Jean-Francois de Lapérouse

Zu den Klippen von Vanikoro


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ist, mehr noch als Bigotterie und Aberglauben, daran schuld, dass es in diesem Land eine ungeheure Menge von Mönchen und Nonnen gibt. Erstere genießen weit mehr Freiheiten als anderswo. Da sie nichts zu tun haben und ohne Familienanhang in ehelosem Stand leben, ohne aber der Welt entsagt und sich in eine Zelle zurückgezogen zu haben, gehören sie zu den verdorbensten Menschen in ganz Amerika. Ihr freches Betragen lässt sich mit Worten schlechterdings nicht beschreiben. Ich sah mit eigenen Augen mehrere Mönche, die bis Mitternacht einen Ball besuchten; sie saßen allerdings, von der guten Gesellschaft weit entfernt, bei den Lakaien. Statt die jungen Männer vom Betreten schlechter Häuser abzuhalten, teilen sie ihnen deren genaue Adresse mit. Die einfachen Leute in La Concepción besitzen einen starken Hang zum Stehlen, und die Weiber sind äußerst willfährig. Sie gehören einer degenerierten, mit Indianern vermischten Rasse an. Die Angehörigen der Oberschicht hingegen sind reinblütige Spanier und ungemein höflich und artig. Ich schildere ihr Benehmen am besten, indem ich wiedergebe, was wir in La Concepción erlebt haben.

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       Kleidung der Einwohner von La Concepción

      Kaum hatten wir vor dem Dorf Talcahuana Anker geworfen, als mir auch schon ein Dragoner ein Schreiben des stellvertretenden Kommandanten, Herrn Quexada, überbrachte. Er teilte mir mit, man würde uns empfangen, als ob wir Spanier, also Landsleute, seien. Besonders liebenswürdig war der Zusatz, er sei glücklich darüber, dass sich die Befehle, die er erhalten habe, mit seinen Gefühlen wie auch mit der Gesinnung aller Bewohner von La Concepción deckten. Im Ort selbst stiegen wir beim Platzmajor ab, Herrn Sabatero, der uns auch zu einem sehr guten Abendessen einlud. Spätabends fand uns zu Ehren ein großer Ball statt, an dem die vornehmsten Damen der Stadt teilnahmen.

      Herr Duché de Vancy zeichnete die Kleidung dieser Damen, die sich von der in Frankreich üblichen stark unterscheidet. Der Faltenrock enthüllt das halbe Bein und wird von einem weit unterhalb der Taille angebrachten Gürtel zusammengehalten. Dazu tragen die Chileninnen Strümpfe mit roten, blauen und weißen Streifen und Schuhe, die so knapp bemessen sind, dass man nur mit gekrümmten Zehen in sie hineinschlüpfen kann. Die Füße wirken auf diese Weise fast kreisförmig! Sie pudern ihr Haar nicht und flechten es am Hinterkopf in schmale Zöpfe, die auf die Schultern herabfallen. Den Oberkörper bedeckt ein Mieder aus Gold- oder Silberstoff. Darüber schlingt man zwei Mantillen, die eine aus Musselin, die andere aus gefärbter gelber, blauer oder rosa Wolle. Die Wollmantille dient den Frauen von La Concepción als Kopfbedeckung, wenn sie bei kühlem Wetter über die Straße gehen; bei sich zu Hause legen sie sie auf den Schoß. Mit der Mantille aus Musselin wird gespielt, sie wird unablässig hin und her geschoben; bei diesem Spiel zeigen die Damen von La Concepción eine ganz besondere Anmut. Auch sind sie im Allgemeinen hübsch und ausnehmend höflich. In Europa dürfte es keine Hafenstadt geben, in der der Fremde so freundlich aufgenommen wird wie hier.

      Kurz vor dem Abendessen hatten wir den Honoratioren von La Concepción sowie dem Bischof unseren Besuch abgestattet. In der Person dieses Letzteren lernten wir einen Mann kennen, der ungemein viel Geist, die Gabe einer angenehmen Unterhaltung und dazu jene Milde des Charakters besitzt, die man an spanischen Bischöfen nicht selten beobachtet. Er ist ein Kreole aus Peru, war nie in Europa und verdankt seine hohe Würde allein seinen Tugenden. Er versicherte uns unter anderem, dass es dem Gouverneur, Don Antonio O’Higgins, sehr leidtue, uns nicht begrüßen zu können, da er sich derzeit noch zu wichtigen Verhandlungen mit den Indianern im Grenzgebiet aufhalte.

      Die Indianer Chiles sind nicht mehr die Amerikaner von ehedem, denen die Waffen der Europäer Furcht und Schrecken einjagten. Die Pferde haben sich in der unermesslichen Wildnis des inneren Amerika ebenso rapide wie die Rinder und die Schafe vermehrt; mit der Folge, dass sich jene Völkerschaften in wahre Beduinen verwandelt haben, die man in allem denen vergleichen kann, die in den Wüsten Arabiens zu Hause sind. Da sie fast immer zu Pferd sitzen, sind Streifzüge von zweihundert und mehr Meilen für sie kaum mehr als Spazierritte. Mit ihren Herden ziehen sie von einem Ort zum anderen; sie nähren sich vom Fleisch dieser Tiere, von der Milch und bisweilen von deren Blut, auch kleiden sie sich in deren Häute, aus denen sie Helme, Brustharnische und Schilde verfertigen. So hat die Einführung europäischer Haustierrassen auf die Stämme zwischen Santiago und der Magellan-Straße den nachhaltigsten Einfluss ausgeübt. Sie haben ihre alten Bräuche aufgegeben, nähren und kleiden sich anders, kurz, haben heute mehr Ähnlichkeit mit den Tataren oder den Anrainern des Roten Meeres als mit ihren eigenen Vorfahren von vor zweihundert Jahren.

      Es ist leicht einzusehen, dass die Spanier alle Ursache haben, diese Leute zu fürchten. Sie können ihnen nach einem Überfall über so riesige Distanzen nicht nachsetzen. Und ebenso wenig ist es ihnen möglich, die einzelnen Stämme, die vierhundert Meilen weit auseinanderwohnen, daran zu hindern, sich zusammenzurotten und ein Heer von dreißigtausend Mann aufzustellen.

      Herrn O’Higgins ist es jedoch gelungen, sich die Zuneigung dieser Stämme zu erwerben und dadurch der Nation, die ihn aufgenommen hat, einen sehr wesentlichen Dienst zu erweisen. Dazu muss man wissen, dass er irischer Herkunft ist und aus einer Familie stammt, die wegen ihres Glaubens und ihrer Anhänglichkeit an das Haus Stuart verfolgt wurde. Ich muss gestehen, dass ich einen unwiderstehlichen Trieb in mir fühlte, diesen loyalen Kriegsmann, von dem alle nur Gutes erzählten, kennenzulernen. Schon nach einer Stunde Unterhaltung schenkte ich ihm, gleich den Indianern, mein Vertrauen. Seine Rückkehr nach La Concepción erfolgte kurz, nachdem ich den Brief erhalten hatte, der mir von ihr Mitteilung machte; ein Kavalleriebefehlshaber kommt schneller voran als ein französischer Seefahrer. Seine Höflichkeitsbezeigungen gingen noch weiter als die des Herrn Quexada und waren so aufrichtig und herzlich, dass wir Franzosen kaum Worte fanden, ihm unsere Dankbarkeit zu bekunden. Da wir allen Bewohnern Dank schuldeten, beschlossen wir, noch vor unserer Abreise ein Fest zu veranstalten und alle Damen von La Concepción dazu einzuladen. Dazu schlugen wir am Meeresufer ein großes Zelt auf, in dem ein Essen stattfand, an dem einhundertfünfzig Personen männlichen und weiblichen Geschlechts teilnahmen. Nach dem Essen veranstalteten wir einen Ball, dann brannten wir ein kleines Feuerwerk ab, und zu guter Letzt ließen wir einen Luftballon aufsteigen, der zwar nur aus Papier war, aber doch groß genug, um Aufsehen zu erregen.

      Tags darauf benutzten wir dasselbe Zelt für ein Festessen, zu dem die Besatzung der beiden Fregatten geladen wurde. Wir speisten alle an einem Tisch; oben saßen Herr de Langle und ich, dann folgten sämtliche Offiziere bis herab zum letzten Matrosen; als Tafelgeschirr dienten hölzerne Schüsseln. Unsere Seeleute waren so vergnügt, dass man ihnen die Freude an den Augen ansah. Sie schienen insgesamt gesünder und tausendmal glücklicher als am Tag unserer Abfahrt in Brest.

      Da nun der Gouverneur geäußert hatte, dass er uns zu Ehren ebenfalls eine Lustbarkeit zu geben gedächte, verfügten wir uns alle mit Ausnahme der diensttuenden Offiziere nach La Concepción. Herr O’Higgins kam uns entgegengeritten und begleitete uns in seine Residenz, wo uns eine Tafel mit hundert Gedecken erwartete, an der alle Offiziere und die vornehmsten Einwohner der Stadt sowie mehrere Damen Platz nahmen. Vor jedem Gang, der serviert wurde, deklamierte ein Franziskaner aus dem Stegreif Verse, die das Bündnis zwischen Spanien und Frankreich feierten. In der nächstfolgenden Nacht war wiederum großer Ball, zu dem die Damen in ihren schönsten Kleidern erschienen und auf dem einige maskierte Offiziere ein Ballett tanzten.

      Alle diese Vergnügungen und der überschwängliche Empfang, der uns zuteilwurde, hielten mich nicht davon ab, meine Aufgaben im Auge zu behalten. Am Tag unserer Ankunft hatte ich bekanntgegeben, dass ich am 15. März wieder in See stechen würde. Der Mannschaft gab ich die Erlaubnis, sich an Land nach Belieben zu vergnügen, sobald die Schiffe ausgebessert und Lebensmittel, Holz und Wasser an Bord geschafft seien. Diese Anordnung wirkte Wunder: Rascher wurden zwei Fregatten noch nie instand gesetzt und beladen. Vor den Folgen meines Versprechens war mir ein wenig bange, da es gar zu sehr den Wünschen der Matrosen entsprach und der Wein in Chile sehr billig ist; jedes Haus in Dorf Talcahuana ist eine Schenke, und die Frauen aus dem Volk sind fast ebenso willig wie die auf Tahiti. Indessen kam es nicht zu Unmäßigkeiten, und unser Schiffschirurg musste mir nicht mitteilen, dass die Vergünstigung nachteilige Auswirkungen gehabt habe.

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