Viola Larsen

Fürstenkrone 11 – Adelsroman


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Wind gewesen sein.«

      »Das sagt Sönke auch«, gesteht Fräulein Tabea. »Aber merkwürdig ist doch, dass der Wind nicht weht, sobald Sönke in dem Verschlag schläft. Seither jedenfalls«, schließt sie ihren Bericht, »schläft Sönke vorsichtshalber jeden Freitag im Falkenverschlag, denn es wäre nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn die Leute erführen, dass es im Schloss tatsächlich spukt!«

      »Und seit Sönke im Verschlag schläft, ist alles ruhig?«

      »Nein!«, antwortet Fräulein Tabea mit noch immer gedämpfter Stimme. »Dann rumort es im rechten Schloss­turm, genau dort, wo früher immer der Falke saß.«

      Fürst Wolfhart schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht an Gespenster«, sagt er schroff.

      »Aber es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, von denen wir Menschen uns nichts träumen lassen!«, widerspricht Tabea.

      »Möglich«, gibt Fürst Wolfhart zu. »Warum haben Sie mir übrigens nie etwas von diesen – diesen Gespenstergeschichten mitgeteilt?«

      »Ich wollte Sie nicht erschrecken, Durchlaucht«, erwidert sie. »Außerdem hätte ich damit wohl nichts daran geändert. Aber nachdem Sie nun einmal hier sind und …« In diesem Augenblick kommt Sabrina zurück, und Fräulein Tabea schweigt.

      Als eine knappe Viertelstunde später der Arzt eintrifft und den Verband von Fürst Wolfharts Hand nimmt, ist die Wunde blaurot verfärbt und dick angeschwollen.

      »Hinaus mit Ihnen, meine Damen!«, befiehlt der Arzt, dessen rotwangiges Gesicht unter dem weißen Haar eitel Wohlwollen und Zuversicht ausstrahlt. »Das hier ist eine Sache, die ausschließlich Männer angeht.« Er wartet, bis Sabrina und Fräulein Tabea sich widerstrebend zurückgezogen haben, dann wird sein heiteres Gesicht sehr ernst. »Das ist eine schmerzhafte Angelegenheit, Durchlaucht!«, sagt er unumwunden. »Sie haben Glück, wenn Sie an einer Blutvergiftung vorbeikommen. Ich werde mein Möglichstes tun. Ruhe und absolute Schonung, Durchlaucht, sind aber unerlässlich. Dabei müssen Sie möglichst jede Bewegung vermeiden, denn …«

      »Ich reise in einigen Tagen ab und muss meinen Wagen chauffieren!«, unterbricht ihn Fürst Wolfhart gereizt. »Sehen Sie zu, dass bis dahin alles wieder in Ordnung ist!«

      Der alte Arzt zieht es vor zu schweigen, aber bei sich denkt er, dass Fürst Wolfhart Glück hat, wenn er seinen Wagen vielleicht in drei Monaten wieder chauffieren kann.

      *

      Der Arzt behält recht. Fürst Wolfhart ist tatsächlich nicht in der Lage, an eine schnelle Abreise zu denken. Die Wunde eitert böse, und auch die geringste Bewegung schmerzt so sehr, dass der Schlossherr zu ständiger Untätigkeit verdammt ist. Seine zuweilen gereizte, zuweilen schwermütige Stimmung überträgt sich auch auf die übrigen Schlossbewohner.

      Fräulein Tabea ist zwar rührend um den Fürsten bemüht, vermeidet es aber tunlichst, sich länger als unbedingt notwendig in seiner Nähe aufzuhalten, da sie vor einem plötzlichen Zornausbruch nie ganz sicher ist.

      Nur Sabrina hält es unermüdlich und geduldig bei Fürst Wolfhart aus und erträgt jede seiner oft wechselnden Stimmungen in liebevoller Sanftmut. Sie wird es nie müde, mit ihm zu plaudern, ihm vorzulesen oder ihm auf der Geige vorzuspielen.

      Dabei ergibt es sich ganz von selbst, dass Fürst Wolfhart beginnt, sie während des Spiels zu unterbrechen, auf kleine Fehler und Mängel in der Bogenführung aufmerksam zu machen oder sie auf einen nicht ganz richtigen Gestaltungsausdruck hinzuweisen. Und während dieser Stunden gemeinsamer intensiver Arbeit, die beiden bald zur lieben Gewohnheit wird, erwacht auch der alte, vertraute Ton wieder zwischen ihnen, und alles ist so, wie es früher war.

      Aber sobald das Instrument schweigt, verschließt sich Fürst Wolfhart wieder vor Sabrina.

      Dabei erkennt er ganz klar, dass Sabrina, die unter seiner Leitung jetzt jeden Tag mehrere Stunden lang eifrig übt, in ihrem Spiel technisch fast vollkommen ist. Ihre durch jahrelanges Musikstudium untermauerte, urwüchsige Begabung hat sie eine künstlerische Reife erlangen lassen, die es ihr ohne Weiteres möglich machen würde, bereits ihre ersten Konzerte zu geben.

      Im Geheimen ertappt Fürst Wolfhart sich wiederholt dabei, dass er sich eine gemeinsame Tournee mit Sabrina ausmalt. Endlich könnte er wieder die Konzertstücke wählen, die er damals, am Beginn seiner Laufbahn, zusammen mit Sabrinas Vater spielte. Aber sobald seine Gedanken bei solchen Träumen angelangt sind, wird er noch schroffer, unzugänglicher und gebieterischer zu Sabrina.

      So vergeht die Zeit, und sie vergeht wie im Fluge. Von einer Abreise des Fürsten ist nicht mehr die Rede. Seiner Agentur, die auf neue Abschlüsse drängt, teilt Seine Durchlaucht abweisend mit, dass er noch einige Zeit dringend der Ruhe und Schonung bedürfe. Der Sommer zieht vorüber. Der Herbst hält Einzug. Das Heidekraut ist verblüht und der Wind, der übers Moor gezogen kommt, ist rau und ungestüm. Tagelang ziehen schwere Wolken über das Land, Regen fällt, und es kommt den Menschen so vor, als wolle niemals mehr die Sonne scheinen.

      An einem dieser stürmischen Herbsttage geschieht es, dass Sabrina mit ihrer Geige wieder einmal malt, wie sie ihre musikalischen Phantasien zu bezeichnen pflegt.

      Obwohl Fürst Wolfhart es ihr streng untersagt hat, auf der Violine zu improvisieren, erhebt er heute keinen Einwand. Er verharrt reglos in dem gemütlichen Musikraum und lauscht ihrem Spiel.

      Draußen zieht der Herbststurm übers Moor, und Sabrinas Geige zaubert in das warme lichte Zimmer die ausweglose Trauer der Natur, die sich zum Sterben anschickt.

      »Sehr schön, Moorprinzesschen!«, lobt Fürst Wolfhart, als Sabrina den Bogen sinken lässt. »Versuche doch einmal, deine Improvisationen auf Notenpapier festzuhalten.«

      »Glaubst du, ich würde das schaffen, Wolfhart?«, forscht Sabrina ängstlich. »Ich habe es noch nie versucht. Was ich so spiele, ist nur für den Augenblick bestimmt und eine Ausdrucksform meiner Stimmung.«

      »Versuch es!«, bittet Fürst Wolfhart herzlich. »Ich helfe dir. Wiederhole das, was du eben gespielt hast, noch einmal.«

      Er nimmt mit der gesunden Linken ein Notenblatt und hält den Bleistift bereit, um die ersten Töne auf das Blatt zu übertragen.

      Sabrina setzt den Bogen an, aber es gelingt ihr nun, da sie bewusst wiederholen soll, was sie zuvor rein gefühlsmäßig gestaltet, nicht mehr, die richtigen Töne zu finden. Mutlos lässt sie nach einigen vergeblichen Versuchen das Instrument sinken.

      »Ich kann es nicht!«, klagt sie. »Ich habe gewusst, dass ich es nicht kann, Wolfhart!«

      Fürst Wolfhart hat jedoch bereits flüchtige Notenköpfe auf das Blatt gezeichnet. »Versuche das abzuspielen, Sabrina«, sagt er. »Ich glaube, so klang der Anfang deiner Improvisation.«

      Erstaunt nimmt Sabrina das Notenblatt entgegen und spielt nach des Fürsten Aufzeichnung. Und tatsächlich, er hat den Anfang ihrer Malerei genau behalten.

      Er wehrt aber lachend ab, als sie ihn bittet, das Stück zu vollenden.

      »Versuche es nur selbst«, rät er. »Übung macht, wie du weißt, den Meister. Es wird eine gute Schulung für dich sein, wird dein musikalisches Gedächtnis stärken und deine bewusste Arbeit unterstützen.«

      Von dieser Stunde an versucht Sabrina immer und immer wieder, das festzuhalten, was sie an Tönen fühlt und empfindet. Aber es will ihr nicht gelingen. Die Töne zerrinnen ihr unter den Händen, sobald sie versucht, diese durch schwarze Notenköpfe auf weißes Papier zu bannen.

      In diesen Tagen gelingt es Fräulein Tabea auch, ihren großen Wunsch durchzusetzen. Fürst Wolfhart veranlasst noch vor Einbruch des Winters die Anlage einer Telefonleitung. Und als der elfenbeinfarbene Apparat endlich angeschlossen und griffbereit in der Halle steht, seufzt Fräulein Tabea erleichtert. »Gott sei Dank! Jetzt ist man im Ernstfall wenigstens nicht mehr völlig verraten und verloren!« Was sie aber unter einem Ernstfall versteht, das verschweigt sie wohlweislich.

      *

      In einer der nächsten Nächte fällt der erste Schnee. Als Fräulein Tabea am