Viola Larsen

Fürstenkrone 11 – Adelsroman


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des Moorlandes, um später jedoch in jubelnde Durtöne überzugehen. Sabrina hält die Augen geschlossen und versenkt ihr ganzes Fühlen und Sein in die Melodie, die sie ihrer Geige entlockt. Erst als der letzte Ton verklungen ist, öffnet sie, wie aus einem tiefen Traum erwachend, langsam ihre Lider.

      »Das war schön, Moorprinzesschen!«, sagt da eine wohlklingende dunkle Männerstimme.

      Unter der Tür zur Halle steht Fürst Wolfhart.

      »Verzeih mir«, bittet er herzlich, »dass ich dich belauscht habe, aber ich konnte nicht widerstehen.«

      Wie gebannt ruhen seine dunklen sprechenden Augen auf der liebreizenden Erscheinung Sabrinas.

      »Hast du erkannt, was ich spielte, Wolfhart?«, fragt Sabrina tief atmend.

      Fürst Wolfhart lächelt. »Natürlich! Das Moor und die Heide.«

      Sabrina nickt ernsthaft. »Du erkennst immer, was ich spiele«, sagt sie einfach. »Auch als ich noch ein Kind war, wusstest du immer ganz genau, was ich mit meiner Geige sagen wollte. Weißt du noch, wie ich einmal den Schneesturm in einer Melodie malte?«

      »Ich weiß, Moorprinzesschen«, antwortet Fürst Wolfhart.

      »Oder den Hagelschlag während eines Frühlingsgewitters. Erinnerst du dich noch daran, Wolfhart?«

      »Ich habe nichts vergessen, Sabrina.«

      Während dieser kurzen seligen Zeitspanne, da sich Fürst Wolfhart und Sabrina in dem dämmrigen Musikzimmer gegenüberstehen, ist alles wie früher, ist alles gut. Sabrina atmet tief auf und legt die Geige sanft in die violette Samthülle zurück.

      »Warum tust du nichts gegen das Moor, Wolfhart?«, fragt sie dann. »Man müsste es bekämpfen, müsste fruchtbares Land schaffen, Kanäle ziehen und neues Leben in der trostlosen Öde erwecken. Du kannst das, Wolfhart, warum tust du es nicht?«

      Während Sabrina noch spricht, hat sich Fürst Wolfharts Haltung unmerklich verändert. Seine Schultern sind jetzt gestrafft, seine Hände zu Fäusten geballt, und in die vorgewölbte Stirn wächst eine steile, unheilverkündende Falte.

      »Lass das Moor ruhen!«, sagt er schroff und gebieterisch.

      Erschrocken blickt Sabrina auf.

      »Verzeih, Wolfhart! Ich wollte dich nicht verletzen. Der Gedanke kam mir nur, als ich über die Heide streifte und die Moorgrenze erreichte. Es ist böse, das Moor, finster, tückisch und drohend.«

      Brüsk wendet sich Fürst Wolfhart ab, ohne Sabrina zu Ende sprechen zu lassen. Er kehrt durch die Halle in den Speisesaal zurück und berührt ungeduldig den silbernen Gong, mit dem er anzuzeigen pflegt, dass er die Mahlzeit wünscht.

      Sofort kommt Fräulein Tabea angehastet und versichert eifrig: »Es ist alles bereit, Durchlaucht! Wenn Sie wünschen, kann sofort aufgetragen werden.«

      Fürst Wolfhart nickt knapp zum Zeichen seiner Zustimmung, dann nimmt er an der Tafel Platz.

      Es ist in Schloss Ravenhill eigentlich Sitte, dass Fräulein Tabea das Abendbrot gemeinsam mit dem Schlossherrn und Sabrina im Speisesaal einnimmt, aber heute hat Fürst Wolfhart die treue Hausbesorgerin nicht aufgefordert, ein Gedeck für sich aufzulegen. So sitzen sich Sabrina und Fürst Wolfhart wenig später allein an der festlich gedeckten Tafel gegenüber.

      Schweigend nehmen sie die liebevoll bereitete Mahlzeit ein. Fürst Wolfhart richtet nicht ein einziges Mal das Wort an Sabrina, und diese wagt nicht, das Schweigen zu brechen.

      Als abgetragen ist, verbeugt sich Fürst Wolfhart kurz und höflich vor Sabrina. Er erhebt sich und schreitet ihr voran zur Halle, aber Sabrina folgt ihm nur zögernd, denn sie fürchtet sich vor diesem gemeinsamen Abend, an dem Wolfhart doch seine Rückkehr mit ihr feiern will.

      Der Schlossherr lässt sich in einem der tiefen Sessel am prasselnden Kaminfeuer nieder, öffnet die Champagnerflasche und schenkt ein. Dann erhebt er sich, ergreift sein Glas und sagt ernst:

      »Du bist nun achtzehn Jahre alt geworden, Sabrina. Lass mich dir zu diesem bedeutungsvollen Tag Glück und Gottes Segen wünschen!«

      Während eines Herzschlags Länge leuchtet in seinen Augen die alte, innige Zärtlichkeit auf, aber dann verschließt sich sein Blick wieder, und mit einem kühlen Lächeln trinkt er Sabrina zu.

      Dann sitzen sie sich schweigend und fremd in den tiefen Sesseln gegenüber. Es ist sehr still. Nicht einmal eine Uhr tickt, nur das Kaminfeuer knackt und prasselt leise.

      »Mit dem heutigen Tag«, beginnt Fürst Wolfhart endlich, »endet meine Vormundschaft für dich, Sabrina. Du kannst über dein ferneres Leben bestimmen, und es liegt ganz in deinem eigenen Ermessen, wie du dir deine Zukunft gestalten willst. Ich habe dich zu mir genommen, als du neun Jahre alt warst, Sabrina. Wahrscheinlich kannst du dich an die Einzelheiten jener schrecklichen Nacht, die deinen Eltern das Leben kostete, nicht mehr erinnern, denn ich habe ganz bewusst vermieden, mit dir jemals darüber zu sprechen und jene Erinnerung zu wecken.«

      Sabrina hat sich ein wenig vorgeneigt. Gespannt und erregt lauscht sie den Worten Fürst Wolfharts, der gerade ernst sagt: »Das Flugzeugunglück ereignete sich an der Stadtgrenze von San Francisco. Die Insassen der Unglücksmaschine fanden bis auf den Piloten, dich und mich den Tod. Auch deine Eltern mussten ihr Leben lassen, denn dein Vater begleitete mich auf meiner Konzerttournee durch Amerika, und er liebte seine junge Gattin und sein Töchterchen so zärtlich, dass er sich von beiden nicht für längere Zeit trennen wollte. Er war ein großer, begnadeter Künstler, Sabrina, und ich habe niemals mehr jemanden so herrlich Geige spielen hören wie Marcus Mauri, deinen Vater.«

      Wieder ist es für eine Weile still in der großen Halle von Schloss Ravenhill. Sabrina wagt fast nicht zu atmen, als sie Fürst Wolfhart weitersprechen hört.

      »Du warst ein hilfloses, kleines Menschenkind, Sabrina, eine Waise. Ich zählte damals siebenundzwanzig Jahre und war trotz meiner beginnenden Erfolge einsam, verbittert und menschenscheu. Ich nahm mich deiner an, brachte dich in Fräulein Tabeas Obhut und übernahm die Vormundschaft für dich, da du keine Verwandten hattest. So wurdest du mein Mündel, Sabrina, und ich habe mich in den vergangenen Jahren aufrichtig bemüht, meine Pflichten als dein Vormund nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen. Du bist wohlbehütet in der Geborgenheit des Moorschlosses aufgewachsen, Sabrina. Ich habe dir eine gute Erziehung angedeihen lassen und das Vermögen, das dir dein Vater bei seinem Tod hinterließ, treu verwaltet. Du verfügst mit dem heutigen Tag über genügend Mittel, um dir eine Existenz nach deinen Wünschen aufzubauen. Ich weiß nicht, welche Pläne du für deine Zukunft hast, aber ich bin gern bereit, dir zu raten, falls du mich in diese Pläne einweihen willst. Wahrscheinlich wirst du das Moorschloss sofort verlassen wollen, um endlich einmal die Welt kennenzulernen. Selbstverständlich steht diesem Wunsch nichts im Wege.«

      Sabrina empfindet in diesem Augenblick nichts als Schmerz. Ihre Hände umklammern die Lehne des Sessels, und die Stimme will ihr kaum gehorchen, als sie die Lippen öffnet, um zu sprechen. Tonlos fragt sie endlich: »Ich muss – muss Schloss Ravenhill verlassen?« Das ist das Einzige, was sie den guten, wohlgemeinten Worten des Fürsten entnimmt.

      Erstaunt blickt dieser auf. »Du hast mich völlig missverstanden, Sabrina«, erwidert er lächelnd. »Schloss Ravenhill ist nach wie vor deine Heimat und soll immer deine Heimat bleiben, hörst du? Aber die Vermutung, dass du die Einsamkeit des Moorschlosses mit der bunten Betriebsamkeit der Welt vertauschen willst, ist doch naheliegend, nicht wahr?«

      »Aber wo – wo soll ich denn hingehen?«, stammelt Sabrina mit zuckenden Lippen, und Tränen verdunkeln ihren Blick. »Ich habe doch niemanden auf der ganzen Welt außer dir.«

      Fürst Wolfharts Lächeln vertieft sich. »Das wird sich bald ändern, Moorprinzesschen«, sagt er leise. Es soll scherzhaft klingen, aber heimliche Wehmut verschleiert die dunkle Stimme des Fürsten. »Warte nur, bis du die ersten Schritte in die Welt getan hast!«

      »Aber ich will doch gar nicht fort vom Moorschloss!«, schluchzt Sabrina. »Ich will immer – immer hierbleiben, bei Tante Tabea, bei den Pferden, der Heide und – und bei dir!«

      Fürst