der Makololo zur Westküste zu finden und damit gleichzeitig die Missionsarbeit zu erleichtern. Von Kapstadt aus ging er zuerst nach seiner alten Station Kolobeng und von da auf der ihm schon bekannten Route nordwärts nach Linyanti, dem Hauptort der Makololo. Sekeletu, der Sohn Sebituanes, unterstützte diese Pläne mit beachtenswerter Weitsicht.
Von Linyanti aus zog Livingstone, wie wir im Folgenden ausführlich lesen, erst am Sambesi aufwärts, überquerte die Wasserscheide zwischen Sambesi und Kongo, wandte sich dann beim Dilolo-See nach Nordwesten und erreichte schließlich nach erheblichen Strapazen Ende Mai 1854 die portugiesische Niederlassung Loanda an der Atlantikküste. Die Reise war zwar ein wesentlicher Beitrag zur Erforschung Afrikas, doch bewies sie gleichzeitig, dass sich die verfolgte Route praktisch nicht nutzen ließ. Kurz entschlossen kehrte Livingstone deshalb auf dem fast gleichen Weg wieder nach Linyanti zurück und wandte sich im November 1855 nach Osten, um dem Sambesi abwärts bis zum Indischen Ozean zu folgen. Gleich zu Beginn dieses neuen Reiseabschnitts entdeckte er die großen Wasserfälle des Sambesi, die er nach seiner Königin Victoria-Fälle benannte. Ende Mai 1856 erreichte er die Ostküste des Erdteils bei Quilimane und hatte damit innerhalb von vier Jahren das südliche Afrika als erster europäischer Reisender durchquert.
Mit der Rückkehr in die Heimat schließt unser Buch. Seine Berichte machten den sechsundvierzigjährigen Forscher mit einem Schlag berühmt und brachten ihm hohe Auszeichnungen, lenkten ihn aber gleichzeitig für einige Jahre von seinen ursprünglichen wissenschaftlichen und humanitären Zielen ab; denn die britische Regierung ernannte ihn zum Konsul für Ostafrika mit Sitz in Quilimane. Doch war man in London klug genug, ihn nicht zu eng an die Kolonialverwaltung zu binden, sondern die nötige Freiheit für kleinere Forschungsaufgaben zu lassen und ihn vor allem im Kampf gegen die Sklaverei zu unterstützen. So unternahm er in den Jahren von 1858 bis 1864 acht kleinere, meist weniger beachtete Reisen, auf denen er den Unterlauf des Sambesi genauer erforschte und den Schire flussaufwärts bis zum Njassa-See verfolgte und zweimal den Rowuma befuhr. Da spektakuläre Erfolge ausblieben, regten sich die üblichen Neider. Unsachliche Kritik vergällte ihm 1864 einen Aufenthalt in der Heimat. Um so begieriger griff er daher den Vorschlag der Königlichen Geographischen Gesellschaft auf, das große Rätsel der Nilquellen lösen zu helfen.
1858 hatten Richard F. Burton und John H. Speke den Tanganjika-See und kurz danach Speke den Victoria-See entdeckt, es war ihnen aber nicht gelungen, die Trennung der Flusssysteme von Nil und Kongo zu klären. So reiste Livingstone 1865 in einem Alter, in dem andere Forscher sich längst zur Ruhe setzten, weil sie sich den Strapazen nicht mehr gewachsen fühlten, erneut nach Ostafrika. Hier knüpfte er bewusst an die vorangegangenen kleinen Unternehmungen an, und statt von Sansibar aus auf dem üblichen Karawanenweg nach Westen zu ziehen, fuhr er erneut den Rowuma aufwärts bis zum Njassa-See und zog an dessen Westufer vorbei nach Norden. Eine nach England gelangte Nachricht, er sei hier ermordet worden, konnte glücklicherweise von einer rasch ausgeschickten Suchexpedition widerlegt werden. Unter schwierigen Umständen erreichte Livingstone im April 1867 das Südende des Tanganjika-Sees. Überall stieß er dabei auf die grauenvollen Spuren arabischer Sklavenjäger. Seine viel zu wenig bekannten posthum veröffentlichten Tagebücher sind eine schwere Anklage gegen diese Verbrechen und erschüttern noch heute jeden Leser.
Vom Tanganjika-See aus wandte er sich westwärts, gelangte noch im November des gleichen Jahres zum Meru-See und im Juli des darauffolgenden zum Bangweolo-See. Von da aus kehrte er wieder nach Norden zurück, wo er in Ujiji, dem Endpunkt des Karawanenwegs am Ostufer des Tanganjika-Sees Nachschub an Lebensmitteln und Medikamenten vorzufinden hoffte. Aber diese Vorräte waren gestohlen worden. Statt daraufhin die an sich schon lange und erfolgreiche Expedition abzubrechen und an die Ostküste zurückzukehren, beschloss er trotzdem, erneut in das Gebiet westlich des Sees vorzustoßen und dort die Flusssysteme zu erkunden.
Livingstone war zu diesem Zeitpunkt der Lösung des Problems sehr nahe, wenn er auch seine Aufmerksamkeit zu stark auf mögliche Quellflüsse des Nils konzentrierte und die Möglichkeit einer Verbindung dieser Flüsse mit dem Kongo außer Acht ließ. Immerhin gelangte er westwärts bis Nyangwe, einem wichtigen Stützpunkt der Sklavenhändler am Lualaba, den er für den Oberlauf des Nils hielt. Unruhen der Eingeborenen und Intrigen der Sklavenhändler verhinderten eine Weiterfahrt flussabwärts und damit die Erkenntnis, dass es sich hier um einen der Quellflüsse des Kongo handelte, wie erst neun Jahre später Stanley beweisen sollte.
So aber kehrte er nach Ujiji zurück. Seine lange Abwesenheit und Aussagen von Eingeborenen hatten in Europa erneut das Gerücht von seiner Ermordung aufkommen lassen und schwere Besorgnis ausgelöst. Deshalb sandte der New Yorker Zeitungsverleger James Gordon Bennett im November 1869 Henry Morton Stanley, einen seiner rührigsten jungen Reporter, auf die Suche nach Livingstone. Dieser kam nach verschiedenen Zwischenaufenthalten erst im Herbst 1870 nach Sansibar und zog von da aus mit einer großen Hilfskarawane in das Innere. Er erreichte Ujiji nur fünf Tage, nachdem Livingstone vom Lualaba zurückgekehrt war.
Man kann über dieses erste Afrika-Unternehmen Stanleys denken, wie man will, und es auch als den raffiniert aufgezogenen Coup eines Reportes bezeichnen, zwei große Vorzüge aber wird niemand leugnen können: Livingstone erhielt dadurch endlich den dringend benötigten Nachschub gerade zur rechten Zeit, um neuen Lebensmut zu gewinnen. Das spürt man deutlich aus seinen Tagebuchaufzeichnungen vom 28. Oktober. Und mehr noch, zwischen den beiden ungleichen Männern keimte eine echte Freundschaft auf, Stanley wurde zum Schüler Livingstones, dessen Werk er mit der Erforschung des Kongo weiterführte.
Gemeinsam umfuhren die beiden das Nordufer des Tanganjika-Sees, danach kehrte Stanley wieder nach Osten zurück, während sich Livingstone standhaft weigerte, ihn zu begleiten. Der zähe alte Schotte, der schon krank und möglicherweise auch vom Tod gezeichnet war, wollte um jeden Preis sein Werk vollenden. Allein blieb er im Inneren des Erdteils zurück und wartete nur auf neuen Proviant, den ihm Stanley von der Küste aus schicken sollte. Am 19. März 1872, fünf Tage nach der Abreise Stanleys und am Tag seines 59. Geburtstages, schrieb er in sein Tagebuch: „Mein Jesus, mein König, mein Leben, mein Alles. Dir weihe ich von Neuem mein ganzes Leben. Nimm mich an und gewähre mir, mein erbarmender Vater, mein Leben zu vollenden, ehe dieses Jahr seinen Lauf vollbracht hat. In Jesu Namen bitte ich es. Amen, so sei es.«
Seine Bitte sollte sich nicht erfüllen. Er zog erst einmal an der Ostseite des Tanganjika-Sees südwärts erneut bis zum Bangweolo-See und umwanderte, stets nach den Nilquellen suchend, dessen Osthälfte. Aber die Strapazen dieser letzten Reise waren zu viel für den geschwächten Körper. Am 27. April 1873 vermerkte er ein letztes Mal in seinem Tagebuch: »Völlig erschöpft und bleibe – erholen …« In der Hütte eines Eingeborenendorfes machte er Rast. Dort fanden ihn am Morgen des 1. Mai seine schwarzen Diener vor dem Bett kniend, der Kopf ruhte auf den gefalteten Händen. Der Tod hatte ihn im Gebet überrascht.
David Livingstones Reisen 1841–1873
Die treuen Diener unter der Führung von Susi und Chuma begruben sein Herz unter einem Baum und balsamierten den Leichnam auf primitive Weise ein. Dann transportierten sie ihn heimlich und unter größten Strapazen zur Küste, eine Tat tiefster Treue, die noch ein letztes Mal bewies, wie beliebt Livingstone bei seinen Leuten gewesen war! Die kleine Karawane erreichte den Indischen Ozean, und ein Schiff brachte den toten Forscher in die Heimat, wo er am 18. April 1874, ein Jahr nach seinem Tod, in der Westminster-Abtei beigesetzt wurde.
Die folgende Ausgabe bringt den etwas gekürzten Text der ersten deutschen Übersetzung seiner »Missionary Travels and Researches in South Africa« (London 1857) von 1858. Die Kürzungen beschränken sich dabei überwiegend auf nur für die Erscheinungszeit interessante und wesentliche naturkundliche Angaben sowie auf einige theoretische Erörterungen zu den bis dahin ungeklärten geografischen Problemen. Die Substanz des eigentlichen Reiseberichts blieb unangetastet. Berichtigt wurde die Rechtschreibung der alten Ausgabe, beibehalten dagegen die Namenschreibung.
Heinrich Pleticha
REISEN UND ENTDECKUNGEN IM SÜDLICHEN AFRIKA
VON DER KALAHARI ZU DEN VICTORIA-FÄLLEN