Kater Julius standen alle Türen offen, soweit man sie nicht abschloß. Und scheinbar fror er in diesem Winter gar nicht, denn er trieb sich tatsächlich öfter draußen herum.
»Waschkewitz hat ihn neulich in der Wiesengrundbaracke gefunden!« sagte Stoffel jetzt. »Und dort sind alle Kinder krank.«
»Meinst du, daß Julius krank ist?« sagte Stoffel jetzt. Vronlis Augen füllten sich mit Tränen.
»Heulsuse!« Stoffel wurde ausfallend. »Sieh lieber zu, daß Julius nicht unten in Papas Ball hineinplatzt. Dann ist was fällig. Das kann ich dir sagen.«
»Julius!« rief Vronli.
»Julius!« schrie Stoffel. »Nie mehr bringe ich dir abends noch ein Brot mit Hack, das ich mir vom Mund abgespart habe.«
Julius aber war froh, daß er durch die Tür hatte schlüpfen können. Er war nun einmal ein Kater, der die Freiheit liebte.
*
»Ein Kater! O mein Gott, welch entsetzliches Tier!«
Unten in der riesigen Empfangshalle schrie eine Frauenstimme entsetzt auf.
»Aber Kind!«
Professor Dr. Karl Ringling, Besitzer der angesehensten Klinik der Stadt, die einen medizinisch international berühmten Ruf besaß, legte der Tochter die Hand auf die Schulter.
Seine Stimme tadelte.
»Ein Kater, eine harmlose Katze!«
Charlotte ließ sich nicht beruhigen.
Vor ihr stand der fauchende Julius. Seine leuchtend grünen Augen starrten sie an.
Charlotte hatte niemals ein Herz für Tiere besessen. Und dieses kleine Ungeheuer rückte ihr jetzt ganz nahe, hob die Pfote und kratzte gegen den mit silbernen Pailletten bestickten Saum ihres meergrünen Seidenkleides.
Julius liebte nun einmal das Glitzernde, Blinkende. Das war seine Natur, eine Natur, die Charlotte wenig verstand.
»Hilfe! Hilfe!« schrie sie entsetzt.
In diesem Augenblick fühlte sich Julius ergriffen von zwei Händen, nicht hart und strafend, wie er es eigentlich verdient hatte, sondern beinahe streichelnd.
»Julius, sollst du dich hier herumtreiben?« Jasmine hob den Kater auf den Arm, ungeachtet ihres lichtblauen neuen Abendkleides.
»Findest du mich schön?« hatte sie Harald Brockdorff gefragt, so kindlich naiv und verlegen süß, daß selbst der kühle junge Arzt sie an sich gezogen hatten, sie küßte.
»Die allerschönste Frau werde ich haben!« flüsterte er dabei.
»Frau?«
Jasmine lachte ein wenig verlegen.
»Ein kleiner Vorgriff auf einen ordnungsgemäßen Antrag!« erklärte der Mann.
Ach ja, bei Harald Brockdorff mußte alles seine Ordnung haben.
Liebt er mich? Liebt er mich nicht?
Sie fragte es sich nach jedem Zusammensein. Es war längst so, daß dieser Mann zu ihrem Leben gehörte.
Aber in Jasmines Träume schlich sich trotz allem ungewollt auch eine andere Frage:
Liebe i c h ihn? Liebe i c h ihn vielleicht doch nicht?
Einmal fragte Jasmine die lebenserfahrene Ballettmeisterin Adela Curschmann, die ihr über das Haar strich und sagte: »Nun, gibt es nicht etwas zu erzählen?«
Adela Curschmann war selber ohne Eltern aufgewachsen. Sie wußte, daß ein junges Mädchen sich stets nach einer Mutter sehnte.
»Nein, nichts. Und eigentlich bin ich glücklich. Heute abend treffe ich mich mit Harald.«
Adela Curschmann hatte nichts weiter gesagt. Die alte Frau wußte genau, daß er kein Mann für die warmherzige Jasmine war. Genauso aber wußte sie, daß Jasmine zur Zeit glaubte, diesen Mann zu lieben. Vielleicht regte sich doch ein Widerspruch in des Mädchens Herz?
Aber Jasmine überspielte ihn einfach.
Ja, sie glaubte wohl wirklich, diesen Harald Brockdorff zu lieben.
Und eines Tages würde es Tränen geben, schmerzliche Tränen.
Aber so war es immer.
Und kein junges Mädchen ließ sich von einer lebenserfahrenen Frau warnen.
Selbst nicht ein so kluges Mädchen wie Jasmine Rasmussen.
Denn sie war eben nicht nur die Medizinstudentin, das Fräulein Doktor in spe, sie war auch die zerbrechliche Schneekönigin, von der alle Kritiken damals nach der ersten Aufführung in der Staatsoper begeistert geschrieben hatten.
Jasmine hob jetzt in der Eingangshalle der Bassarowschen Villa den Kopf und nickte der verstörten Charlotte Ringling zu.
»Den Julius, den kenne ich. Den schaffe ich schon weg. Na, und das Kleid, das bekommen wir auch wieder in Ordnung. Das kenne ich vom Tanzen her.«
»Vom Tanzen?« Charlotte schaute verwundert.
»Nun, das ist doch die Schneekönigin!« flüsterte ihr einer der eben eingetretenen Gäste zu.
»Die Schneekönigin?« Charlotte verstand dies alles nicht.
Jasmine lachte unbekümmert. – »Ich tanze doch die Schneekönigin in der Oper.«
»Eine Tänzerin?«
Jasmine nickte. Sie spürte nicht das ablehnende Urteil der anderen über sich.
»Eine Tänzerin!« wiederholte sie noch einmal. Ihr selbst unbewußt, bog sie den Kopf mit der kunstvollen Frisur, die mit einer perlengeschmückten Spange gehalten wurden.
Allen anderen entging diese Bewegung, mit der sich das Mädchen über die vor ihr stehende Jasmine erhob, die immer noch den jetzt zutraulicher werdenden Kater Julius auf dem Arm hielt. Nur einer sah es: Dr. Harald Brockdorff.
Er spürte sich selber verletzt durch Charlottes arrogante Bewegung. Er war als Bekannter Jasmines eingeladen; als Begleiter einer… Tänzerin.
Dr. Harald Brockdorffs Augen wurden ganz schmal.
Er sah nicht, wie die übrigen Gäste, die einer nach dem anderen die breite Freitreppe in die Empfangshalle heraufgekommen waren, sich um Jasmine scharten, die so anmutig und natürlich war.
»Das süßeste Geschöpf, das ich je sah!« erklärte die alte Gräfin Waldersee. Und sie mußte es wissen, denn sie war in allen Erdteilen herumgekommen. Aber sie kannte nicht nur die Menschen. Man konnte sich auf ihr Urteil verlassen. Niemand spielte ihr etwas Falsches vor.
»Kommen Sie, kleine Schneekönigin!« sagte die alte Dame jetzt. »Und von dem Kater trennen Sie sich vielleicht doch einmal heute abend, auch wenn es der berühmte Kater Julius ist, von dem damals die Pressestimmen ja hell begeistert waren. Aber jetzt sollten Sie einmal nicht an den Kater denken, sondern ganz allein an sich selbst. Ich versichere Ihnen, es gibt für ein junges Mädchen kaum etwas Schöneres als diese Bälle im Haus Bassarow. Sie haben doch auch Sinn für Schönheit, kleine Schneekönigin?«
Jasmine nickte.
Ihre Augen schienen jetzt nicht dunkel, sondern aus lauter Glanzlichtern zu bestehen. Ja, es war schön hier.
»Harald, entschuldige!« Jasmine wandte sich um, wollte Harald Brockdorff sagen, daß sie den Kater zu den Kindern hinaufbringen würde.
Aber der Mann stand nicht mehr neben ihr. Sie sah ihn in einer entfernten Nische stehen und mit dieser wunderschön gekleideten Frau sprechen, der Julius als ein furchtbares Ungeheuer erschienen war.
Ja, diese Frau war schön und paßte ganz in diesen Rahmen.
Einen Augenblick schaute Jasmine in den gegenüberliegenden Spiegel.
Bin ich auch schön? dachte sie. Eigentlich zum erstenmal in ihrem Leben.
Bisher