Viola Larsen

Fürstenkrone 11 – Adelsroman


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mit hochrotem Kopf erscheint. »Wolfhart kommt, Tante Tabea!«, jauchzt Sabrina wieder.

      Fräulein Tabea schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

      »Und mein Baumkuchen ist noch lange nicht fertig!«, klagt sie mit Grabesstimme.

      Sabrina aber stürzt durch die Halle, reißt das Hauptportal auf und stürmt die Freitreppe des Schlosses hinunter, vor der gerade die schwarze Limousine anlangt.

      Jubelnd, glückselig begrüßt sie den heimkehrenden Fürsten, aber als ihre frischen Lippen zärtlich seine Wangen berühren, zuckt er unmerklich zusammen.

      *

      Nur einen winzigen Schritt tritt Fürst Wolfhart zurück, aber durch diese kleine Geste öffnet sich gleichsam ein Abgrund des Fremdseins zwischen ihm und seinem Mündel.

      Fassungslos blickt Sabrina den Mann an, denn sonst hat er sie immer liebevoll in seine Arme geschlossen, wenn er von einer seiner großen Reisen in das Schloss seiner Väter heimkehrt, er hat sie immer herzlich auf die Stirn geküsst, ihr braunes Haar gestreichelt und ihr scherzhaft versichert, dass er es vor Sehnsucht nach ihr in der Fremde fast nicht mehr ausgehalten habe.

      Heute aber ist alles anders!

      Fürst Wolfhart verbeugt sich nur leicht vor Sabrina. Er reicht ihr nicht einmal die Hand, und er spricht kein einziges Wort. Ein paar Sekunden lang hat Sabrina das schreckliche Empfinden, der Himmel müsse einstürzen oder die Erde sich auftun.

      »Wolfhart, was – was ist?«, fragt sie tonlos. Ihre Lippen beben, und sie fürchtet, in Tränen auszubrechen. Seit am Vorabend das Telegramm eintraf, das überraschend die Ankunft des Fürsten meldete, hat sie sich auf das Wiedersehen mit ihm gefreut. Und jetzt?

      Hoch aufgerichtet steht Wolfhart Fürst von Ravenhill vor ihr, streicht sich eine Strähne des dichten dunklen Haares aus der Stirn und – schweigt. Sein ausdrucksvoller Mund ist fest geschlossen und das Kinn ein wenig vorgestreckt. Die ebenmäßigen Brauenbögen leicht zusammengezogen, sodass eine steile Falte in seine Stirn wächst, verharrt er nun reglos vor Sabrina. Die sonnengebräunte Haut über den Backenknochen spannt sich an, als wenn er einen Schmerz erleide, aber seine dunklen sprechenden Augen sind unverwandt auf das Mädchen gerichtet.

      »Wir haben die Fahne gehisst!«, murmelt sie zusammenhanglos. »Wir haben uns so auf dich gefreut. Dein Falke grüßt dich …«

      Fürst Wolfhart zuckt unmerklich zusammen. Er hat sich jedoch sofort wieder in der Gewalt. Nur seine hünenhafte Gestalt wirkt jetzt noch stolzer, ablehnender und einsamer als zuvor.

      In diesem Augenblick erscheint Fräulein Tabea unter dem Schlossportal. »Willkommen, Durchlaucht! Willkommen daheim!«

      Auch dem alten Fräulein reicht Fürst Wolfhart nicht die Hand.

      »Warum haben Sie die Fahne hissen lassen, Fräulein Tabea?«, fragt er fast schroff, und dies sind die ersten Worte, die er spricht. »Sie wissen, ich liebe derlei Dinge nicht!«

      Fräulein Tabeas freudiges Gesicht erstarrt vor Schreck.

      Wortlos schreitet Fürst Wolfhart nun an Sabrina und Fräulein Tabea vorüber, die Freitreppe empor. Das schmiedeeiserne Portal schließt sich Sekunden später hinter seiner hohen Gestalt, während sich Fräulein Tabea und Sabrina stumm und bestürzt gegenüberstehen.

      »Ach, du liebe Güte!«, seufzt Fräulein Tabea schließlich. »Das fängt ja gut an!«

      Sabrinas Augen sind blind von Tränen der Enttäuschung, und dieser Tränenschleier lässt alles vor ihrem Blick seltsam in sich verschwimmen: die blühenden Blumen auf der Heide, den hellen Himmel und Tante Tabeas weißes Spitzenhäubchen.

      »Tante Tabea!«, schluchzt sie plötzlich laut auf. »Oh, Tante Tabea!«

      Bekümmert schüttelt das alte Fräulein den Kopf, aber die grauen Augen hinter den funkelnden Brillengläsern sind sonderbar wissend, als wollten sie gleichsam zum Ausdruck bringen, dass sie sich die Ankunft des Fürsten gar nicht anders vorgestellt habe. »Die Fahne!«, murmelt sie. »Der silberne Falke …« Dann rafft sie sich auf, geht zu der vor grenzenloser Enttäuschung weinenden Sabrina und schließt sie mütterlich in ihre Arme. »Weine nicht, Sabrina, hörst du? Weine nicht, mein armer Liebling, denn Tränen ändern nichts. Ich meine es gut mit dir, Liebling! Komm!« Sanft versucht sie, Sabrina die Freitreppe emporzuführen.

      »Warum«, schluchzt sie, »ist Wolfhart so – so anders, Tante Tabea?«

      Das alte Fräulein senkt den grauhaarigen Kopf, und ihr weißes Spitzenhäubchen glänzt im Sonnenlicht. »Frage mich nicht, Liebling!«, bittet sie leise. »Komm jetzt mit mir ins Haus!«

      Aber Sabrina schüttelt leidenschaftlich den Kopf. Sie kann jetzt nicht einfach ins Haus gehen und tun, als sei nichts geschehen. »Sei mir nicht böse, Tante Tabea«, flüstert sie mit tränenerstickter Stimme. »Ich muss mir jetzt frischen Wind um die Ohren wehen lassen.«

      »Aber lauf nicht so weit ins Moor hinaus«, ruft Fräulein Tabea ängstlich. Sie fürchtet das Moor. So sehr sie die Heideinsel und das Schloss liebt, in dem sie nun schon fast ein Menschenleben verbrachte, so sehr fürchtet sie das Moor …

      Nördlich des Schlosses Ravenhill dehnt sich die Insel gut eine Stunde weit aus, bis die Moorgrenze beginnt. Im Süden hingegen hat das Moor seine braunen starren Wogen im Laufe der Jahre weit über die Insel gespült, und Fräulein Tabea hat schon oft düster prophezeit, dass die ganze Insel eines Tages mitsamt dem Schloss versinken müsse, falls nicht bald etwas gegen das Moor unternommen werde.

      Sabrina seufzt unbewusst, als sie an der Moorgrenze steht. Tante Tabea hat recht, sinnt sie. Man müsste etwas gegen das Moor unternehmen, man müsste Gräben, Kanäle und Staudämme bauen und das Oberwasser regeln, sodass es die Wiesen tränkt. Ich werde Wolfhart fragen, warum er es nicht tut.

      Sie erschrickt unwillkürlich bei diesem Gedanken. Früher hätte sie eine solche Frage bedenkenlos an den Fürsten gerichtet. Aber wenn er so kühl, fremd und ablehnend zu ihr bleibt, wie er es bei seiner Ankunft war, dann wird sie es wohl nie mehr wagen können, unbefangen mit ihm zu plaudern.

      Sie steht reglos still, schließt flüchtig die Augen und sieht wie in einer Vision das Moorland vor sich, wie es ausschauen würde, wenn man es urbar machen wollte: Kanäle, auf denen bunte Boote schwimmen, saubere Häuser aus roten Ziegelsteinen am Uferrand, kleeduftende Wiesen, auf denen Kühe weiden, wogende Kornfelder und die Silhouetten einsamer Mühlen.

      Aber als sie die Augen wieder öffnet, liegt nur die schwarzbraune, düstere Einöde vor ihr, deren Schwermut ans Herz greift und einen wahrhaft an Gespenster glauben lässt, wie Fräulein Tabea immer behauptet.

      Als Sabrina wieder zum Schloss zurückkehrt, wehen schon die silbernen Schleier der Dämmerung über der blühenden Heide, und von der Kirche des Moordorfes her ruft es das Ave.

      So, wie heute die Dämmerung kommt, sinnt Sabrina, ist sie schon vor hundert Jahren über die Insel gezogen, damals, als die Fürsten Ravenhill noch ein regierendes Haus waren. Wolfhart hat mir einmal erzählt, dass es das Ziel seiner Ahnen gewesen sei, das Moor zu bebauen, ein zu jenen Zeiten unerreichbares Ziel. Aber in der technisierten Gegenwart wäre es durchaus möglich gewesen. Warum nur, fragt sie sich, lässt Wolfhart es zu, dass die Insel stirbt?

      Sie schüttelt unwillkürlich den Kopf. Sie weiß, es hat keinen Sinn, über derlei Fragen nachzugrübeln. Aber wie immer, wenn etwas sie zutiefst bewegt, sucht sie Trost und Zuflucht bei ihrer Geige. Das Musikzimmer ist Sabrinas Zuflucht.

      Mit behutsamen Händen löst sie das kostbare Instrument aus seiner violetten Samthülle und betrachtet es zärtlich. Eine ganze Weile steht sie reglos und versonnen da und lauscht der seltsamen Melodie ihres Herzens, die sie sich nicht zu deuten weiß. Bisher war immer alles klar, licht und geordnet in ihrem jungen Leben. Warum nur ist mit einem Mal alles anders geworden?

      Sabrina zögert, als fürchte sie sich davor, der Melodie in ihr Ton und Klang zu verleihen, aber dann setzt sie doch langsam das Instrument an, ergreift den Bogen und führt ihn zart über die schwingenden Saiten. Sie schließt die Augen,