Staubtuch über den Arm und die linke Hand drohend erhoben, so steht Fräulein Tabea wie ein Feldherr auf dem Schlachtfeld inmitten der Halle von Schloss Ravenhill, als Sabrina wie ein Wirbelwind hereinstürmt.
»Was tust du denn da, Tante Tabea?«, fragt sie lachend, und ihre silberne Glockenstimme weckt ein dünnes zärtliches Echo in dem hohen Raum. »Beschwörst du die Götter, auf dass das böse Moor die Insel nicht fresse?«
Gekränkt lässt Fräulein Tabea die erhobene linke Hand sinken, dann schüttelt sie missbilligend den Kopf.
»Spotte nicht«, verweist sie das junge Mädchen ernst, »denn das Moor lässt nicht mit sich spotten!« Sie seufzt und fährt rasch fort: »Aber damit du es genau weißt, ich habe eben aufgezählt, was bis zur Ankunft des Herrn noch getan werden muss. Doch wo hast du die ganze Zeit über gesteckt? Ich war schon in Sorge um dich, Sabrina!«
Aber ungeachtet des gestrengen Tones, ruhen Fräulein Tabeas Augen voll Stolz und herzlicher Liebe auf der zauberhaften Erscheinung des jungen Mädchens, das immer noch lachend vor ihr steht.
Ein schlichtes gelbes Leinenkleidchen mit breitem Schulterkragen umschließt Sabrinas schlanke, biegsame Gestalt. Das hellbraune Lockenhaar, das bis auf die schmalen Schultern Sabrinas fällt, umrahmt in weichen glänzenden Wellen ein klares, reines Antlitz. Die Augen des jungen Mädchens sind strahlend blau wie kristallene Bergseen und ruhen, von seidigen Wimpern beschattet, unter sanft geschwungenen Brauenbögen. Eine gerade Nase und ein kirschroter fein geschwungener Mund vervollständigen den Liebreiz dieses schönen Mädchenantlitzes.
»Glaubst du, dass Wolfhart bald kommen wird, Tante Tabea?«, fragt sie rasch.
»Das verhüte der Himmel!«, stöhnt Fräulein Tabea, die an ihren Baumkuchen denkt. Sie schickt sich eilends an, die Halle zu verlassen, um in der Schlossküche ihre Weisungen zu erteilen. Doch Sabrina bleibt dicht an ihrer Seite.
»Glaubst du, Wolfhart wird diesmal länger bleiben?«, forscht sie. »Ach, Tante Tabea, wenn er doch nur länger bleiben wollte! Was meinst du dazu?«
»Sönke muss die Fahne hissen!«, erwidert Fräulein Tabea geistesabwesend.
»Aber, Tante Tabea«, entrüstet sich Sabrina, »das ist doch keine Antwort auf meine Frage.«
Fräulein Tabea öffnet die Küchentür, erst dann wendet sie sich wieder an Sabrina und erkundigt sich: »Hast du etwas gefragt, mein Kind?«
»Ja, ich habe gefragt, ob du glaubst, dass Wolfhart diesmal länger bleiben wird. Ich wünsche mir das so sehr! Ach, Tante Tabea, was wird er mir wohl aus Tokio mitbringen?«
»Das Staubtuch!«, ruft Fräulein Tabea da aus und wedelt der bestürzten drallen Fine mit dem Tuch vor der Nase hin und her. »Ein Staubtuch gehört in den Besenschrank und nicht in den Speisesaal! Merken Sie sich das für die Zukunft! Außerdem haben Sie vergessen, im Obergeschoss Staub zu wischen. Es ist eine Schande! Als ich noch so jung war wie Sie, Fine …« Sie unterbricht sich, um dann verzweifelt zu zetern: »Nun hören Sie doch endlich auf, wie eine Verrückte das Herdfeuer zu schüren, Fine! Eine Küche ist keine Räucherkammer, und falscher Eifer ist von Übel!«
In diesem Augenblick öffnet sich die zweite Tür der ebenerdig gelegenen Küche, die unmittelbar auf den mit groben Kopfsteinen gepflasterten Schlosshof führt. In ihrem Rahmen erscheint ein älterer Mann, der in seiner grünen Gartenschürze, mit aufgekrempelten Hemdsärmeln, derben Schafstiefeln und einem gewaltigen Schlapphut auf dem schlohweißen Haar wie aus dem Märchenbuch geschnitten wirkt.
»Oh, Sönke«, empfängt Fräulein Tabea ihn erleichtert. »Sie kommen wie gerufen.«
Die dunklen Augen des Gärtners und Schlossfaktotums blitzen Fräulein Tabea unter buschigen weißen Brauen an.
»Was gibt es denn jetzt schon wieder?«, erkundigt er sich missbilligend, denn er schätzt es keineswegs, wenn er zu irgendwelchen häuslichen Arbeiten herangezogen wird.
»Sie müssen sofort die Fahne hissen!«, erklärt Fräulein Tabea. »Seine Durchlaucht kommt doch heute zurück.«
»Ach, du großer Jammer!«, erwiderte, Sönke, und es klingt nicht eben erfreut. Sekundenlang sieht es so aus, als wolle er seinen Worten noch etwas hinzufügen.
Doch ein mahnender Blick Fräulein Tabeas lässt ihn schweigen.
»Schön«, sagt er gemütlich, »dann werde ich nun eben die Fahne hissen!« Er stapft wieder aus der Küche, wendet sich an der Tür aber noch einmal um und bemerkt warnend: »Hoffentlich ist es Seiner Durchlaucht auch recht, wenn wir die Fahne hissen, Fräulein Tabea!« Damit schließt er langsam die Tür hinter sich.
Fräulein Tabea lässt sich auf der gemütlichen Eckbank nieder, die sich um den blankgescheuerten Holztisch der Schlossküche zieht, und sagt streng: »Fine, putzen Sie sofort die Jagdstiefel Seiner Durchlaucht! Und sagen Sie Steff Bescheid, er soll Feuer im Kamin der Halle anzünden. Beeilen Sie sich, Seine Durchlaucht kann jeden Augenblick hier sein!«
Mit lautem Knall schließt sich die Küchentür hinter der übereifrigen Fine, der anscheinend der Schrecken über diese letzte Mitteilung in die Glieder gefahren ist. Aber sonderbarerweise unterlässt Fräulein Tabea eine Zurechtweisung.
»Ich glaube«, erklingt da Sabrinas süße Silberstimme, »alle haben Angst vor Wolfharts Rückkehr: Sönke, Steff, Fine und die anderen.«
»Rede keinen Unsinn!«, fährt Fräulein Tabea auf. »Niemand hat Angst vor Seiner Durchlaucht. Du siehst Gespenster, Sabrina!« Bei dem Wort Gespenster zuckt Fräulein Tabea unwillkürlich zusammen.
»Du hast natürlich keine Angst vor Wolfhart, Tante Tabea!«, lacht Sabrina. »Dafür fürchtest du dich vor …«
»Pst!« Warnend legt Fräulein Tabea den Zeigefinger auf die Lippen. Sie ist blass geworden, aber sie fasst sich sofort wieder und sagt streng: »Jetzt verschwindest du am besten aus der Küche, Sabrina. Ich muss nämlich den Baumkuchen machen …«
»Tante Tabea!«, schmeichelt Sabrina. »Ich habe doch heute Geburtstag, und zu Geburtstagskindern muss man nett sein. Sei also nett, Tante Tabea, und sage mir ganz genau, was Wolfhart in dem Telegramm geschrieben hat!«
»Gewiss, mein Kindchen!«, versichert Fräulein Tabea. »Er hat geschrieben – er hat geschrieben …« Sie verstummt für eine Weile, um dann zu murmeln: »Man nehme das zu Schaum geschlagene Eiweiß von sieben frischen Hühnereiern …«
»Aber, Tante Tabea!«, unterbricht Sabrina sie lachend. »Das hat Wolfhart doch niemals telegrafiert!«
Verwirrt blickt Fräulein Tabea auf. »Ich wiederhole mein Baumkuchenrezept, damit ich keine Zutaten vergesse. Tu mir jetzt die einzige Liebe an, Sabrina, und lass mich mit dem Baumkuchen allein!«
»Sofort, Tante Tabea! Ich möchte ja nur noch wissen, warum alle Angst vor Wolfhart haben?«
»Zitronat!«, verkündet Fräulein Tabea, um sofort ärgerlich hinzuzufügen: »Du kannst mit deiner Fragerei den sanftesten Menschen aus der Ruhe bringen, Sabrina. Ich muss doch jetzt meinen Baumkuchen …«
Zärtlich schließt Sabrina Fräulein Tabea in ihre Arme und küsst sie liebevoll auf die Wange.
»Ich gehe ja schon, Tante Tabea! Großer Gott, im Grunde genommen bist du auch ganz verdreht, seit Wolfhart seine Rückkehr angekündigt hat.«
»Aber nicht aus Angst«, wehrt sich Fräulein Tabea sofort, »nur wegen des Baumkuchens. Für mich ist Seine Durchlaucht der großherzigste, gütigste und edelste Mensch unter der Sonne. So, und jetzt verschwinde, Sabrina, sonst …« Scherzhaft drohend erhebt sie den Schaumschläger, und Sabrina zieht sich schleunigst zurück.
In dem dunklen Flur, der von der Küche zur Halle und zu dem rückwärtigen Treppenaufgang des Schlosses führt, trifft Sabrina den Knecht Steff, einen frischen, jungen, stets heiteren Burschen, der gerade einen Korb Feuerholz in die Halle schleppt.
»Steff«, fragt Sabrina ohne Umschweife, »warum haben Sie Angst vor Fürst Wolfhart?«
»Habe ich