System schützen muss). Stakeholder können aber auch juristische Personen oder Institutionen sein, die allerdings durch natürliche Personen vertreten werden müssen, die die Anforderungen des betrachteten Systems beeinflussen bzw. definieren können.

      Definition 1–2: Stakeholder (Interesseneigner)

      Ein Stakeholder ist eine Person oder Organisation, die Einfluss auf die Anforderungen des Systems hat oder auf die das System Auswirkungen hat.

      Übersetzt aus [IREB-Glossar 2020]

      Anforderungen werden für eine Vielzahl von Dingen erhoben, die im Requirements Engineering häufig alle vereinfacht als Systeme bezeichnet werden. Hierzu zählen:

       Dem Kunden zur Verfügung gestellte ProdukteHierunter werden häufig klassische Softwaresysteme verstanden, die an den Kunden ausgeliefert werden. Daneben finden sich vermehrt Systeme mit einem Softwareanteil, die aber auch Hardware oder mechatronische Bestandteile umfassen.

       Dem Kunden zur Verfügung gestellte DienstleistungenNeben den zuvor angesprochenen Systemen, die als Produkt an den Kunden ausgeliefert werden, zählen hierzu beispielsweise Services, die zur Verfügung gestellt werden.

       Andere ArbeitsergebnisseNeben Softwareprodukten und Dienstleistungen können Stakeholder aber auch Anforderungen an andere Systeme definieren. Dies können u.a. Arbeitsprodukte, Geräte, Hardwarebauteile oder beliebige Subsysteme oder Komponenten eines Systems umfassen, die benötigt werden, um ein bestimmtes Ziel der Stakeholder zu erreichen.

       Zusammensetzungen oder Bestandteile der oben genannten Dinge. Also beispielsweise Komponenten oder sonstige Zulieferungen für Systeme des Kunden.

       Ziel des Requirements Engineering

      Dem Requirements Engineering im Entwicklungsprozess kommt die Aufgabe zu, die Anforderungen der Stakeholder zu ermitteln, zweckmäßig zu dokumentieren, zu überprüfen und abzustimmen sowie die dokumentierten Anforderungen über den gesamten Lebenszyklus des Systems hinweg zu verwalten.

      Definition 1–3: Requirements Engineering

      Das Requirements Engineering ist ein systematischer und disziplinierter Ansatz zur Spezifikation und zum Management von Anforderungen mit dem Ziel, die Wünsche und Bedürfnisse der Stakeholder zu verstehen und die Gefahr zu minimieren, ein System auszuliefern, das diese Wünsche und Bedürfnisse nicht erfüllt.

      Übersetzt aus [IREB-Glossar 2020]

      Im Allgemeinen unterscheidet man zwischen drei Arten von Anforderungen:

        Funktionale Anforderungen

        Qualitätsanforderungen

        Randbedingungen (Constraints)

      Funktionale Anforderungen legen die Funktionalität fest, die das geplante System zur Verfügung stellen soll. Sie werden typischerweise in Funktions-, Verhaltens- und Strukturanforderungen unterteilt.

      Definition 1–4: Funktionale Anforderung

      Eine funktionale Anforderung ist eine Anforderung bezüglich des Ergebnisses oder des Verhaltens, das von einer Funktion des Systems bereitgestellt werden soll.

      Übersetzt aus [IREB-Glossar 2020]

      Qualitätsanforderungen legen gewünschte Qualitäten des zu entwickelnden Systems fest und beeinflussen häufig – in größerem Umfang als die funktionalen Anforderungen – die Gestalt der Systemarchitektur. Typischerweise beziehen sich Qualitätsanforderungen auf die Performance, die Verfügbarkeit, die Zuverlässigkeit, die Skalierbarkeit oder die Portabilität des betrachteten Systems.

      Definition 1–5: Qualitätsanforderung

      Eine Qualitätsanforderung ist eine Anforderung, die sich auf ein Qualitätsmerkmal bezieht, das nicht durch funktionale Anforderungen abgedeckt wird.

      Übersetzt aus [IREB-Glossar 2020]

       Zusammenhang zwischen funktionalen Anforderungen und Qualitätsanforderungen

      Qualitätsanforderungen stehen häufig mit verschiedenen funktionalen Anforderungen in Beziehung. Qualitätsanforderungen können etwa funktionale Anforderungen weiter konkretisieren oder ihre Umsetzung wird durch funktionale Anforderungen beschrieben. Dennoch empfiehlt es sich, Qualitätsanforderungen und funktionale Anforderungen getrennt voneinander zu spezifizieren. Zudem sollte der Bezug von Qualitätsanforderungen und funktionalen Anforderungen nachvollziehbar dokumentiert werden, um eine größtmögliche Nachvollziehbarkeit zu erreichen.

      In der Praxis werden die Qualitätsanforderungen eines Systems häufig nur unzureichend dokumentiert und zwischen Stakeholdern abgestimmt. Dies gefährdet den Projekterfolg oder die spätere Akzeptanz des entwickelten Systems erheblich. Der Requirements Engineer sollte daher im Entwicklungsprozess eines Systems möglichst frühzeitig besonderes Augenmerk auf die Ermittlung, Dokumentation und Abstimmung der Qualitätsanforderungen legen.

      Typischerweise werden sehr unterschiedliche Qualitäten eines Systems der Anforderungsart »Qualitätsanforderung« zugeordnet. Um auf strukturierte Art und Weise mit den Qualitätsanforderungen eines Systems umgehen zu können, wurden verschiedenste Kategorisierungen von Qualitätsanforderungen vorgeschlagen. Beispielsweise schlägt der Standard [ISO/IEC 25010:2011] eine Kategorisierung für Qualitätsanforderungen vor, die als Standardstruktur für die Dokumentation von Qualitätsanforderungen und als Checkliste zur Ermittlung und Überprüfung von Qualitätsanforderungen dienen kann. Typische Kategorien dieses Standards sind:

       Anforderungen, die die Leistung des Systems definieren, insbesondere das Antwortzeitverhalten und der Ressourcenverbrauch.

       Anforderungen, die die Sicherheit des Systems definieren, beispielsweise die Nachweisbarkeit, Authentizität, Vertraulichkeit und Integrität, aber auch der Schutz des Nutzers vor körperlichen Schäden.

       Anforderungen, die die Zuverlässigkeit der Funktionalität des Systems definieren, insbesondere in Bezug auf Verfügbarkeit, Fehlertoleranz und Wiederherstellbarkeit.

       Anforderungen, die die Benutzbarkeit des Systems definieren, insbesondere in Bezug auf Barrierefreiheit, Erlernbarkeit und Bedienbarkeit.

       Anforderungen, die die Änderbarkeit (Wartbarkeit) des Systems definieren, insbesondere in Bezug auf die Wiederverwendbarkeit, Analysierbarkeit, Modifizierbarkeit und Prüfbarkeit.

       Anforderungen, die die Übertragbarkeit des Systems definieren, insbesondere in Bezug auf Anpassbarkeit, Installierbarkeit und Austauschbarkeit.

      Anforderungen einiger der o.g. Kategorien werden vorherrschend für einzelne Funktionen definiert (z.B. Leistung, Zuverlässigkeit), andere meist für das gesamte System gefordert (z.B. Änderbarkeit, Übertragbarkeit). Qualitätsanforderungen werden gegenwärtig meist in natürlicher Sprache formuliert, da eine formalere Beschreibung nur mit viel Aufwand und Expertise durchgeführt werden kann. In einigen Fällen, beispielsweise bei der Entwicklung sicherheitskritischer Systeme, werden aber auch formalere