»Wer heute sein Leben Jesus Christus geben möchte, der hebe die Hand.«
Ich reagierte sofort und meldete mich.
»Ich möchte nun die, aber wirklich nur die, die jetzt gerade ihre Hand gehoben haben, bitten, hier nach vorne zu mir auf die Bühne zu kommen.«
Ich ging nach vorne. Im Vorbeigehen gratulierten mir wildfremde Menschen, alle schienen glücklich darüber zu sein, dass ich nach vorne lief. Die Bühne füllte sich innerhalb weniger Minuten. Gottes Gegenwart war dort sehr stark. Ich ließ meine Tränen einfach laufen, über meine Wangen, an den Lippen vorbei und dann sonst wohin. Es war mir egal, was die Leute dachten. Wir beteten zusammen ein Übergabegebet.
Als wir fertig waren, sah ich ein Loch in der Decke der Kirche, durch das Gott einen Lichtstrahl schickte. Der Strahl war etwa einen Meter breit und traf direkt auf meinen Oberkörper. Ich konnte direkt in die Herrlichkeit Gottes schauen. In diesem Moment wusste ich, dass Gott mir alle meine Sünden und Fehltritte vergeben hatte. Jesus Christus hatte durch seinen Tod am Kreuz das Böse besiegt, er war als fleckenloser Sohn Gottes in den Tod gegangen und trug meine persönliche Sünde ins Grab.
Was für eine fantastische Gewissheit, vor Gott gerecht zu sein. Es stand nichts mehr zwischen ihm und mir, ich konnte ihm direkt begegnen, seine Liebe spüren, seine Allmacht erkennen und seine Liebe empfangen. Während ich all dies wahrnahm, floss das Licht, das Gott durch die Decke der Kirche schickte, durch mich hindurch, es durchflutete meinen gesamten Körper, es floss in meine Arme und Beine und aus mir hinaus wie ein Fächer aus Licht. Mein Herz wurde frei. Schwere Lasten bröckelten von mir ab. Alles, was ich an Groll, an Wut, an nachtragenden Gedanken in mir getragen hatte, vaporisierte sich.
Ich war frei und hatte absoluten Frieden.
2 DER SINN DES LEBENS – Wozu lebe ich überhaupt?
Als ich 18 Jahre alt war, sprach ich ein Gebet. Es war ein ganz besonderes Gebet, eine Art umgekehrtes Übergabegebet. Ich übergab mein Leben, aber nicht an Jesus, sondern ich forderte es vollständig für mich ein. Jeden kindlichen Glauben, der vielleicht noch in Restbeständen in irgendeiner hinteren Ecke meines Hirns verstaubte, kehrte ich hinaus.
Ich sagte: »Gott, ich habe nie etwas von dir bekommen und ab sofort soll alles, was ich tue, auf meiner eigenen Kraft gegründet sein. Ich werde es den fehlgeleiteten, sogenannten Christen zeigen und die Welt erobern.«
Das war’s. Und tschüss, Religion.
Aber das war nur der erste Teil meines Manifests. Inspiriert von einem Kinofilm, erstellte ich mir eine Liste mit zehn Dingen, die ich erreichen wollte, bevor ich sterbe. Ausdrücklich aus eigener Kraft.
• Viel Geld besitzen, am besten millionenfach
• Chef sein
• einen Sportwagen
• ein großes Haus
• Freunde
• viele Frauen
• Partys, Spaß und Adrenalin
• Gesundheit
• Schönheit
• Ansehen
Was soll ich sagen? Etwa zehn Jahre später hatte ich alles erreicht.
Ich studierte Maschinenbau und gründete eine Firma für Computerwasserkühlungen. An der Uni fand ich Freunde, wir feierten und gaben Vollgas. Alkohol wurde unser bester Freund, bald kamen andere Einstiegsdrogen dazu. Mit der Firma ging es steil bergauf, nach fünf Jahren waren wir Marktführer in Deutschland, zwei Jahre später Marktführer in Europa. Ein Konkurrent nach dem anderen ging pleite, aber ich rockte das Geschäft. Ich hatte mit einem Ein-Mann-Betrieb im Bastelkeller angefangen und war ohne Startkapital, aber dank eines Arbeitspensums von locker 60 Wochenstunden innerhalb von vier Jahren zum Millionär geworden. Ich kaufte mir ein Haus und kurz vor meinem 30. Geburtstag erreichte ich das letzte meiner zehn Lebensziele: Ich kaufte mir ein Audi S5 Cabriolet.
Es gab niemanden, der mir Grenzen setzte. Ich definierte meine Grenzen selbst. Ich war reich, gesund, sportlich, gut aussehend, eloquent, intelligent, einfallsreich. Ich war der König von Schloss Holte-Stubenbrock, meinem Heimatort. Ich hatte Partys und Spaß mit Frauen, wann und wo auch immer ich wollte.
Ich hatte es geschafft!
Doch ich war nicht glücklich. Ich hatte alle meine Lebensziele erreicht, aber es war nicht genug. Ich dachte mir die tollsten Dinge aus, wie ich mein Geld ausgeben könnte, aber nichts davon erfüllte mich. Mein ganzes Leben hatte ich gedacht, wenn ich erst weg bin von zu Hause, wenn ich erst mein eigenes Unternehmen habe, wenn ich erst reich bin, wenn mir die Frauen nachlaufen, wenn ich mein Traumauto habe … dann bin ich glücklich. Aber jetzt hatte ich alles – und verstand nicht, warum ich innerlich immer leerer wurde. Es gab nichts mehr, was ich noch erreichen konnte. Mein Leben war komplett sinnlos geworden.
Es gibt einige Bibelstellen, die eine Antwort auf meine Situation damals geben. Die erste steht im Markusevangelium. Jesus offenbart seinen Jüngern, dass er sterben wird. Die hatten eher gehofft, dass Jesus das Land vom römischen Besatzer befreien und neuer König von Israel werden würde. Aber was sind solche Ziele verglichen mit Gottes Plan, die gesamte Welt zu retten? Jesus nimmt seine Jünger beiseite und erklärt ihnen: »Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber seine Seele verliert?« (Markus 8,36)
Kann ich dir sagen: Nichts.
Ganz ehrlich, die Welt zu gewinnen, macht schon eine Weile Spaß. Natürlich macht es Spaß, mit einem Audi TT um die Kurven heizen zu können, ohne sich um Schäden am Auto Sorgen machen zu müssen. Es ist schön, ein großes Haus zu haben oder sich zu Beginn einer Partynacht keine Gedanken machen zu müssen, ob das Geld auch reichen wird. Es wäre sicherlich auch nett gewesen, König von Israel zu sein, in einem hübschen Palast zu wohnen und Münzen mit dem eigenen Kopf im Profil prägen zu lassen. Aber das war halt nicht Gottes Plan. Jesus hatte eine Aufgabe, die weit über die schnöde Königswürde hinausging.
Bei uns ist das auch nichts anderes. Wir sind nicht auf der Welt, um unsere eigenen Wünsche zu erfüllen. Das ist nicht der Sinn des Lebens. Ich weiß das, weil ich all die Dinge gewonnen habe, die für mich die Welt waren. Und trotzdem war ich nicht erfüllt oder glücklich. Im Gegenteil, ich war dabei, meine Seele zu verlieren, indem ich mir immer mehr und immer krasseres Zeug reinzog. Ich bin mir sicher: Nichts, was ich jemals in meinem Leben erreicht hätte, hätte mich erfüllen können.
In der Bibelstelle im Markusevangelium von eben geht es darum, nicht sein eigenes Leben ins Zentrum zu stellen, sondern für Gott zu leben. Für Gott zu leben, bedeutet übrigens nicht zwangsläufig, in Armut zu leben. Es gibt auch in der Bibel genügend wohlhabende Menschen, die das Gegenteil beweisen, zum Beispiel Abraham, Salomo oder Hiob. Aber ihr Besitz und Wohlstand war nicht ihr Lebensmittelpunkt. Bei mir war das komplett anders.
Inzwischen weiß ich, dass die Jagd nach Reichtum und materiellem Glück ein »Haschen nach Wind« ist. Luther verwendet diese Formulierung mehrfach in seiner Übersetzung des Buches Prediger aus dem Alten Testament. Dieses Buch stammt von Salomo und er wusste wohl wie kein Zweiter, dass alles weltliche Streben nur Haschen nach Wind ist. Mal ehrlich: Mein Reichtum ist ein Witz im Vergleich zu den Schätzen, die er im Laufe seines Lebens anhäufte. Aber auch seine Immobilien, seine Frauen, seine Partys, sein Geld – alles war letztendlich nichts wert. Dummerweise hat der weise Salomo am Ende seines Lebens seine eigene Weisheit vergessen. Er rücke Gott aus dem Zentrum seines Lebens und stellte stattdessen seine Frauen beziehungsweise deren Götter ins Zentrum.
Notiz an mich: Sollte ich anders machen. Egal, wie reich ich bin, Gott soll immer das Zentrum meines Lebens sein. Durch diese Einstellung ging ein guter Teil meines alten Lebens direkt in die Tonne. Mein neues Leben ist aber so unendlich viel besser als alles, was ich verloren habe.
Aufräumen