Helga Torsten

Fürstenkinder Staffel 1 – Adelsroman


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      Ein unbekannter oberrheinischer Maler hatte es geschaffen. Nächtelang hatte er mit seinem Amsterdamer Freund über dieses Gemälde diskutiert, wem es zuzuschreiben sei. Einen unschätzbaren Wert besaß das Gemälde. Mancher Interessent hatte sich bereits gemeldet.

      »Erst muß ich es ausstellen können!« hatte Michail Bassarow geäußert.

      Ausstellen?

      Der Mann vertiefte sich in die dargestellte Madonna, die sich in so vielem von anderen Darstellungen unterschied.

      Sie besaß die süße Anmut oberrheinischer Madonnen. Sie war die herbe Königin ungezählter Heerscharen von Engeln. Eigentlich war diese Madonna wie ein junges Mädchen, das eben zur Liebe erwacht war. Auf eine ganz zarte, ja beinahe himmlische Weise, wie den Geliebten, und mochte er selbst dem Teufel verfallen sein, erlösen konnte.

      Verrückte Ideen! schalt der Mann sich.

      Ich werde noch zum romantischen Schwärmer!

      Dabei bin ich doch sonst so nüchtern. Und Kunst bleibt für mich Kunst.

      Er zwang sich dazu, die Maltechnik des Bildes zu prüfen. Er setzte die Lupe an. Vorsichtig fuhren seine Finger über das am unteren Bildrand bisher noch ungeklärte Signum des Meisters.

      Oder streichelte die lange, schmale, aber nervige Hand diese mädchenhaft zarte Gestalt der Madonna, deren Gesicht dem Kind auf ihrem Schoß zulächelte.

      »Papa!« In diesem Augenblick klang Stoffels Stimme, ein bißchen brüchig, weil er eigentlich Angst hatte, den Vater aus seiner Versunkenheit zu wecken. »Papa, Waschkewitz ist vorgefahren. Er wartet. Und… na, es ist schon spät!«

      Unwillig wandte Michail von Bassarow sich um. Er dachte gerade an eine Ausstellung besonderer Art und auch daran, daß er dieses kleine Gemälde überhaupt nicht verkaufen wollte. – Der Junge aber mit dem dunklen Lockenkopf, der jetzt stämmig und wie unverrückbar vor ihm stand, hatte nur die Kinderaufführung im Kopf.

      »Sie werden auf uns warten!« behauptete der Mann barsch, trennte sich dann aber doch von dem kleinen Gemälde.

      Er sprach kein Wort mit den erwartungsfrohen Kindern. Er beachtete sie überhaupt nicht. Wahrhaftig, es war eine Zumutung, diese Vorstellung besuchen zu müssen.

      Weil er über die Kinder hinwegsah, nahm er auch das nicht wahr, was Stoffel und Vronli stillschweigend vereinbart hatten. –

      »Er soll auch mit!« hatte Stoffel vor einer Stunde behauptet.

      »Es gibt ein Katzenballett, hat Frau Franzen gesagt. Na, und das muß Julius sich ansehen!«

      Vronli hatte Beifall genickt.

      Sie hatte ihre so heiß geliebte Puppe auch in ein Festkleid gehüllt. Harlekinchen begleitete sie selbstverständlich ins Theater. Harlekinchen war aber ein stilles, artiges Kind, ein geräuschloses Wesen, was man von Julius nicht immer sagen konnte.

      »Und wenn Papa es merkt?« fragte sie angstvoll.

      »Laß mich nur machen!« Stoffel liebte Julius wie die kleine Schwester ihre Puppe.

      Stoffel fand ein großes Tuch, in das er Julius einpackte. Es gelang ihm, vor Waschkewitz in den Wagen zu steigen.

      »Papa sieht uns ja nicht einmal!« behauptete Stoffel. »An Julius denkt er keinesfalls«

      Nun fuhr der Kater Julius, der schon einmal Schicksal gespielt hatte, stolz mit in die große Oper. Er benahm sich wie auf Übereinkunft sehr manierlich, schnurrte nicht, bewegte sich kaum.

      Und so kam Stoffel, an den sich Vronli ganz eng drängte, um mit ihrem Harlekinchen wenigstens ein bißchen Stoffels Last unter dem Arm zu verdecken, wirklich unangefochten in den riesigen Zuschauerraum der Oper. Keiner achtete auf den Inhalt des Tuches. Einmal erklärte der Junge nur wie zur Entschuldigung dem Vater gegenüber: »Ein Tuch, Papa, Frau Franzen hat gesagt, ich sollte es Vronli über die Knie legen. Im Theater sei es manchmal kalt.«

      Die alte Frau Franzen wußte, wo Kinder im Theater am liebsten sitzen wollen, nämlich so nahe wie möglich an der Bühne.

      So öffnete sich vor Fürst Michail Bassarow auch keine Logentür zu einem abgeschlossenen Raum, sondern er mußte sich durch die zweite Parkettreihe bis zur Mitte zwängen.

      »Prima!« Vronli war zufrieden. »Alles werden wir sehen können!«

      Seufzend ließ der Mann sich auf dem bequemen weinroten Polstersessel nieder.

      Wenn die Vorstellung doch schon zu Ende gewesen wäre!

      Noch heute wollte er mit einem Bekannten, einem Experten für oberrheinische Madonnen, über das ihm zugeleitete kleine Gemälde sprechen.

      Ungeduldig schaute er auf seine Armbanduhr mit dem schlichten, aber sehr breiten Platinarmband.

      Man schien sich auch noch zu verspäten mit der Aufführung.

      *

      »Fünf Minuten über die Zeit!«

      Der alte Inspizient in den Räumen hinter der Bühne schrie es fast.

      »Das habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht mitgemacht!«

      »Aber das hat es ja auch noch niemals gegeben, daß eine Viertelstunde vor einer Aufführung eine Schneekönigin ohnmächtig wird, nicht auftreten kann, weil… na, weil sie ein Kind bekommt.«

      Der Regisseur Immermann sprach kalt lächelnd, beinahe hohnvoll.

      Die Ballettmeisterin Adela Curschmann betrachtete die Aufgeregten beinahe ein wenig überlegen. »Ich denke«, erklärte sie plötzlich und sah sich in der großen Garderobe um, »nun, ich denke, durch Geschrei ist nichts zu entscheiden. Und ohne Schneekönigin geht es nicht!«

      »Geht es nicht!« erboste sich der Regisseur.

      »Soll die Aufführung platzen?«

      »Weshalb?« Adela Curschmann blieb auffällig ruhig.

      Von allen Seiten schrie man jetzt aufgeregt auf sie ein, bestürmte sie. Schon die Kostümfrage sei nicht zu lösen. »Die Belinda ist so schmal und zierlich wie kaum ein anderes Mädchen. Jede platzt in ihrem Kleid aus den Nähten.«

      »Immer Augen aufmachen!« Adela Curschmann lächelte jetzt. »Ich denke, ich habe einen Ersatz, dem auch das Kostüm der Schneekönigin paßt.«

      »Und wer? Wer?«

      Da streckte die alte Frau graziös die Hand aus, wies auf ein bereits angekleidetes Kätzchen, das gerade mit seinem Schwanz beschäftigt

      war.

      »Hier ist die Schneekönigin, die gleich auftreten wird!«

      Das Kätzchen schrak zusammen und nahm völlig verwirrt die Maske vom Gesicht.

      »Frau Curschmann!« Jasmine war ganz blaß.

      »Ich…«

      »Dau allein wirst die Vertretung schaffen!« bestimmte Frau Curschmann. »Du hast die Rolle der Schneekönigin oft bei mir geübt. Du besitzt die gleiche grazile Figur wie Belinda. Also: herunter mit dem Katzenkostüm. Und«, die alte Ballettmeisterin, die ihre Schule jetzt so vorzüglich leitete, drohte ein wenig mit dem Finger, »wenn du mir Schande machst, mein liebes Kind…«

      Die Garderobieren aber ließen Jasmine nicht einmal Zeit zu einer Antwort.

      Es war nun schon zehn Minuten über die Zeit. Das Orchester hatte, um die peinliche Pause zu überbrücken, Kinder- und Weihnachtslieder zu spielen begonnen. Es galt, keinen Augenblick zu verlieren.

      Schneekönigin! Die Chance!

      Jasmine schloß die Augen.

      Ihr Puls flog.

      Klopfte das Schicksal wieder an ihre Tür?

      So schnell ging alles in letzter Zeit. –

      Sie dachte an Harald Brockdorff, den Mann, der sie küßte,