Viola Larsen

Fürstenkrone 11 – Adelsroman


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nach.

      Sabrina senkt die Lider. Vor ihr steht jene kurze beseligende Sekunde, da sie mit Wolfhart nach dem Konzert im Künstlerzimmer allein war, als sie sich an den Händen hielten und in die Augen sahen und Wolfhart sich langsam und zärtlich zu ihr neigte. – Sie erbebt, als sie jetzt die Augen wieder öffnet und ihr Gegenüber anblickt. Ich liebe dich, sagen diese Augen. Ich liebe dich – ich liebe dich!

      Aber Wolfhart schweigt. Die Stille schwillt bedrohlich an, und Sabrina wagt fast nicht zu atmen.

      Warum sagt Wolfhart nichts, pocht ihr Herz. Warum teilt er mein Glück nicht? Warum lässt er es zu, dass die Stille wächst und wächst und uns unaufhaltsam trennt?

      Sie findet keine Antwort, aber ein starker, heißer Wille erfüllt sie plötzlich, der Wille, es nicht ein zweites Mal geschehen zu lassen, dass sich ein Abgrund des Fremdseins zwischen ihr und dem heimlich geliebten Mann öffnet. Aber ehe sie ein Wort sagen kann, schrillt das Telefon.

      Fürst Wolfhart geht zum Apparat, nimmt den Hörer ab und meldet sich. Sein kühnes Profil lässt Sabrina tödlich erschrecken, weil es kaum je so starr, fremd und eisig ablehnend gewesen ist wie jetzt.

      »Hallo?«, hört sie ihn da aber schon sagen. »Fräulein Tabea? Sie werden aus Paris verlangt!« Er winkt Sabrina zu sich und übergibt ihr mit einer kleinen Verneigung den Hörer.

      Sabrinas Hände zittern. Das Gespräch mit Tante Tabea, auf das sie sich eben noch so herzlich gefreut hat, ist ihr plötzlich nicht mehr wichtig. Wichtig ist jetzt einzig und allein, dass sie eine Brücke über den Abgrund des Fremdseins schlägt, der Wolfhart und sie zu trennen droht.

      »Tante Tabea?«, fragt sie rasch. »Hier spricht Sabrina.«

      »Sabrina?«, hört sie Fräulein Tabeas unsichere Stimme und glaubt auch, den Herzschlag des alten Fräuleins zu vernehmen. »Bist du es wirklich und wahrhaftig?«

      »Wirklich und wahrhaftig, Tante Tabea.«

      »Wie war das Konzert? Ich habe so an dich gedacht und solche Angst um dich gehabt.«

      »Es ging alles gut, Tante Tabea!«, versichert Sabrina. »Wolfhart ist sehr zufrieden mit mir!«

      »Gott sei Dank!«, seufzt das alte Fräulein erleichtert. »Es ist lieb von dir, Sabrina, dass du mich gleich anrufst. Ich saß schon seit einiger Zeit in der Halle und wartete auf das Läuten des Telefons.«

      Diese Worte lassen wie durch Zaubermacht vor Sabrinas Augen das Bild der Heimat erstehen.

      »Brennt Feuer im Kamin?«, fragt sie leise.

      »Aber natürlich!«, antwortet Fräulein Tabea. »Oder glaubst du, ich wolle mir in dieser bitteren Kälte den Tod holen? Du kannst dir nicht vorstellen, wie kalt es bei uns ist. Sönke meint, wenn es noch lange so weitergehe, reiche unser Brennvorrat gar nicht aus und wir müssten anfangen, die Möbel zu verheizen. Aber das sagt er jedes Jahr.«

      »Ist er wieder ganz gesund?«, forscht Sabrina.

      »Ja, bis auf das Zipperlein natürlich, aber das plagt ihn eben jeden Winter.«

      »Und die anderen?«, fragt Sabrina.

      »Danke, die sind alle wohlauf!«

      Liebe, liebe Heimat, denkt Sabrina sehnsüchtig, und das Herz tut ihr richtig weh.

      »Du vertelefonierst ein Vermögen, Moorprinzesschen«, mahnt Fürst Wolfhart in diesem Augenblick lächelnd. »Grüße Fräulein Tabea von mir!«

      Sabrina nickt. »Grüße von Fürst Wolfhart!«, sagt sie dann in die Sprechmuschel hinein. »Ich glaube, wir müssen aufhören. Vergiss mich nicht, Tante Tabea.«

      »Wie könnte ich, Sabrina!«, sagt Fräulein Tabea und schluchzt ein bisschen. »Es ist so einsam hier ohne dich! Vielen Dank für deine Briefe. Ruf mich bald wieder an, ja?«

      »Ja«, versichert Sabrina, »gewiss! Auf Wiedersehen, Tante Tabea!«

      »Auf Wiedersehen, Kind! Grüße den Fürsten und komm bald heim, hörst du?«

      Sabrina steht noch eine ganze Weile reglos da und hält den Hörer in der Hand. Behutsam legt sie ihn endlich auf die Gabel zurück, und langsam wendet sie sich danach zu Fürst Wolfhart um, der mit unbewegtem Antlitz seine Pfeife raucht. Die große Sehnsucht nach der Heimat löscht einen Augenblick lang jedes andere Empfinden in Sabrinas Herzen aus.

      »Es ist sehr kalt auf der Heideinsel«, sagt sie leise. »Tante Tabea lässt dich grüßen.«

      »Es ist also alles beim Alten?«

      »Ja!«, erwidert Sabrina, und tiefe Mutlosigkeit überfällt sie mit einem Mal. Ihre schmalen Schultern neigen sich unwillkürlich ein wenig, als sie ihren Platz wieder einnimmt. Ihr Gesichtchen ist ratlos, traurig und hilflos.

      Sei gut zu mir, Wolfhart, bitten ihre Augen. Ich liebe dich doch, dich – nur dich ganz allein! Spürst du es nicht? Warum sagst du kein einziges Wort?

      Wieder wächst die drohende Stille wie eine unsichtbare Mauer zwischen ihnen empor. Sabrina möchte diese Mauer einreißen und öffnet schon die Lippen, aber Wolfhart kommt ihr zuvor.

      »Es ist spät geworden, Sabrina«, sagt er ruhig. »Der Tag war sehr anstrengend für uns beide. Wir wollen zur Ruhe gehen.«

      Sabrina erwidert nichts. Gehorsam leert sie ihr Glas und erhebt sich, und auch Fürst Wolfhart steht auf.

      »Gute Nacht!«, wünscht er rau. »Schlafe gut, Sabrina, und träume von deinem ersten großen Erfolg, der dir ein Ansporn für deine weitere Arbeit sein soll.«

      Diesmal zieht er ihre Hand nicht an seine Lippen. Stumm und trostlos steht Sabrina vor ihm.

      »Gute Nacht!«, sagt sie endlich leise.

      Dann schließt sich die Tür hinter ihr, und Fürst Wolfhart ist allein.

      Seine dunklen Augen sind von tiefer Schwermut überschattet, als er leise zu sich selbst sagt: »Es war sehr, sehr töricht von mir zu glauben, ich könnte die Vergangenheit überwinden und vergessen, ja, sogar sterben lassen. Die Vergangenheit wird nie sterben, möchten auch Jahre darüber vergehen, sie wird eins mit uns und bleibt lebendig in unserem Herzen bis zum letzten Lebenstag.«

      Traurig und mit sich selbst nicht zufrieden, verlässt auch Fürst Wolfhart das gemütliche Wohnzimmer, um sich zur Ruhe zu begeben.

      *

      Zweifellos ist es nur Rulles Bemühungen zu verdanken, dass das Ravenhill-Orchester überstürzt von Paris nach London aufbricht, denn Rulle gibt keine Ruhe, und er weiß auch, warum. Obwohl ursprünglich ein Aufenthalt von mehreren Tagen in Paris geplant war, erhebt Fürst Wolfhart keinen Einspruch gegen eine sofortige Abreise.

      Weißgelber Nebel liegt wie ein schmutziges Laken über der Stadt an der Themse, als Fürst Wolfhart und Sabrina in Begleitung des getreuen Rulle vom Flugplatz zu ihrem Londoner Hotel fahren.

      Sabrina fühlt sich elend, müde und erschöpft. Der erste Flug ihres Lebens, die langsame Fahrt durch die City und die bedrückende Atmosphäre der fremden Stadt strengen sie unsagbar an.

      Im Hotel ist es warm und hell. Die Appartements, die Fürst Wolfhart bestellt hat, liegen in zwei verschiedenen Etagen, und als sich der Lift summend wieder in Bewegung setzt, nachdem Fürst Wolfhart ausgestiegen ist, hat Sabrina plötzlich das schreckliche Empfinden, unwiderruflich von dem heimlich geliebten Mann getrennt zu sein.

      Nur Rulle bleibt bei ihr, bis das Gepäck kommt. Er schwärmt immerzu von London, der Stadt, die offenbar seine große Liebe ist.

      Sabrina hört Rulles Geplauder nur zerstreut zu. Sie sehnt sich grenzenlos nach Wolfhart, der seit jenem ersten Konzertabend in Paris wieder kühl, unnahbar und sonderbar abweisend zu ihr ist. Es gibt keine Brücke, die zu seinem Herzen führt, denkt sie gequält, lehnt sich an das Fenster des vornehmen, im viktorianischen Stil eingerichteten Hotelzimmers und starrt trostlos in den dichten Nebel. Seit sie die Erkenntnis gewann, dass sie Fürst Wolfhart mit aller Kraft ihres reinen, starken Herzens liebt, peinigt