Viola Larsen

Fürstenkrone 11 – Adelsroman


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die dort ausgehängten Plakate. Er schiebt die randlose Brille hoch, und der Blick seiner runden wasserblauen Augen haftet auf den beiden Namen, die auf diesen Plakaten besonders hervorgehoben sind. Wolfhart Fürst von Ravenhill und Sabrina Mauri. Er nickt zufrieden, wirft einen prüfenden Blick zu der noch geschlossenen Vorverkaufskasse und geht dann langsam, den linken Fuß ein wenig nachziehend, durch die Vorhalle zu einer kleinen Seitentür, die unmittelbar in den Konzertsaal führt.

      Der große Raum liegt verlassen da. Nur zwei abgeschirmte Wandlampen brennen dicht an der Podiumsrampe und erwecken durch ihr geisterhaftes Licht die leeren Sesselreihen des Zuhörerraumes zu gespenstischem Licht.

      Der kleine grauhaarige Mann hinkt durch den Mittelgang, der die Zuhörerreihen trennt, zum Podium, rückt dort die Stühle zurecht und prüft die Standsicherheit der einzelnen Notenständer. Dann öffnet er den Deckel des schwarzen Steinway-Flügels, entfernt mit liebevoller Zärtlichkeit die violette Schutzdecke und klimpert mit der rechten Hand auf höchster Oktave die ersten Takte des Kinderliedes »Hänschen klein«, und wenn Rulle, wie das Faktotum des Ravenhill-Orchesters scherzhafterweise genannt wird, das tut, so ist das ein Zeichen dafür, dass er für das bevorstehende Konzert die besten Hoffnungen hegt.

      In diesem Augenblick öffnet sich die grüne Tapetentür, die zum Künstlerraum führt, und Tonio Cirone, der Pianist, streckt seine blonde Löwenmähne heraus.

      »Bravo, Rulle!«, freut er sich. »Wenn Sie Ihr Leib- und Magenlied spielen, geht alles klar. Hoffentlich kippt unsere Sabrina vor Lampenfieber nicht um.«

      »Sie kippt nicht!«, versichert Rulle. »Aber die Generalprobe wird sie verpatzen!«

      »Und das bedeutet nach altem Brauch eine glänzende Aufführung!«, vollendet Tonio Cirone und lässt sich am Flügel nieder, um gleichfalls einige Takte zu klimpern.

      »Ist der Chef noch nicht da?«

      »Nein, wir sind noch nicht da«, brummelt Rulle, der, wenn von Fürst Wolfhart die Rede ist, bescheidenerweise immer so spricht. »Aber wir werden gleich kommen, denn wir sind pünktlich!« Damit stelzt er zur Rampe und gibt ein dreifaches tiefes »Mäh!« von sich. »Gute Akustik!«, sagt er daraufhin. »Wir werden zufrieden sein.«

      Das Podium füllt sich nun langsam mit den übrigen Orchestermitgliedern, die sich gegenseitig mit Handschlag begrüßen, die Notenblätter aufstellen und damit beginnen, die Instrumente zu stimmen.

      Sandor Nagy, der schmächtige ungarische Cellist, wiederholt beharrlich eine schwierige Passage, bis Tonio Cirone verzweifelt auf die Tasten schlägt.

      »Jetzt lernst du es auch nicht mehr, du Komiker!«, schnaubt er und streicht sich mit gespreizten Händen durch die blonde Löwenmähne. »Kinder, Kinder, Paris fährt mir immer in die Knochen! Denn wenn es in Paris nicht klappt, dann ist die ganze Tournee hin.«

      In diesem Augenblick öffnet Rulle weit die Tür des Künstlerzimmers und verkündet: »Wir sind da!«

      Wolfhart Fürst von Ravenhill betritt das Podium.

      Herzlich begrüßt er seinen Konzertmeister mit Handschlag und die übrigen Musiker mit einem freundlichen Kopfnicken.

      Rulle hinkt bedächtig zum Dirigentenpult, rückt die Notenblätter zurecht und stellt ein Glas frisches Wasser bereit. Dann stelzt er zum Künstlerzimmer und schließt dessen Tür ganz fest hinter sich.

      An dem hohen Fenster des schmalen, bis zur Decke holzgetäfelten Raumes lehnt Sabrina und blickt hinaus in das wirbelnde Flockentreiben. Ihr schmales, schönes Antlitz, das von dem hellbraunen Haar zärtlich umrahmt wird, ist richtig verstört vor Angst, und sie macht eine hilflose Bewegung, als sie nun Rulle entdeckt.

      »Wir haben es nicht gern, wenn man Lampenfieber hat«, brummt dieser und nickt bedeutungsvoll. »Wir können deshalb sogar sehr zornig werden.«

      »Ach, Rulle, ich habe aber schreckliche Angst«, seufzt Sabrina und lehnt ihr Köpfchen an die kühle Scheibe des Fensters. »Wenn ich mir vorstelle, dass heute Abend Hunderte von Menschen in dem großen Saal sitzen und mir zuhören werden, dann – dann bin ich überzeugt davon, dass ich keinen einzigen Bogenstrich zuwege bringe.«

      Trostlos schüttelt sie den Kopf und wendet sich vom Fenster ab.

      Auf dem Mahagonitischchen vor der Klubgarnitur, die das Künstlerzimmer als einziges Mobiliar aufweist, liegt ihre Geige, und Rulle, der inzwischen an den kleinen Tisch getreten ist, streichelt behutsam über die feine Holzmaserung des edlen Instruments.

      »Marcus Mauris Geige«, murmelt er. »Sie hat ihren Klang nicht verloren. Es ist ein wahres Wunder, dass das Instrument damals nicht mit demselben Flugzeug nach Frisco befördert wurde, sonst …«

      Rulle verstummt, weil er Sabrina durch diese Erinnerungen das Herz nicht schwermachen will.

      Trotzdem denkt Sabrina jetzt an ihren Vater und an ihre Mutter. Niemals in all den Jahren hat sie Heimweh nach den Eltern gehabt, denn sie war noch zu jung, als die beiden starben, und immer von so viel Liebe umgeben, um den unersetzlichen Verlust bewusst zu empfinden. Aber jetzt, in dieser Stunde und kurz vor ihrem ersten Konzert hat sie zum ersten Mal brennende Sehnsucht nach Vater und Mutter.

      »Hat mein Vater auch Lampenfieber gehabt, Rulle?«, fragt sie leise.

      »Natürlich!«, versichert Rulle. »Und wie! Alle echten Künstler haben Lampenfieber, das ist nun einmal so.«

      »Und kann man gar nichts dagegen tun?«, fragt Sabrina angstvoll.

      »Doch«, antwortet Rulle überzeugend, »man kann etwas dagegen tun, und das Rezept ist sogar ganz einfach. Man muss die vielen fremden Menschen vergessen und nur für den einzigen spielen, den man liebt und …« Er unterbricht sich und horcht zum Saal hin. »Es ist gleich so weit!«, mahnt er. »Ich gehe jetzt hinunter und höre mir Ihr Spiel an.«

      »Vielen Dank!«, sagt Sabrina gerührt, denn Rulles feines Ohr ist bei den Orchestermitgliedern hoch geschätzt, und man kann sich bedingungslos auf Rulles Kritik verlassen.

      Zaghaft nimmt Sabrina ihre Geige auf, öffnet die Tür zum Podium und wartet hilflos darauf, dass Wolfhart ihr das Zeichen für ihren Einsatz geben wird. Sie spürt, dass ihre Hände vor Angst steif und klamm werden. Trotzdem versucht sie, sich auf das Adagio zu konzentrieren, das sie gleich spielen soll. Aber es gelingt ihr nicht.

      Ich sterbe, denkt sie, und dabei übersieht sie, dass Wolfhart im gleichen Augenblick das Zeichen des Einsatzes für sie gibt.

      Ungeduldig klopft er ab. »Ich bitte um Aufmerksamkeit!«, sagt er kühl und hebt seinen Taktstock, um neu zu beginnen.

      Sabrina tritt verzagt einen Schritt vor. Krampfhaft hält sie ihre Geige fest, und diesmal versäumt sie den rechtzeitigen Einsatz nicht. Aber sie spielt hölzern und mechanisch, und die Geige hat keinen Klang und keine Seele.

      Fürst Wolfhart unterbricht Sabrina nicht. Erst als das Adagio beendet ist, wendet er sich plötzlich um und fragt in das zwielichtige Dunkel des Zuhörerraumes hinein. »Wie war es?«

      »Miserabel!«, ertönt Rulles tiefer Bass aus der letzten Reihe, und Fürst Wolfhart bedeutet Sabrina durch ein kurzes Zeichen, dass sie sich zurückziehen kann.

      Wie gelähmt vor Angst geht sie ins Künstlerzimmer.

      Es ist gut, dass Rulle da ist, Rulle, der vor vielen Jahren schon Marcus Mauri vor seinen Konzerten betreut hat und nun rührend um Sabrinas Wohl bemüht ist. Ohne viel Federlesens packt er sie in ein Taxi und bringt sie zum Hotel Claridge.

      Er geleitet Sabrina zu ihrem Appartement und befiehlt ihr, sich sofort niederzulegen. Sorgsam rückt er auf dem damastbespannten Diwan die Kissen zurecht und hüllt Sabrinas bebende Gestalt in eine weiche Decke. Dann reicht er ihr ein Glas Wasser, in dem er vorher zwei kleine Tabletten aufgelöst hat. Sabrina trinkt gehorsam die milchige Flüssigkeit und schlummert kurze Zeit später bereits sanft und selig.

      Sie erwacht erst wieder, als Rulle vor ihr steht und freundlich sagt: »Ich gehe jetzt in die Hotelhalle. Ich habe Ihnen schon das Bad bereiten lassen und werde nun das Essen bestellen.«

      »Wie