Viola Larsen

Fürstenkrone 11 – Adelsroman


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gibt die schöne Frau ungeduldig zu, »ja, ich habe dich verlassen. Es war ein großer Fehler, aber ich bitte dich heute ehrlichen Herzens um Vergebung.«

      »Es gibt Dinge, die man nicht vergessen kann, Simone«, sagt er schwer, und vor seinen Augen steht das düstere Moor, flattert die Fahne der Ravenhills mit ihrem silbernen Falken auf moosgrünem Grund.

      Jetzt weint Simone von Bernadette leise vor sich hin.

      »Glaubst du, ich habe nicht darunter gelitten?«, fragt sie mit bebender Stimme. »Schließlich war Anschi auch mein Kind.«

      Als sie den Namen ausspricht, zuckt Fürst Wolfhart unwillkürlich zusammen. Seit vielen Jahren wagt in seiner Umgebung niemand mehr diesen Namen, mit dem sich unsagbar Trauriges verbindet, vor ihm auszusprechen.

      »Lass!«, bittet er gequält. »An Geschehenem ist nichts mehr zu ändern.«

      Da springt Simone auf und eilt zu ihm. Ihre Hände schließen sich um seinen Schultern.

      »Stoße mich nicht von dir, Wolfhart!«, bittet sie, und ihre Verzweiflung erscheint durchaus echt. »Ich ertrage die Einsamkeit nicht mehr, nachdem ich seit zwei Jahren Witwe bin. Ich bin es müde, durch die Welt zu vagabundieren. Ich brauche eine Heimat und einen Menschen, zu dem ich gehöre!«

      Sekundenlang vermag Fürst Wolfhart keine Antwort zu finden. So echt ihr Ausbruch auch scheint – er glaubt ihr dennoch nicht.

      »Verzeih!«, sagt er dann ruhig und schöpft tief Atem. »Die Vergangenheit ist für mich tot – tot wie Anschi.« Er schließt die Augen, als er den Namen des geliebten Kindes ausspricht, das ein grausames Schicksal von dieser Erde riss. »Es gibt kein Zurück, Simone.«

      Die schöne Prinzessin weint nicht mehr. Ihre demutsvolle, ruhige Haltung ist dahin, und hoch aufgerichtet, zornbebend steht sie vor ihrem einstigen Gatten. Hass verzerrt ihr Antlitz zu einer abscheulichen Maske.

      »Daran ist nur diese kleine, dumme Gans schuld!«, zischt sie. »Oh, ich habe es im ersten Augenblick erkannt, als ich dich mit ihr sah.«

      »Schweig!«, unterbricht Fürst Wolfhart sie gefährlich ruhig. »Schweig, Simone, und geh! Geh fort! Ich möchte dich nie wiedersehen!«

      Fassungslos starrt Simone von Bernadette ihn an.

      »Du hast es schon in Paris gewagt, mich vor den Augen der Welt der Lächerlichkeit preiszugeben!«, stößt sie dann wutbebend hervor. »Dennoch bin ich noch einmal zu dir gekommen, dennoch habe ich versucht, einen Weg in eine gemeinsame Zukunft zu finden. Aber du weist mich von dir. Gut denn, ich gehe! Ich werde nie wieder bei dir erscheinen, aber du sollst wissen, Wolfhart von Ravenhill, dass du mich nun zur gefährlichen Feindin hast!« Hastig dreht sie sich um und geht zur Tür.

      Fürst Wolfhart erwidert nichts, aber als sich die Tür unsanft hinter Simone schließt, atmet er tief und erleichtert auf. Er kann ja nicht ahnen, dass seine geschiedene Frau noch in der gleichen Stunde zu einem ersten Schlag gegen ihn ausholt.

      Die schöne Prinzessin von Bernadette verlässt das Palace Hotel nicht. Jetzt, da ihr Vorhaben gescheitert ist, da sie nicht erreicht hat, Fürst Wolfhart wieder für sich zu gewinnen, kreisen finstere Pläne hinter ihrer glatten Stirn. Aber ihrer beherrschten Miene ist davon nichts anzumerken, als sie nach kurzem Anpochen Sabrinas Appartement betritt. Lächelnd schwebt sie auf die erstarrte Sabrina zu und reicht ihr mit einer Geste überschwänglicher Herzlichkeit beide Hände.

      »Mein armes, liebes Kleines!«, flötet sie. »Nehmen Sie sich dieses Londoner Konzert nicht so zu Herzen. Sie sahen zauberhaft aus und haben sehr gut gespielt. Es war unverzeihlich von Wolfhart, Sie nach Paris sofort in London auftreten zu lassen, denn die Engländer sind ganz, ganz anders als die Franzosen, viel kühler, zurückhaltender und distanzierter.«

      Unaufgefordert nimmt Prinzessin von Bernadette in einem der tiefen Sessel Platz.

      »Wirklich, Wolfhart, ist zu hart mit Ihnen«, sagt sie jetzt, um aber sofort mit einem boshaften Lächeln hinzuzufügen: »Nun ja, niemand kennt ihn besser als ich, die ich immerhin einige Jahre als seine Frau an seiner Seite lebte.«

      Sabrina zuckt zusammen, als habe sie einen empfindlichen Schlag erhalten. Fassungslos sind ihre klaren, schönen Augen auf das Antlitz der Prinzessin gewandt!

      »Ich – ich verstehe Sie nicht!«, stammelt sie leise und denkt bei sich verzweifelt, wie kann es geschehen, dass ich von dieser Ehe gar nichts weiß, dass weder Tante Tabea noch Wolfhart selbst zu mir jemals davon gesprochen haben?

      Simone Prinzessin von Bernadette nickt. »Sie können das ja auch nicht verstehen, Sie armes Kind«, sagt sie, »denn ich bin überzeugt davon, dass Wolfhart über unsere Ehe nie zu Ihnen gesprochen hat. Oh, wir haben uns unendlich geliebt und waren namenlos glücklich. Es war eine herrliche Zeit, die ich auf dem Moorschloss verbrachte. Unser Glück erreichte seinen Gipfel, als unsere Anschi geboren wurde, unser geliebtes Töchterchen. Aber unser Kind verunglückte tödlich durch einen tragischen Unfall, dessen Einzelheiten ich Ihnen ersparen möchte, und durch dieses entsetzliche Geschick fand auch Wolfharts und mein Glück ein jähes Ende.« Sie zuckt die Schultern, lächelt wehmütig und bemerkt abschließend: »Ich bin aber sehr froh, dass ich Wolfhart nun wiedergefunden habe, denn in Wahrheit habe ich ihn nie vergessen können, wie auch er mich nicht vergessen hat.«

      Sabrina ist in sich zusammengesunken, und trostlos starrt sie vor sich hin ins Leere. Sie hat noch nicht einmal die Kraft, den Blick zu heben, um die schöne grausame Frau anzusehen.

      »Ich hoffe«, sagt sie, noch immer lächelnd, »dass wir gute Freundinnen werden. Ich habe nämlich den Eindruck, dass Wolfhart in Ihnen unsere süße kleine Anschi sieht, die heute nur etliche Jahre jünger wäre, als Sie es sind, mein Kind.«

      Sie reicht Sabrina nicht mehr die Hand, sondern schwebt huldvoll und herablassend nickend zur Tür.

      Für Sabrina aber ist während des kurzen Besuches der Simone Prinzessin von Bernadette eine ganze Welt eingestürzt.

      Wäre nur Fürst Wolfhart bei ihr, sie möchte so gern mit ihm sprechen, aber niemand ist da, um ihr trostreich zur Seite zu stehen.

      *

      Am anderen Morgen regnet es nicht mehr, und zum ersten Mal seit Tagen lacht über die Weltstadt an der Themse ein fast wolkenloser Himmel.

      Rulle, der zusammen mit den übrigen Mitgliedern des Ravenhill-Orchesters in einem kleineren Hotel wohnt, fühlt sich sofort wohler als am vergangenen Abend. Und als er nun in das Frühstückszimmer kommt, kann er feststellen, dass er es nicht allein ist, dessen Stimmung sich etwas gebessert hat. Er findet zwar vorerst nur den Pianisten Tonio Cirone vor, aber dieser ruft ihm sogleich entgegen:

      »Nun, Rulle, was sagen Sie dazu? Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder auf dieser Welt! Sie werden es nicht für möglich halten, aber wir haben gar keine so schlechten Kritiken, wie wir es gestern Abend doch alle befürchteten. Dieses Londoner Konzert war zwar die bisher größte Blamage unseres Lebens, aber immerhin …«

      »Ausgeschlossen!«, behauptet da Rulle. »Es ist ganz ausgeschlossen, dass wir keine schlechten Kritiken haben. Geben Sie her, Menschenskind!« Er reißt dem Pianisten die Zeitung aus der Hand und liest.

      Aber mit jeder Zeile, die er überfliegt, werden seine Augen größer und seine Züge heller. Tonio Cirone hat tatsächlich recht – die gefürchteten Kritiken sind gar nicht so schlecht.

      »Jetzt bricht der Chef die Tournee sicher nicht ab!«, behauptet Tonio Cirone zuversichtlich. »Er wird London zwar schleunigst verlassen, aber passen Sie auf, Rulle, in Stockholm ist alles wieder in Ordnung.«

      Mit diesem rosigen Optimismus soll der Pianist jedoch nicht Recht behalten, denn bereits eine knappe halbe Stunde später erreicht Rulle ein Anruf Fürst Wolfharts, wodurch dieser den getreuen Orchesterdiener bittet, sämtliche Musiker in das Palace Hotel zu bitten.

      Kaum eine Stunde später kann Fürst Wolfhart seine Musiker in dem Konferenzzimmer des Palaces Hotel empfangen.

      In wenigen sachlichen Worten teilt er seinem Orchester mit, was er beschlossen hat.