William Shakespeare

Einfach Shakespeare


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zur Mitte des 18. Jahrhunderts kam niemand auf die Idee, dass Shakespeares Stücke aus einer fremden Feder stammen könnten, weil Shakespeare damals noch nicht so verehrt wurde wie zu späterer Zeit und als Autor nicht wichtig genug war, als dass diese Frage irgendjemanden interessiert hätte. Seine Texte wurden damals ziemlich sorglos geändert, um sie an die Gepflogenheiten der Bühne beziehungsweise den literarischen Konventionen der Zeit anzupassen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts jedoch wurde Shakespeare nicht nur als Genie, sondern sogar als »Gott« apostrophiert und entwickelte sich zum englischen Nationaldichter. Einige Leute verdienten in dieser Zeit viel Geld mit gefälschten Manuskripten, Briefen, Testamenten und anderen Dokumenten, die angeblich von Shakespeare stammten, zum Beispiel Briefe von ihm an Königin Elizabeth und seine Frau.

      Das Aufkommen der Verschwörungstheorien um Shakespeares Autorschaft hängt einerseits eng damit zusammen, dass die viktorianische Mittelklasse, das kulturelle Establishment, voller aristokratischer Ideale war und große Angst vor sozialen Aufsteigern aus den unteren Klassen hatte. Um Shakespeare für sich zu vereinnahmen, mussten sie ihn zu einem Adeligen machen. Und andererseits wandelte sich in dieser Zeit, der Epoche der literarischen Romantik, die Auffassung über die Bedeutung von Schriftstellern und insbesondere schriftstellerischen Genies.

      In der Romantik hatte Schreiben sehr viel mit Inspiration und der Person des Autors zu tun. Er saß, so die idealisierte Vorstellung, allein im stillen Kämmerlein und brachte sein Werk in einem einzigartigen Moment, wenn die Inspiration, die er nicht willentlich beeinflussen konnte, über ihn kam, in seiner vollendeten Form zu Papier. Und was er zu Papier brachte, entsprang seiner eigenen, persönlichen Gefühlsund Erfahrungswelt. Unter solchen Umständen spielte das handschriftliche Manuskript eine unschätzbare Rolle, bildete es doch die übernatürlich anmutende Inspiration ab. Von Shakespeare sind keine handschriftlichen Manuskripte seiner Stücke erhalten. Das ist aber nicht weiter verwunderlich: Shakespeare schrieb seine Stücke (ab und zu auch mit anderen Autoren zusammen) für verschiedene Schauspieltruppen. Das »Copyright« lag bei der Schauspieltruppe und wurde manchmal zusammen mit dem Manuskript an einen Drucker verkauft, der das handschriftliche Dokument nach der Drucklegung nicht zurückgab, sondern wahrscheinlich einfach wegwarf.

      Da die Verschwörungstheoretiker Shakespeare als romantischen Autor sehen, gehen sie davon aus, dass auch er in seinen Werken über seine eigene Erfahrungswelt geschrieben hat. Deswegen bringen sie immer wieder das Argument vor, dass er die Stücke gar nicht geschrieben haben kann, wenn er kein Adeliger war, weil so viele Szenen am Königshof spielen. Alle Dramenschreiber zu Shakespeares Zeit haben jedoch über das Leben am Hof geschrieben, so wie sie es von Gerüchten, ihrer Anwesenheit dort während Theateraufführungen, anderen Texten und Theaterstücken her kannten. Viel weniger vorstellbar ist, dass ein Aristokrat so überzeugend den Zungenschlag der einfachen Bevölkerung nachahmen konnte, wie Shakespeare es in seinen Stücken tut. Fest steht auch, dass ein Kenner des Theaters die Stücke geschrieben haben muss.

      Aller Wahrscheinlichkeit nach hat Shakespeare als Kind und Jugendlicher die Grammar School in Stratford besucht. Da die Lehrpläne vergleichbarer Institutionen überliefert sind, wissen wir, dass Shakespeare dort übte, auf Latein und Englisch Textvorlagen klassischer Autoren umzuschreiben: Er änderte Fließtexte in Dialoge, fasste die Sichtweise und Argumente verschiedener Figuren in eigene Worte und verwandelte Prosa in Vers. Viele Zeilen aus Shakespeares Werk, die wie Sprichwörter klingen (siehe Kapitel 16 in diesem Buch), lassen sich auf Erasmus’ Sammlung von Sprichwörtern (»Adagia«) zurückführen, die Shakespeare in der Schule gelesen hat.

      Das heißt nicht, dass er deswegen nicht das Genie war, für das er gemeinhin gehalten wird. Ob ein Kunstwerk gut oder schlecht ist, darüber lässt sich streiten, und manche sagen, es sei reine Geschmackssache. Nur bei Shakespeare gilt es als allgemein anerkannte Tatsache, dass er ein Genie war. Das liegt, wie Jonathan Bate in The Genius of Shakespeare (London: Picador, 1997) erklärt, jedoch unter anderem daran, dass die literarische Szene den Begriff »Genie« in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hauptsächlich dazu benutzt hat, um auszudrücken, was das Besondere an Shakespeare im Vergleich zu anderen Schriftstellern ist. Er war der erste Schriftsteller in der westlichen Welt, der dafür gelobt wurde, dass er so »natürlich« und »originell« schrieb, anstatt »künstlich« und frühere Autoren imitierend. Bis dahin galt beides – natürliches, lebensnahes Schreiben und die Nachahmung anerkannter Autoren – als ein und dasselbe. Es gibt schriftliche Äußerungen von Shakespeares Zeitgenossen, zum Beispiel von Ben Jonson, die ganz klar eine Verbindung zwischen dem William Shakespeare aus Stratford und dem Schauspieler und Stückeschreiber in London herstellen, und die ihn für seine guten Stücke trotz seiner fehlenden »Gelehrtheit« loben. Am Ende des 18. Jahrhunderts wird er für die fehlende Gelehrtheit gelobt.

      Dabei spielten auch politische Gründe eine Rolle, unter anderem der Wunsch Englands, sich bewusst von Frankreichs kultureller Vorherrschaft abzugrenzen. Während in Frankreich nur Dramen als gut galten, die sich streng an klassizistische Regeln hielten – in denen also zum Beispiel Tragödien streng von Komödien getrennt waren, die Handlung an einem Ort spielte, maximal 24 Stunden dauerte und plausibel sein musste, und Personen unterschiedlicher Stände nicht gleichzeitig auf der Bühne waren – mischte Shakespeare unbekümmert komische mit tragischen Elementen (zum Beispiel durch den Narr in König Lear), transportierte seine Figuren von England nach Frankreich (zum Beispiel in König Heinrich V), übersprang Zeiträume von mehreren Jahren (zum Beispiel ganze 16 Jahre in Das Wintermärchen), brachte Könige und einfache Leute zusammen auf die Bühne und ließ übernatürliche Wesen wie Elfen und Geister in seinen Stücken auftreten.

      Die Stücke, die Aristokraten zu Shakespeares Zeit geschrieben haben, ähnelten dagegen eher den französischen Regeldramen – ein weiterer Grund, warum es unwahrscheinlich ist, dass jemand wie der Earl of Oxford Shakespeares Stücke geschrieben hat (genauso wie die tatsächlich von Francis Bacon verfasste Dichtung in keiner Weise Shakespeares Stil gleicht). Ebenso unwahrscheinlich ist, dass der Earl of Oxford sich zu der unterwürfigen Widmung herabgelassen hätte, die Shakespeare in seinen längeren Versdichtungen an den Earl of Southampton richtet. Dazu kommt, dass der Earl of Oxford zu früh gestorben ist, um alle von Shakespeares Stücken geschrieben zu haben. Und die ganzen Anspielungen auf andere zeitgenössische Adelige, die Anhänger der Oxford-Theorie in Shakespeares Stücken vermuten, hätten Shakespeare vermutlich ins Gefängnis gebracht oder ihn sogar sein Leben gekostet.

      Wenn Sie trotzdem daran glauben wollen, dass Shakespeare seine Stücke nicht selbst geschrieben hat, befinden Sie sich in illustrer Gesellschaft: Sigmund Freud, Henry James und Mark Twain zum Beispiel waren ebenfalls fest davon überzeugt. Das muss Sie jedoch nicht davon abhalten, seine Texte zu genießen – letztlich ist dafür ja unerheblich, wer sie geschrieben hat. Sollten Sie Anhänger einer ganz anderen Shakespeare-Verschwörung sein – nämlich dass Shakespeare maßlos überschätzt wird und gar nicht so gut ist, wie alle behaupten – sind Sie ebenfalls nicht allein, sondern einer Meinung mit – zum Beispiel – Leo Tolstoi, Bernard Shaw und Ludwig Wittgenstein. Das Buch, das Sie in den Händen halten, gibt Ihnen auf jeden Fall die Möglichkeit, sich anhand der interessantesten Textstellen in Shakespeare selbst ein Bild zu machen.

      Das 1. Kapitel (»Den Augenblick, da ich euch sahe ...«) schildert erste Begegnungen zwischen Liebenden. Das 2. Kapitel (»Willst du schon gehen?«) enthält Szenen, in denen Liebende mit Abwesenheit, Trennung und Sehnsucht konfrontiert sind. Themen des 3. Kapitels (»Vielleicht sind beide falsch«) sind Eifersucht, Untreue und Unaufrichtigkeit. Kapitel 4 (»O wir sind alle der Versuchung Erben!«) handelt von Versuchung und Verführung. Kapitel 5 (»Liebt’ ich sie je, die Lieb ist längst vorüber«) zeigt das Ende der Liebe, Streit und Trennung. Das 6. Kapitel (»Freundschaft hält Stand«) erzählt Geschichten rund um wahre und falsche Freunde. Familienbande und Familienangelegenheiten bieten im