ist, dass diese Völkerschaften zum Stehlen eine ganz andere Einstellung haben als wir. Sehr wahrscheinlich finden sie es nicht entehrend, einem anderen etwas wegzunehmen, jedoch wissen sie ganz genau, dass sie Unrecht begehen, da sie ja allemal gleich nach verübter Tat die Flucht ergreifen. Dies deutet darauf hin, dass sie eine Bestrafung fürchten. Diese Strafe, in einem angemessenen Verhältnis zum Vergehen, wäre auch ihnen zuteilgeworden, wenn wir uns noch längere Zeit auf der Insel aufgehalten hätten, denn unsere allzu große Nachsicht trug uns ersichtlich nur Ärger ein.
Keiner, der neuere Reiseberichte gelesen hat, wird die Bewohner der Südseeinseln für Wilde halten. Sie haben ganz im Gegenteil in der Zivilisation große Fortschritte gemacht; ich halte sie für so verdorben, wie sie in Anbetracht ihrer Lebensumstände nur sein können. Mein Urteil gründet sich nicht darauf, dass sie uns zu wiederholten Malen bestahlen, sondern auf die Art und Weise, wie sie sich bei diesen Diebstählen verhielten. Die abgefeimtesten Gauner bei uns in Europa sind keine so argen Heuchler wie die Bewohner der Osterinsel. Alle ihre Schmeicheleien und Zärtlichkeiten waren Verstellung. Ihr Mienenspiel drückte kein einziges Mal echtes Gefühl aus, und unter allen Indianern durften wir denen am wenigsten trauen, die wir gerade beschenkt hatten und die mit Feuereifer taten, als wollten sie sich mit tausend kleinen Gefälligkeiten revanchieren.
Sie packten Mädchen von dreizehn bis vierzehn Jahren und schleppten sie, in der Hoffnung auf einen guten Lohn, bis zu uns. Die jungen Indianerinnen sträubten sich so sehr, dass deutlich genug zu sehen war, wie hier das Gesetz des Landes verletzt wurde. Übrigens machte kein Franzose von dem barbarischen Recht, das man ihm nahelegte, Gebrauch. Wenn die natürlichen Triebe gestillt wurden, dann nur mit dem Einverständnis der einheimischen Frauen, und stets taten die den ersten Schritt.
Die Meeresküste um die Insel scheint nicht besonders reich an Fischen zu sein. Ich glaube, die Bewohner der Osterinsel nähren sich fast alle von pflanzlicher Kost. Sie leben von Süßkartoffeln, Jamswurzeln, Bananen, Zuckerrohr und von einer kleinen Frucht, die unweit der Küste auf den Felsen wächst und mit den Trauben Ähnlichkeit hat, die man am Ufer des Atlantik auf der Höhe des Wendekreises sieht. Hühner sind sehr selten und als Nahrungsmittel allenfalls eine Zutat. Die Mitglieder unserer Expedition erblickten keinen einzigen Landvogel, und auch die Seevögel waren nicht zahlreich vertreten. Der Feldbau wird mit viel Einsicht betrieben. Die Insulaner rupfen Gras aus, zerstückeln und verbrennen es und düngen mit der Asche ihre Felder. Ihre Bananenbäume pflanzen sie nach der Schnur. Sie bauen auch Solanum an; zu welchem Zweck, konnte ich nicht in Erfahrung bringen. Hätte ich feuerfeste Gefäße bei ihnen bemerkt, so würde ich annehmen, dass sie es, wie die Bewohner von Madagaskar und Île-de-France, anstelle von Spinat kochen. Zurzeit scheint ihnen jedoch noch keine andere Art bekannt zu sein, Speisen zuzubereiten, als die, der man auch auf den Gesellschaftsinseln begegnet: Sie graben ein Loch in die Erde, tun Süßkartoffeln oder Jamswurzeln hinein, decken das Loch mit glühenden Steinen oder mit Kohle zu, unter die sie Erde gemischt haben. So kommen alle ihre Gerichte weich und gar wie aus einem Backofen.
Mein Schiff maßen sie mit der äußersten Sorgfalt aus. Dies bewies mir, dass sie nicht als unvernünftige Geschöpfe an die Erzeugnisse unseres Kunstfleißes herangehen. Sie prüften unser Tauwerk, unsere Anker, unseren Kompass, unser Steuerrad. Tags darauf kamen sie wieder und brachten eine Schnur mit, um alles noch einmal gehörig auszumessen. Offenbar hatten sie an Land über unser technisches Gerät diskutiert, und es waren ihnen einige Zweifel gekommen. Sie verloren meine Sympathie gerade darum, weil sie mir des Nachdenkens fähig scheinen. Ich bot ihnen Gelegenheit, eine Betrachtung anzustellen, die sie sich vielleicht erspart haben; die Betrachtung nämlich, dass wir uns ihnen gegenüber unserer weit überlegenen Kräfte kein einziges Mal bedient haben. Dass sie sich unserer Überlegenheit bewusst waren, konnte man daraus ersehen, dass sie auf der Stelle davonrannten, wenn einer von uns seine Flinte auf sie anlegte. Wir gingen bloß deswegen vor ihrer Insel vor Anker, weil wir ihnen Gutes erweisen wollten. Wir beschenkten sie reichlich und behandelten geradezu zärtlich alle schwachen und hilflosen Inselbewohner, besonders die kleinen Kinder, die von ihren Müttern noch gestillt wurden. Wir pflanzten auf ihren Feldern die verschiedenartigsten Nutzpflanzen und ließen in ihren Hütten Schweine, Ziegen und Lämmer zurück, die sich wahrscheinlich bald vermehren werden, wir verlangten für all dies keine Gegenleistung. Dennoch bewarfen sie uns mit Steinen und stahlen alles, was sie nur fortschleppen konnten.
8Die Insel Mauritius im Indischen Ozean, die bis 1814 in französischem Besitz war.
9Die viel untersuchten steinernen Moais.
FÜNFTES KAPITEL
Nachdem ich die Cook Bay auf der Osterinsel am 10. April gegen Abend verlassen hatte, richtete ich meinen Kurs gen Norden, doch so, dass ich immer längs der Küste der Insel hinsteuerte, die wir die ganze Nacht hindurch bei hellem Mondschein ungefähr eine Meile weit von uns liegen sahen. Wir verloren sie erst am anderen Nachmittag gegen zwei Uhr, nachdem wir uns zwanzig Meilen weit von ihr entfernt hatten, aus den Augen. Bis zum 17. wehte der Wind anhaltend aus Südosten. Während dieser Zeit war fast kein Wölkchen am Himmel zu sehen, auch trübte er sich erst, als der Wind nordostwärts drehte. Wir fingen zahlreiche Bonitos, die unseren Fregatten bis zu den Sandwich-Inseln10 unaufhörlich nachschwammen und uns während eines Zeitraums von eineinhalb Monaten täglich eine vollständige und köstliche Mahlzeit boten. Die Fischkost trug nicht wenig dazu bei, dass wir allesamt in bester körperlicher Verfassung waren. Auf einer nun schon zehn Monate dauernden Fahrt mit nicht mehr als fünfundzwanzig Rasttagen war nur ein einziger Mann krank geworden. Dieser Umstand ist umso bemerkenswerter, als wir unbekannte Gewässer durchsegelten. Unser Weg verlief nahezu parallel zu dem, den Kapitän Cook im Jahr 1777 einschlug, als er von den Gesellschaftsinseln aus die Nordwestküste Amerikas ansteuerte, nur hielten wir uns annähernd achthundert Meilen weiter gegen Ost. Ich hoffte, dass es mir auf einer Strecke von beinahe zweitausend Meilen gelingen würde, einige Entdeckungen zu machen. Unsere Mastkörbe waren rund um die Uhr besetzt, und ich hatte für den Matrosen, der als Erster Land sichten würde, eine Belohnung ausgesetzt.
[Es folgen einige Bemerkungen über die von Herrn Dagelet täglich vorgenommenen Standortmessungen und die auf alten spanischen Seekarten verzeichneten Insel La Mesa, Los Majos und La Disgraciada, die von dem französischen Geschwader an der Stelle, an der sie liegen sollen, nicht aufgefunden werden.]
Am 7. Mai, als wir unter dem 8. Grad nördlicher Breite segelten, sahen wir eine große Anzahl von Vögeln, hauptsächlich Sturm-, aber auch Fregatt- und Tropikvögel. Die beiden letzteren Gattungen sollen sich, sagt man, nie weit vom Land entfernen. Auch schwammen sehr viele Schildkröten um und neben unseren Schiffen. Zwei derselben wurden von den Matrosen der Astrolabe gefangen. Die Vögel und die Schildkröten zeigten sich noch, als wir schon 14 Grad zurückgelegt hatten. Ich war daher ganz sicher, dass irgendeine unbewohnte Insel ganz in der Nähe lag, denn diese Tiere suchen sich lieber eine Klippe mitten im Meer zum Aufenthalt aus als eine Gegend, wo Menschen wohnen. Am 18. Mai befand ich mich unter dem 20. Grad nördlicher Breite und unter dem 139. Grad westlicher Länge gerade an der Stelle, an der, den Spaniern zufolge, die Insel La Disgraciada liegen sollte, ohne dass wir sie sahen. Am 20. hatte ich das ganze Gebiet von Los Majos durchschnitten, ohne dass uns auch nur die Spur von einer Insel zu Gesicht gekommen wäre. Ich fuhr fort, auf diesem Parallelkreis gen Westen zu steuern. Im Morgengrauen des 28. erblickte ich die schneebedeckten Berge der Insel Owyhee11 und bald darauf die weniger hohen der Insel Mowée12. Ich ließ noch weitere Segel setzen, um schneller an Land zu kommen, war aber dennoch bei Einbruch der Nacht noch sieben bis acht Meilen von der Küste entfernt. Ich brachte die Nacht mit Lavieren zu und wartete, bis der Tag anbrechen würde, weil ich mir vorgenommen hatte, in den zwischen den beiden Inseln liegenden Kanal einzulaufen, um bei der Insel Morokinne13 zu ankern. Unsere Längenmessungen stimmten ganz mit denen des Kapitäns Cook überein. Die sorgfältigsten Vergleiche ergaben nur eine Differenz von 10 Minuten, die wir uns weiter gegen Osten befanden.
Um neun Uhr des Morgens umsegelte ich die Westspitze von Mowée, und zwar 15 Grad nördlich. Im Westen, 22 Grad nördlich, nahm ich ein kleines Eiland